„Passauer Giftfallenfall“

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Passauer Giftfallenfall (BGH 12.08.1997): Ein Apotheker stellt eine Flasche Bier mit einer tödlichen Menge Gift auf, davon ausgehend, dass die Einbrecher davon trinken.

Bei dem Apotheker T wurde in letzter Zeit häufig eingebrochen. Daher stellt er eine Flasche Bier mit einer tödlichen Menge Gift auf, davon ausgehend, dass die Einbrecher davon trinken. Er informiert auch die ermittelnden Polizeibeamten, um diese nicht zu gefährden. Diese überreden ihn daraufhin, das Gift zu entfernen, was T noch am selben Nachmittag tut.

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Einordnung des Falls

In dieser Entscheidung befasst sich der BGH mit dem Merkmal des „unmittelbaren Ansetzens“ zum Versuch (§ 22 StGB), also dem Übergang von der straffreien Vorbereitungsphase zur strafbaren Versuchsphase. Konkret ging es um die Frage, wann der Täter zur Tat „unmittelbar ansetzt“, wenn es für die Vollendung der Tat zwingend auf die Mitwirkung des Opfers ankommt (z.B. Austrinken der präparierten Giftfalle), aber ungewiss ist, ob das Opfer überhaupt erscheint. Der BGH zieht hier eine Parallele zu den Fällen der mittelbaren Täterschaft und bejaht erst dann ein unmittelbares Ansetzen, wenn das Opfer erscheint und Anstalten trifft, die selbstschädigende Handlung vorzunehmen.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar?

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB).
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2. Hat T „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags?

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt.T nimmt billigend in Kauf, dass ein Mensch stirbt. Er hatte also Vorsatz in Bezug auf die Tatbestandsverwirklichung.

3. Hat T nach dem BGH durch das Hinstellen des vergifteten Getränkes "unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt"?

Nein, das trifft nicht zu!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.Bei den vorliegenden Fällen ist eine Mitwirkung des Opfers zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich, womit diese Fälle mit denen der mittelbaren Täterschaft zumindest vergleichbar sind. Der BGH führt aus, dass ein unmittelbares Ansetzen in derartigen Fällen dann vorliege, wenn der Täter die Falle aufstellt und "das Opfer [sich] in den Wirkungskreis des vorbereiteten Tatmittels begibt". (RdNr. 10) Dies richte sich aber nach der Tätervorstellung, wobei bei Sicherheit über das Erscheinen des Opfers bereits bei Abschluss der Tathandlung unmittelbares Ansetzen vorliegen solle. Ist das Erscheinen jedoch ungewiss, hänge es von der objektiven Bedingung ab, dass das Opfer tatsächlich erscheint.

4. Ist die Ansicht des BGH unumstritten?

Nein!

Es werden zur Lösung derartiger Sachverhalte unterschiedliche Ansätze vertreten, welche denen beim Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft ähneln. Die Entscheidung des BGH wird insbesondere kritisiert, da sie nicht mehr auf die Tätervorstellung abstellt, wie es § 22 StGB fordert, sondern auf den Eintritt objektiver Bedingungen. Auch sei eine Unterscheidung des Versuchsbeginns danach, wie sicher der Täter über den Eintritt der Mitwirkungshandlung ist, falsch. Als Alternativlösung wird daher zum einen vertreten, dass bei Abschluss aller Vorbereitungshandlungen die Versuchsschwelle überschritten ist. Eine andere Theorie stellt auf das subjektive Vorstellungsbild ab und bejaht einen Versuch dann, wenn der Täter davon ausgeht, dass nun jederzeit der Taterfolg eintreten kann. Die Unterscheidung ist insbesondere dann relevant, wenn der Eintritt des Erfolges - für den Täter unfreiwillig - verhindert wird.

5. Wäre nach den anderen beiden Theorien ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine andere Auffassung, welche von einem beachtlichen Teil der Literatur vertreten wird, stellt darauf ab, dass die Vorbereitung abgeschlossen ist und der Täter nun jederzeit mit dem Erfolgseintritt rechnet, also eine unmittelbare Gefährdung vorliege.Vorliegend ist dies erst dann der Fall, wenn T mit einem möglichen Trinken der Flasche rechnet, mithin kurz nach einem möglichen Einbruchszeitpunkt und frühestens nach 20 Uhr, da vorher nicht ernsthaft mit einem Einbruch und einer damit einhergehenden Gefährdung zu rechnen war.

6. Stellt man auf den Abschluss der Vorbereitungshandlungen ab, wäre ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen.

Ja, in der Tat!

Teilweise wird für die Frage des unmittelbaren Ansetzens darauf abgestellt, inwieweit der Täter die notwendigen Vorbereitungshandlungen abgeschlossen hat.Mit dem Aufstellen der Falle wäre danach ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen. Jegliche Folgehandlung des T wäre eine Frage über den Rücktritt.
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