+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die 14-jährige T erstellt mit Erlaubnis ihrer Eltern einen Facebook-Account. Ein Jahr später verunglückt T tödlich. Vater V ist Alleinerbe. Er möchte mithilfe der Facebook-Nachrichten der T herausfinden, ob T Suizidabsichten hatte. Der Account ist jedoch im „Gedenkzustand“ und damit gesperrt.
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Einordnung des Falls
Sind Social-Media-Konten vererblich? Mit dieser Frage hatte sich der BGH in dem tragischen Fall einer verunglückten 15-Jährigen zu befassen, deren Eltern anhand ihrer Facebooknachrichten Hinweise auf eventuelle Suizidabsichten suchen wollten. Der BGH positionierte sich klar zugunsten der Erben und entschied, dass auch Social-Media-Konten im Wege der Universalsukzession (§ 1922 BGB) auf die Erben übergehen.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Erwirbt V als Rechtsnachfolger alle vererbbaren dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüche der T (§ 1922 BGB)?
Genau, so ist das!
Vater V tritt nach dem Grundsatz der
Universalsukzession in alle vererbbaren Rechte und Pflichten aus Rechtsverhältnissen der Erblasserin T ein (§ 1922 Abs. 1 BGB). Die Rechtsnachfolge umfasst neben dinglichen Rechten auch Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schuldrechtlichen Verträgen (Leipold, in: MükoBGB, § 1922 RdNr. 20ff.). Wie sich aus § 2047 Abs. 2, § 2373 S. 2 BGB ergibt, gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichem Inhalt auf die Erben über (RdNr. 49).
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2. Ist der Nutzungsvertrag mit Facebook höchstpersönlicher Art? Kann er - wie eine Mitgliedschaft in einem Verein (§ 38 BGB) und eine höchstpersönliche Forderung (§ 399 BGB) – nicht vererbt werden?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Die Pflichten von Facebook seien nicht höchstpersönlicher Natur. Facebook erbringe lediglich die technische Infrastruktur für die Kommunikation, um Nachrichten an andere Nutzerkonten zu übermitteln. Die Leistungen von Facebook seien gegenüber jedem Nutzer gleich. Allein die von den Nutzern geschaffenen Inhalte (Nachrichten, Gestaltung der Profilseite etc.) seien persönlichkeitsrelevant. Es ergebe sich auch kein höchstpersönlicher Charakter der Leistungen von Facebook daraus, dass die Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der T geschützt werden müssten. Der Versender einer Nachricht habe nach dem Abschicken keinen Einfluss darauf, wer Kenntnis von Nachrichten nimmt und müsse daher mit dem Kontenzugriff Dritter rechnen (RdNr. 35ff.).
3. Ist der Anspruch der T auf Zugang zum Facebook-Account unvererblich wegen des postmortalen Persönlichkeitsrechts der T (Art. 1 Abs. 1 GG)?
Nein!
Das postmortale Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet und dient dem Schutz des sozialen Geltungsanspruchs Verstorbener, den diese durch ihre Lebensleistung erworben haben (Sprau, in: Palandt, 77. A., § 823, RdNr. 89). Dieses Recht vermittelt nahen Angehörigen bei Eingriffen in das Recht Abwehransprüche in Form von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen. BGH: Diese Rechtsfolge stehe hier gar nicht in Rede (RdNr. 52f.).
4. Ist der Anspruch der T auf Zugang zum Facebook-Account unvererblich wegen des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG), das T und ihre Kommunikationspartner schützt?
Nein, das ist nicht der Fall!
Das Fernmeldegeheimnis findet seine einfachgesetzliche Ausprägung in § 88 TKG, der es Diensteanbietern untersagt, "sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste (...) erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt (...) der Telekommunikation zu verschaffen." (§ 88 Abs. 3 TKG). Der Erbe ist aber kein "anderer", sondern infolge der
Universalsukzession neuer Vertragspartner von Facebook. Der Schutzgehalt des Art. 10 GG, die Kommunikation vor der Kenntnisnahme Dritter zu schützen, ist daher nicht berührt. Dies folgt auch aus einem Vergleich zu analoger Post, denn hier gewähren § 2047 Abs. 2, und § 2373 S. 2 BGB dem Erben ebenfalls ein Zugriffsrecht (BGH, Urteil vom 12.7.2018 – III ZR 183/17 RdNr. 54ff.).
5. Hat V keinen Anspruch auf Zugriff auf den Facebook-Account der T, weil Facebook wirksam über AGB mit T vereinbart hat, dass nach ihrem Tod der Gedenkzustand aktiviert wird?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Regelungen, wie die vorliegenden, die die Leistungspflicht des Verwenders (Facebook) einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, seien keine der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB entzogenen Leistungsbestimmungen. Sie hielten der Inhaltskontrolle zudem nicht stand. Sie enthielten eine unangemessene Benachteiligung der T (§ 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB): Die Regelung über den Gedenkzustand beeinträchtige nur formal die Vererbbarkeit nicht. Faktisch höhle sie diese aber aus, weil die Erben entgegen dem Grundsatz der
Universalsukzession keinen Zugriff auf das Konto haben sollen (RdNr. 28ff.).
6. Konnte T, da sie beschränkt geschäftsfähig ist (§ 106 BGB), nur mit Zustimmung ihrer Eltern einen wirksamen Nutzungsvertrag mit Facebook schließen?
Ja!
Die gemäß §§ 2, 106 BGB beschränkt geschäftsfähige T bedurfte zum Abschluss eines Nutzungsvertrags mit Facebook der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (§ 107 BGB). Die Nutzung von Facebook ist an zahlreiche Bedingungen geknüpft, die einen rechtlichen Nachteil darstellen. Die Eltern haben die Einwilligung erteilt. Die Rechtsnatur dieses schuldrechtlichen Vertrages lässt der BGH im zugrunde liegenden Urteil offen (RdNr. 19). Das Thema ist umstritten: Eine Auffassung behandelt ihn als Austauschvertrag mit miet-, dienst- und werkvertragliche Elementen. Eine andere Auffassung wendet aufgrund der Unentgeltlichkeit Auftragsrecht an.
Mittlerweile enthalten §§ 327ff. BGB Spezialregelungen für digitale Produkte, bilden allerdings keinen neuen, eigenen Vertragstypus. Für Social Media-Plattformen wie Facebook wäre insoweit bei der Prüfung des Anwendungsbereichs insbesondere an § 327 Abs. 3 BGB zu denken.
7. V hat gegenüber Facebook einen Anspruch auf uneingeschränkten Zugriff auf den Facebookaccount durch seine Stellung als Erbe der T.
Ja, in der Tat!
Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks ist der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB Teil der Erbmasse. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen. V ist Erbe der T. Da der Anspruch nicht durch Grundrechte der T oder Dritter einzuschränken ist und auch der Nutzungsvertrag den Zugriff der Erben nicht wirksam ausgeschlossen hat, steht dem V ein Anspruch auf Zugriff aus dem Nutzungsvertrag zu.