Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Widerrufs eines Partnervermittlungsvertrages

Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Widerrufs eines Partnervermittlungsvertrages

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

P schließt bei K mit dieser einen Partnervermittlungsvertrag. „Hauptleistungspflicht“ ist nach dem Vertragsformular die Erstellung von 21 Partnervorschlägen, verfügbar für 12 Monate. K verlangt umgehende Leistung und zahlt die Vergütung. P erstellt 21 Vorschläge. Nach 5 Tagen hat K 3 davon erhalten und erklärt den Widerruf.

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Einordnung des Falls

Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Widerrufs eines Partnervermittlungsvertrages

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2022
Examenstreffer NRW 2022

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag. Deshalb hat K grundsätzlich ein Widerrufsrecht.

Ja, in der Tat!

Ein Widerrufsrecht besteht gemäß § 312g Abs. 1 BGB bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben (§§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB) und bei körperlicher Anwesenheit der Parteien an einem anderen Ort als in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen werden (§ 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB). K ist Verbraucherin (§ 13 BGB), P ist als Partnervermittlerin Unternehmerin (14 BGB). K und P haben den Vertrag in der Wohnung der K geschlossen. Dabei waren sie beide körperlich anwesend. Mithin liegt ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vor, bei dem K als Verbraucherin grundsätzlich ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB zusteht.Achtung: Auf den „Partner-Vermittlungsvertrag“ finden die Regelungen des § 656 BGB keine Anwendung (auch nicht analog!). Vielmehr wird er von der Rechtsprechung als Dienstvertrag qualifiziert.
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2. Da die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt, ist der Widerruf zumindest innerhalb dieser Frist immer möglich.

Nein!

Gemäß § 355 Abs. 2 S. 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage. Allerdings kann das Widerrufsrecht auch schon vor Fristablauf erlöschen. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 356 Abs. 4 BGB, wenn (1) der Vertrag die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand hat, (2) der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat, (3) der Verbraucher dem ausdrücklich durch Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger zugestimmt hat sowie (4) seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er in diesem Fall sein Widerrufsrecht vorzeitig verliert.

3. Der Unternehmer hat seine Dienstleistung erst vollständig erbracht, wenn alle Pflichten erfüllt sind, die für die Erbringung der Hauptleistung erforderlich sind.

Genau, so ist das!

BGH: Das vollständige Erbringen der Leistung sei als Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie in deren Lichte auszulegen. Hierzu habe der EuGH (NJW 2020, 3771) entschieden, dass für die Wertersatzberechnung im Widerrufsfall sowohl die Hauptleistung als auch die für die Erbringung dieser Hauptleistung erforderlichen Nebenleistungen zu berücksichtigen seien. Daraus sei zu schließen, dass das vollständige Erbringen der Leistung des Unternehmers jedenfalls die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht erfordere (RdNr. 21).

4. Als Hauptleistung ist vorliegend diejenige Leistung anzusehen, die das Vertragsformular als solche bezeichnet.

Nein, das trifft nicht zu!

P hat als Unternehmerin ein Vertragsformular verwendet, sodass die betreffende Klausel eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt (§§ 305 Abs. 1 S. 1, 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Zwar sind AGB nicht inhaltlich überprüfbar, soweit sie Art und Umfang der vertraglichen Leistungspflichten unmittelbar regeln (BGH NJW 2010, 150). BGH: Die Klausel regele nicht den Inhalt der Leistungspflichten, sondern versuche, den Leistungsbegriff an sich umzudefinieren. Dieser stehe jedoch nicht zur Disposition der Parteien; vielmehr sei anhand der individuellen Parteivereinbarungen zu ermitteln, welche Leistungspflicht das Wesen des Vertrags charakterisiere und deshalb Hauptleistungspflicht sei (RdNr. 25).

5. Das „Wesen“ des Vertrags und damit die Hauptleistungspflicht der P liegt darin, dass P die Partnervorschlagsliste erstellt.

Nein!

BGH: Eine Leistungspflicht präge das „Wesen“ des Vertrags, wenn die Vertragsauslegung ergebe, dass der Leistung nach dem Willen des Empfängers eine wesentliche Bedeutung zukomme und dieser die Leistung unter allen Umstände erlangen wolle (RdNr. 22). BGH: Aus Sicht der K sei die Erstellung der Vorschlagsliste lediglich eine Vorbereitungshandlung. Für sie komme es vielmehr wesentlich auf die Übersendung der erstellten Vorschläge an. Ohne diese Übersendung sei die bloße Erstellung für K bedeutungslos. Darüber hinaus sei K auch darauf angewiesen, dass P die Vorschlagsliste während der einjährigen Vertragslaufzeit fortlaufend aktualisiere, um K die Möglichkeit der Kontaktanbahnung offenzuhalten.

6. P hat ihre Dienstleistung gemäß § 356 Abs. 4 S. 1 BGB vollständig erbracht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Vollständig erbracht ist die Dienstleistung, wenn der Unternehmer jedenfalls seine Hauptleistungspflicht erfüllt hat. Hauptleistungspflicht hier war die Übersendung aller erstellten Vorschläge sowie deren fortlaufende Aktualisierung. P hat erst 3 von 21 erstellen Vorschlägen an K übersendet. Die Hauptleistungspflicht ist demzufolge noch nicht vollständig erfüllt.

7. Der Widerruf der K ist wirksam.

Ja, in der Tat!

Der wirksame Widerruf erfordert (1) ein Widerrufsrecht und (2) eine Widerrufserklärung innerhalb der (3) Widerrufsfrist. Außerdem darf der Widerruf (4) nicht ausgeschlossen sein. K hat grundsätzlich ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB. Sie hat auch gegenüber P den Widerruf erklärt. Die Widerrufsfrist gemäß § 355 Abs. 2 S. 1 BGB hat sie unabhängig davon, wann sie hier konkret begonnen hat, in jedem Fall eingehalten. Mangels vollständiger Leistungserbringung durch P greift auch kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 356 Abs. 4 BGB ein. Damit hat K den Vertrag wirksam widerrufen.

8. Infolge des Widerrufs kann K die gezahlte Vergütung zurückverlangen.

Ja!

Aufgrund des wirksamen Widerrufs kann K die geleistete Zahlung gemäß § 355 Abs. 3 S. 1 BGB zurückverlangen. Umgekehrt kann P von K nach § 357a Abs. 2 S. 1 BGB Wertersatz für die erbrachten Leistungen verlangen. Dabei ist gemäß § 357a Abs. 2 S. 2 BGB der Gesamtpreis zugrunde zu legen. Nach dem EuGH (NJW 2020, 3771) ist der Wertersatz bei Laufzeitverträgen außerdem zeitanteilig zu berechnen, wenn der Vertrag nicht festlegt, dass bestimmte Leistungen vollständig und gesondert zu einem separaten Preis erbracht werden. P kann also maximal 3 Vorschläge abrechnen und muss den Betrag zusätzlich an das Verhältnis zwischen tatsächlicher und vereinbarter Vertragslaufzeit anpassen. Danach bleibt ihr nur ein winziger Bruchteil der Gesamtvergütung als Wertersatz!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EGA

egal

20.11.2021, 09:29:52

Sind "AGB", die die Haupt

leistungspflicht

regeln nicht automatisch schon Individualvereinbarungen? 🤔

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2021, 11:11:45

Hallo liebe Nutzer*in, nach der Legaldefinition des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind allgemeine Geschäftsbedingungen "alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt". Dabei macht es für das Vorliegen von AGB zunächst keinen Unterschied, welchen Bereich die Vertragsbedingungen regeln. Dass Haupt

leistungspflichten

(zB Preise) in der Regel nicht der AGB-Kontrolle unterliegen, folgt dagegen aus § 307 Abs. 3 BGB. Denn eine Kontrolle findet eben nur insoweit statt, wie die Vertragsbedingung von Rechtsvorschriften abweichen bzw. diese ergänzen. Sofern dies bei den Haupt

leistungspflichten

aber nicht der Fall ist, erfolgt auch keine Prüfung anhand der §§ 307 ff. BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2021, 11:15:08

*P.S.: Eine

Individualabrede

nach

§ 305b BGB

liegt dagegen nur vor, wenn die Parteien eine Einzelfallabrede geschlossen haben. Dies liegt indes nicht vor, wenn sie sich einfach auf die standardmäßig in den AGB vereinbarten Vertragsbedingungen einigen.

EL

Ella

20.1.2022, 23:29:06

Wieso ist bei der RF des Widerrufs 355 III und nicht 357 I zitiert? Ist 357 I nicht spezieller für die Rückabwicklung von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.1.2022, 09:20:08

Hallo Ella, in der Tat modifiziert § 357 Abs. 1 BGB den § 355 Abs. 1 S. 1 BGB dahingehend, dass hierdurch eine Höchstfrist von 14 Tagen normiert wird. Grundsätzlich bleibt es aber dabei, dass die Leistungen "unverzüglich" zurückgewährt werden müssen (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB). Die Höchstfrist darf insofern nicht ausgeschöpft werden. Vielmehr ist weiterhin ohne schuldhaftes Zögern die Leistung zurückzugewähren (ggfs. also schon deutlich früher). Maßgeblich ist damit primär § 355 Abs. 3 BGB. Spätestens wenn die Höchstfrist abgelaufen ist, liegt aber keine Unverzüglichkeit mehr vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

9.2.2022, 11:37:05

Mir fehlt ein Hinweis darauf, wo der Vertrag geschlossen wurde.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.2.2022, 12:37:47

Hallo Isabell, das ist etwas versteckt im ersten Satz. Der Vertrag wird "bei K", also bei der Verbraucherin geschlossen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

9.2.2022, 12:38:50

Wer genau liest und so 😅 Danke für's auf die Sprünge helfen!

QUEEN

queenoflaw

24.10.2022, 14:31:22

Dee Fall war heute in NRW im Examen dran.

AMA

Alisa Marie

24.10.2022, 14:46:26

Lief heute auch in Berlin Brandenburg

Ranii

Ranii

24.10.2022, 16:00:33

Der Fall kam 1:1 in Berlin heute im 1. Examen

LP

LP

3.1.2023, 10:47:30

Ich fand die letzte Frage undeutlich formuliert. Denn es ist ja klar, dass K nur ein Teil des Betrages zurückbekommt. Vielleicht kann man die Frage mit „zum Teil“ ergänzen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.1.2023, 11:06:46

Hallo LP, vielen Dank für Deinen Hinweis. Hier musst Du aufpassen, dass Du nicht verschiedene Ansprüche vermischt. Infolge des Widerrufs hat K erst einmal einen Anspruch auf die volle Rückzahlung der Vergütung. Im Hinblick auf diesen Anspruch ist es erst einmal irrelevant, dass daneben auch P einen Wertersatzanspruch hat. In der praktischen Umsetzung wird P aber in der Tat einfach die Aufrechnung mit ihrem Wertersatzanspruch erklären und dann nur einen Teil der Vergütung zurückgeben. Rechtlich musst Du dies aber sauber trennen. Da es hier erst einmal nur um den entstandenen Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung geht, bleiben Erlöschensgründe (Aufrechnung) also bei der Beantwortung der Frage erst einmal außer Betracht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

antoniasophie

antoniasophie

31.1.2023, 22:58:35

Welche Norm wäre es für den Anspruch von P nach aktueller Rechtslage? Inzwischen ist der Wortlaut von § 357 VIII anders

GNU

Gnu

4.2.2023, 17:34:57

Die Regelung zum Wertersatz befindet sich jetzt in einem neuen § 357a :)

Jonas91

Jonas91

23.6.2023, 10:30:49

Ich glaube, hier müssten die Normen angepasst werden. Der auf Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Dienstleistungen gerichtete Anspruch des Unternehmens bei Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen ist, wenn ich das richtig, sehe, nunmehr in 357a Abs. 2 n.F. geregelt.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

22.8.2023, 12:47:54

Ja, es müsste § 357a Abs. 2 und § 357a Abs. 2 S. 2 BGB heißen anstatt § 357 Abs. 8 und 357 Abs. 8 S. 4.

FL

Flohm

18.1.2024, 15:55:15

Klasse Fall, leider sind bei mir noch ein paar Fragen offen. 1. Beim Wertersatz von P gem. §357a II müsste man Nr. 1-3 doch prüfen oder? Es ist nicht ersichtlich, dass P die K gem. Nr. 3 ordnungsgemäß informiert hat. 2. §356 IV Nr. 1 setzt einen Vertrag voraus, bei dem der Verbraucher nicht zur Zahlung eines Preises verpflichtet ist. Ist aber der Verbraucher nicht immer zur Zahlung eines Preises verpflichtet aufgrund von §§312g, 312 I ? 3. oder gibt es noch andere Widerrufsrechte (außer §§312g, 312 I) mit denen man zu §356 IV gelangt ?

Ala

Ala

15.3.2024, 10:54:11

Hi, warum ist der Widerruf in dem Fall nicht gem. oben genannter Norm ausgeschlossen?

TI

Timurso

15.3.2024, 13:33:04

Weil diese Norm nur bei der Lieferung von Waren, also beweglicher Sachen, gilt und nicht bei der Erbringung von Dienstleistungen.

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

19.3.2024, 09:27:31

Hallo ihr beiden, genau! Auch wenn man je nach Vertragsgestaltung in der Übersendung der Partnervorschläge an sich die Lieferung einer beweglichen Sache (§§ 312g II Nr. 1, 241a I BGB) sehen wollte, wäre der Vertrag schwerpunktmäßig eindeutig ein Dienstleistungsvertrag, sodass dennoch nicht unter die Norm subsumiert werden könnte ("Verträge zur Lieferung von Waren"). Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

22.3.2024, 15:23:36

@[Lukas_Mengestu](136780)


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