Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Widerruf & Verbraucherverträge

Vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts (§ 356 Abs.4 BGB)

Vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts (§ 356 Abs.4 BGB)

26. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hausherrin H beauftragt Fliesenleger F per Telefon, bei ihr neue Fliesen zu verlegen. H verlangt sofortige Leistung und bestätigt, sie wisse, dass sie ihr Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung verliere. F verlegt die Fliesen. Nach 5 Tagen gefallen H die Fliesen nicht mehr. Sie erklärt den Widerruf.

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Einordnung des Falls

Vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts (§ 356 Abs.4 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB). Deshalb steht H grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu.

Genau, so ist das!

Ein Widerrufsrecht besteht gemäß § 312g Abs.1 BGB bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet (§§ 312 Abs.1, 310 Abs.3 BGB) und die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines Fernabsatzsystems geschlossen werden (§ 312c BGB). Verbraucherin H (§ 13 BGB) und Unternehmer F (§ 14 BGB) haben per Telefon kommuniziert, daher ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet und der Vertragsschluss ist über das gerade für den Fernabsatz organisierte Dienstleistungssystem des F erfolgt. Es liegt somit ein Fernabsatzvertrag vor, sodass V grundsätzlich ein Widerrufsrecht gem. § 312g Abs.1 BGB zusteht.
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2. Da die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt, ist der Widerruf zumindest innerhalb dieser Frist immer möglich.

Nein, das trifft nicht zu!

Gemäß § 355 Abs.2 S.1 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage. Allerdings kann das Widerrufsrecht auch schon vor Fristablauf erlöschen. Bei Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen, bei denen der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet ist, erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 356 Abs.4 Nr.2 BGB, wenn der Vertrag (1) die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat, (2) der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat, (3) der Verbraucher der Dienstleistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist ausdrücklich zugestimmt hat, wobei diese Erklärung bei Außergeschäftsraumverträgen auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt werden muss, sowie (4) seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er in diesem Fall sein Widerrufsrecht vorzeitig verliert. Die Erlöschensgründe für das Widerrufsrecht für Dienstleistungsverträge sind seit dem 28.05.2022 aus Gründen der Übersichtlichkeit in § 356 Abs.4 BGB neu gefasst. Lies Dir hier den neuen Gesetzestext durch!

3. Kann § 356 Abs.4 Nr. 2 BGB auf Werkverträge angewendet werden?

Ja!

Der Begriff der „Dienstleistung“ nach § 356 Abs.4 Nr. 2 BGB muss im europarechtlichen Sinne weit ausgelegt werden, sodass auch Werkleistungen darunterfallen. Die vollständige Erbringung der Dienstleistung liegt nur, wenn die Leistung mangelfrei erbracht wurde.

4. Da H innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist den Widerruf gegenüber F erklärt hat, ist dieser fristgerecht und wirksam erfolgt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Widerruf kann grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen erklärt werden (§ 355 Abs.2 BGB), sofern das Widerrufsrecht nicht bereits vorher erloschen ist (§ 356 Abs.4 BGB). H stand zunächst ein Widerrufsrecht nach §§ 312g Abs.1, 312c BGB zu. Bei dem abgeschlossenen Werkvertrag handelt es sich aber um einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen vor im Sinne des § 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB. F hat durch Verlegung aller Fliesen die „Dienstleistung“ vollständig erbracht hat. H hat in Kenntnis des Verlust des Widerrufsrechts umgehende Leistung verlangt. Zum Zeitpunkt des Widerrufs war ihr Widerrufsrecht nach § 356 Abs.4 Nr.2 BGB bereits erloschen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

enise

enise

1.7.2022, 13:40:53

Müsste H den die Erklärung des Widerrufsverzichts nicht auf einem dauerhaften Datenträger erklären? (Hier telefonisch)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.7.2022, 18:42:49

Hallo ea., herzlich willkommen im Jurafuchs-Forum und vielen Dank für Deine Frage. Hier musst Du etwas Vorsicht bei der Subsumtion walten lassen. Bei dem zwischen H und F geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag nach § 312c BGB (Fernkommunikationsmittel). Das Erfordernis, dass der Widerrufsverzicht auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt wird, gilt indes entsprechend nur für den

Außergeschäftsraumvertrag

iSv § 312b BGB. Dies ergibt sich aus § 356 Abs. 4 Nr. 2b BGB (beruht auf Art. 7 Abs. 3 Verbraucherrechte-RL, https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:304:0064:0088:de:PDF). Der Fernabsatzvertrag kennt ein solches Formerfordernis dagegen nicht (vgl. auch Art. 8 Abs. 8 Verbraucherrechte-RL). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

REUS04

Reus04

3.9.2023, 13:14:21

Was ist wenn H keine Kenntnis von dem Erlöschen ihres Widerrufsrechts hat? Wäre der Widerruf dann unproblematisch möglich?

QUIG

QuiGonTim

12.3.2024, 06:30:39

Ja, die

positive Kenntnis

von der Rechtsfolge des Erlöschens ist zwar Tatbestandsvoraussetzung. Allerdings erfordert § 356 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) BGB die ausdrücklich Zustimmung zum Beginn der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist. Damit wird zumindest gefordert, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, sich innerlich mit der regelmäßigen Widerrufsfrist auseinanderzusetzen.

QUIG

QuiGonTim

12.3.2024, 06:33:59

Ich hatte in diesem Fall eher den Einzelunternehmer, der, während er Fliesen verlegt, auch mal an das Telefon geht, vor Augen. Würde das für das von § 312c Abs. 1 BGB geforderte Fernabsatzsystem ausreichen? Welche Mindestanforderungen sind allgemein an das Fernabsatzsystem zu stellen?

Johannes Nebe

Johannes Nebe

29.9.2024, 10:51:42

Richtig, @[QuiGonTim](133054). Dass der Fliesenleger ein gerade für den Fernabsatz organisiertes Dienstleistungssystem betreibt, geht aus dem Sachverhalt überhaupt nicht hervor.

Johannes Nebe

Johannes Nebe

29.9.2024, 10:57:26

In dieser Aufgabe wird an etlichen Stellen zwischen "Abs." und der folgenden Ziffer kein Leerzeichen gesetzt. Hat sich insofern an der juristischen Konvention etwas geändert? Oder will man ein Zeichen dafür setzen, dass in den Rechtswissenschaften lästige Details nicht überbewertet sollen?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

28.10.2024, 16:54:29

Hallo Johannes Nebe, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

28.10.2024, 17:14:45

Hallo @[Johannes Nebe](174311), danke für Deine Anmerkung. Wir wissen es zu schätzen, wie sehr Du Dich in der Jurafuchs-Community durch zahlreiche Beiträge und Kommentare engagierst. Manchmal kann man es aber auch übertreiben, wie dieser Kommentar von Dir zeigt. Du könntest auch einfach schreiben: „In dieser Aufgabe fehlt zwischen „Abs.“ und der folgenden Ziffer an etlichen Stellen ein Leerzeichen.“ Du hast richtigerweise eine Abweichung von der bei Jurafuchs üblichen Praxis festgestellt, zwischen „Abs.“ und die nachfolgende Ziffer ein Leerzeichen zu setzen (ganz abgesehen davon, dass es die von Dir unterstellte juristische Konvention nicht gibt), und wir sind für den Hinweis dankbar. Stattdessen fühlst Du Dich dazu hingerissen, den kleinen Formfehler zum Anlass für ein abfälliges Urteil zu nehmen. Deine Kritik in allen

Ehre

n: Wir haben lange daran gearbeitet, dass die Kommunikation (auch berechtigter Kritik) in der Jurafuchs-Community sachlich, konstruktiv, hilfsbereit und zielführend ist. Deshalb schätzen unsere Nutzerinnen und Nutzer unser Forum auch so sehr, gerade weil es sich von der aufgeheizten Diskussionsunkultur in sozialen Netzwerken bewusst unterscheidet. Dieser Kommentar von Dir trägt zu der guten Kommunikationskultur im Jurafuchs-Forum erkennbar nicht bei. Wir freuen uns darauf, wenn Du auch in Zukunft Deine Kritik sachlich äußerst. Herzliche Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

28.10.2024, 18:30:11

Völlig d'accord, @[Wendelin Neubert](409), habe mich hier zu Sarkasmus hinreißen lassen, und das hätte ich gut sein lassen können. Die Diskussionskultur finde ich bei Jurafuchs in der Tat sehr gut. Eigentlich mache ich diese Anmerkungen zu den redaktionellen Schwächen, weil ich es schade finde, dass gelegentlich das sprachliche und redaktionelle Erscheinungsbild hinter dem tollen juristischen und didaktischen Niveau zurückbleibt. -- Ich gelobe Besserung.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

29.10.2024, 13:59:04

Lieber @[Johannes Nebe](174311), danke für Deine nette Rückmeldung, das freut mich. Ja, Du hast recht, manche formelle Fehler bleiben auch in unseren Augen hinter dem inhaltlichen Niveau von Jurafuchs zurück, weshalb wir konsequent an der Fehlerbehebung und Fehlervermeidung arbeiten und für Deine Hinweise dankbar sind! Herzliche Grüße - Wendelin


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