„Silvesterraketenfall“

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A will das neue Jahr gebührend einleiten. Dafür steckt er in seinem Garten eine Rakete an. Diese steigt zuerst nach oben, schwenkt dann aber über in eine kleine Dachspalte des 12 m entfernten Nachbarhauses der N, welches Feuer fängt und abbrennt.

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Einordnung des Falls

„Silvesterraketenfall“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N stand ein vorbeugender, negatorischer Unterlassungsanspruch im Hinblick auf das Entzünden der Feuerwerkskörper zu (§ 1004 Abs. 1 S. 2. BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB setzt zunächst eine hinreichend (drohende) Eigentumsverletzung . Ein Unterlassungsanspruch besteht allerdings erst dann, wenn sich objektiv eine die Emission ermöglichende konkrete Gefahrenquelle gebildet hat, auf Grund deren ein Einschreiten geboten ist.Allein das Anzünden von Feuerwerksraketen und die potentielle Möglichkeit, dass diese abdriften können, stellt noch keine hinreichend konkrete Gefahrenquelle dar. N ist es insoweit nicht möglich, A jegliches Entzünden von Feuerwerkskörpern in der Umgebung seines Hauses zu verbieten.
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2. Dem Grunde nach stand N aber ein Abwehranspruch gegen die eingedrungene Rakete zu (§ 1004 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist, (2) eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, (3) der Anspruchsgegner Störereigenschaft hat, und (4) keine Pflicht zur Duldung der Störung besteht. Ns Eigentum wird durch die eindringende Rakete beeinträchtig. Diese war von N entzündet worden. Es handelt sich um eine Grobimmission, die A an sich nicht dulden musst.

3. N war es aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, den Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen.

Ja!

Die Unmöglichkeit der Störerabwehr aus tatsächlichen Gründen setzt einen faktischen, unverschuldeten Duldungszwang voraus. Der Anspruchsberechtigte wird aus tatsächlichen Gründen gehindert, die Störung nach § 1004 Abs. 1 BGB oder § 862 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden und hat dadurch unzumutbare Nachteile erlitten. Es war N nicht möglich, zwischen dem Zeitpunkt des Eindringens der Rakete und des Abbrennens rechtzeitig Rechtsschutz zu erlangen. N war also einem faktischen Duldungszwang ausgesetzt. Die Störerabwehr ist N also aus tatsächlichen Gründen unmöglich. In Betracht kommt insoweit der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.

4. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (analog) soll nachbarliche Konflikte ausgleichen, die durch die Nutzung des Grundstücks auftreten. Kommt dieser Zweck hier zum Tragen?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB soll Ausgleich für nicht zumutbare Nachteile gewähren, die Nachbarn aus der Nutzung eines Grundstücks erwachsen. Das beeinträchtigende Verhalten muss dabei der konkreten Nutzung des Grundstücks zuzuordnen sein und einen sachlichen Bezug zu diesem aufweisen. Die Rakete, die Ns Haus zerstört hat, hätte letztlich überall abgebrannt werden können, beispielsweise auch auf öffentlichen Straßen. Dass die Beeinträchtigung von As Grundstücks ausging ist, war rein zufällig. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch scheidet deshalb nach der Rechtsprechung des BGH hier aus.

5. A hat beim Abbrennen der Rakete die im Verkehr übliche Sorgfalt beachtet. Kann N von ihm Ersatz für die Beschädigung seines Hauses verlangen?

Nein, das trifft nicht zu!

Vertragliche Sorgfaltspflichten bestehen zwischen A und N nicht (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB). Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog) scheidet nach der Rechtsprechung des BGH aufgrund des fehlenden spezifischen Grundstücksbezugs aus. Ein deliktischer Anspruch auf Schadensersatz (§ 823 Abs. 1 BGB) scheitert am fehlenden Verschulden des A, da dieser die Rakete ordnungsgemäß abgefeuert hat. Somit steht N kein Anspruch auf Schadensersatz bzw. angemessenen Ausgleich zu.Die Begrenzung der analogen Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch auf spezifische Grundstücksnutzungen verhindert damit letztlich eine allzu ausufernde verschuldensunabhängige Haftung von Grundstückseigentümern.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Blackpanther

Blackpanther

27.10.2023, 12:11:15

Ich verstehe noch nicht so ganz, warum §

906 II 2 analog

in Fällen der faktischen Unmöglichkeit der Störungsabwehr überhaupt notwendig ist. Geht man mit der Rspr besteht als Rechtsfolge von § 1004 doch ohnehin ein Wiederherstellungsanspruch (z.B. auf Reparatur des abgebrannten Daches).

BAY

bayilm

19.12.2023, 21:55:35

Soweit ich das verstanden habe, wird das geprüft, weil § 906 II 2 BGB gerade nur einschlägig ist, wenn eine

Duldung

spflicht besteht und hier eine nicht zu duldene Beeinträchtigung vorliegt, muss man § 906 II 2 BGB analog anwenden. §

1004 BGB

ist hier wenig zielführend, weil dies nur einen Anspruch auf die Beseitigung der Störung darstellt. Die Störung ist hier aber ja schon in einem Schaden umgeschlagen, unf es war faktisch nicht möglich dies zu verhindern. Auch wenn § 1004 grds. Einschlägig gewesen wäre. Daher greift man auf den Wertersatz durch § 906 II 2 BGB zurück.

LUAP

Luapzz

15.10.2024, 17:45:25

Mich würde interessieren, ob es für den Eigentümer des abgebrannten Hauses irgendeine Möglichkeit gibt doch irgendwie etwas von dem Raketenzünder zu bekommen?

TI

Timurso

15.10.2024, 18:25:21

Ich wüsste nicht, woraus. Höchstens würde ich einen Anspruch gegen den Verkäufer/Hersteller der Rakete sehen, wenn diese mangelhaft war und der Schaden dadurch ausgelöst wurde.


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