Zivilrecht

Sachenrecht

Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Abwandlung: Bösgläubigkeit vor Ende der Ersitzungszeit

Abwandlung: Bösgläubigkeit vor Ende der Ersitzungszeit

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

C besitzt die einzige Originalausgabe des ersten "Enten-Krimi", die D stiehlt. D veräußert sie an S, die glaubt, D sei Eigentümer. Fünf Tage später erfährt sie, dass die Originalausgabe dem C gestohlen wurde und sie nicht Eigentümerin ist. 10 Jahre später entdeckt C den Comic und verlangt es von S heraus.

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Einordnung des Falls

Abwandlung: Bösgläubigkeit vor Ende der Ersitzungszeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat Eigentum an den Comic-Heften nach § 929 S. 1, 932 BGB erworben.

Nein!

Der Eigentumserwerb nach §§ 929 S. 1, 932 BGB setzt voraus: (1) Übereignung nach § 929 S. 1 BGB durch Übergabe vom Veräußerer, (2) Verkehrsgeschäft, (3) Fehlende Berechtigung des Veräußerers, (4) Gutgläubigkeit des Erwerbers bzgl. der Eigentümerstellung des Veräußerers (§ 932 Abs. 2 BGB), (5) Kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB). Mit Ausnahme der Verfügungsbefugnis liegen die Voraussetzungen des § 929 S. 1 BGB vor. Es besteht keine Personenidentität zwischen Erwerber (S) und Veräußerer (D). S hat bei der Veräußerung auch angenommen, D sei Eigentümer. Da das Comicheft gestohlen wurde, scheidet der gutgläubige Erwerb aber aus (§ 935 BGB).
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2. Hatte S das Comicheft mindestens zehn Jahre im Eigenbesitz?

Genau, so ist das!

Eigenbesitz bedeutet, dass jemand eine Sache als ihm gehörend besitzt (§ 872 BGB). Eigenbesitz kann dabei sowohl in Form des unmittelbaren (§ 854 Abs. 1 BGB) als auch des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB) vorliegen. S hat den Besitz an dem Comicheft von D erworben und es in dem Glauben Eigentümerin zu sein in ihrem Museum ausgestellt. Sie hatte das Comicheft mithin in Eigenbesitz. Der Eigenbesitz bestand zehn Jahre lang.

3. War S bei Erwerb des Eigenbesitzes gutgläubig (§ 937 Abs. 2 BGB)?

Ja, in der Tat!

Nach § 937 Abs. 2 BGB ist die Ersitzung ausgeschlossen, wenn der Erwerber beim Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben ist. Die Gutgläubigkeit muss sich darauf beziehen, dass der Erwerber glaubt, Eigentum zu erwerben.S hat zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs geglaubt, sie würde das Comicheft vom rechtmäßigen Eigentümer erwerben und somit selbst Eigentümerin werden. Es liegen auch keine Hinweise vor, dass sie hätte erkennen müssen, dass D nicht Eigentümer ist.

4. S hat damit Eigentum an den Comicheften durch Ersitzung (§ 937 BGB) erworben.

Nein!

Der Eigentumserwerb durch Ersitzung(§ 937 BGB) setzt voraus, dass es sich (1) um eine bewegliche Sache handelt, (2) die der Erwerber der Sache mindestens zehn Jahre (3) im Eigenbesitz hat. (4) Der Erwerber muss bei Erwerb des Eigenbesitzes in gutem Glauben gewesen sein und darf (5) während der zehn Jahre des Eigenbesitzes keine Kenntnis davon erlangen, dass ihm das Eigentum nicht zusteht. Zwar liegen die ersten vier Voraussetzungen des § 937 BGB vor. Allerdings hat S bereits nach wenigen Tagen positive Kenntnis davon erlangt, dass sie nicht Eigentümerin des Comichefts geworden ist. Die Ersitzung ist damit nach § 937 Abs. 2 Alt. 2 BGB ausgeschlossen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

NATA

nataliaco

23.8.2023, 12:09:38

Warum hatte S den Comic in Eigenbesitz? Sie wusste doch laut Sachverhalt gerade, dass sie nicht Eigentümerin geworden ist, aber in der Lösung heißt es, sie würde ihn als Eigentümerin besitzen.

LAY

Lay

24.8.2023, 13:44:19

Für den Eigenbesitz kommt es nicht darauf an, ob der Besitzer tatsächlich Eigentümer ist. "Als ihm gehörend" ist so zu verstehen, dass der Besitzer die Sache wie ein Eigentümer beherrschen will, es kommt also auf seine Vorstellung (seinen Willen) an. Daher kann z. B. auch ein Dieb Eigenbesitzer sein.

LAY

Lay

24.8.2023, 13:57:21

In anderen Worten: Es kommt nur darauf an, dass der Besitzer nicht für jemand anderen besitzen will (dann wäre er Fremdbesitzer). An den Eigenbesitz knüpft übrigens auch die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB an (nicht der Wortlaut, aber sinngemäß => Abs. 3 stellt auf den mittelbaren Besitzer ab, daraus ergibt sich, dass Fremdbesitz nicht zur Eigentumsvermutung führen soll), da jemand, der eine Sache für sich selbst besitzen will, im Zweifel auch Eigentümer sein soll.

LELEE

Leo Lee

24.8.2023, 14:33:28

Hallo nataliaco und Lay, S wusste zwar, dass sie nicht Eigentümerin ist. Beachte jedoch, dass für den Besitz an sich (Def.: tatsächliche Sacherrschaft, getragen vom natürlichen Herrschaftswillen), Kenntnis und co. keine Rolle spielen (wie Lay völlig richtig angemerkt hat). D.h., sobald ich die physisch-reale Eingriffsmöglichkeit darauf habe und auch den entsprechenden Willen, diese Möglichkeit zu nutzen, bin ich Besitzer; ungeachtet dessen, ob ich weiß, dass ich zu Recht/Unrecht diese Sache besitze. Die Kenntnis wird dann nur später als Ausschlussgrund von § 937 BGB relevant. Beachte noch, dass wegen diesen faktischen Charakters des Besitzes auch Geisteskranke und Kinder eine Besitzposition innehaben können. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, F. Schäfer § 854 Rn. 26 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

NATA

nataliaco

11.9.2023, 09:58:16

Alles klar, danke für die Antworten :)


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