„Passauer Giftfallenfall“
9. Mai 2023
12 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bei dem Apotheker T wurde in letzter Zeit häufig eingebrochen. Daher stellt er eine Flasche Bier mit einer tödlichen Menge Gift auf, davon ausgehend, dass die Einbrecher davon trinken. Er informiert auch die ermittelnden Polizeibeamten, um diese nicht zu gefährden. Diese überreden ihn daraufhin, das Gift zu entfernen, was T noch am selben Nachmittag tut.
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Einordnung des Falls
In dieser Entscheidung befasst sich der BGH mit dem Merkmal des „unmittelbaren Ansetzens“ zum Versuch (§ 22 StGB), also dem Übergang von der straffreien Vorbereitungsphase zur strafbaren Versuchsphase. Konkret ging es um die Frage, wann der Täter zur Tat „unmittelbar ansetzt“, wenn es für die Vollendung der Tat zwingend auf die Mitwirkung des Opfers ankommt (z.B. Austrinken der präparierten Giftfalle), aber ungewiss ist, ob das Opfer überhaupt erscheint. Der BGH zieht hier eine Parallele zu den Fällen der mittelbaren Täterschaft und bejaht erst dann ein unmittelbares Ansetzen, wenn das Opfer erscheint und Anstalten trifft, die selbstschädigende Handlung vorzunehmen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags?
Genau, so ist das!
3. Hat T nach dem BGH durch das Hinstellen des vergifteten Getränkes "unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt"?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Ist die Ansicht des BGH unumstritten?
Nein!
5. Wäre nach den anderen beiden Theorien ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Stellt man auf den Abschluss der Vorbereitungshandlungen ab, wäre ein unmittelbares Ansetzen zu bejahen.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri
13.10.2021, 10:30:49
Wann wird in solchen Fällen
mittelbare Täterschaftangenommen? Also das Opfer als
Werkzeug gegen sich selbst.
Markus FUB
13.10.2021, 14:00:24
Da gibt es mE nur ein paar Stimmen in der Literatur, die in diesen Fällen eine
mittelbare Täterschaftannehmen wollen und zwar nur unter besonderen Voraussetzungen, nicht pauschal. Word aber nach hM abgelehnt, weil die
mittelbare Täterschaftfür drei Personen Konstellationen gedacht ist und der Tatmittler schon kein strafwürdiges Verhalten vornimmt

Lukas_Mengestu
14.10.2021, 09:29:26
Hallo ihr beiden, die Frage, wie man mit den Fällen des "Tatmittlers gegen sich selbst" umgeht, ist in der Tat nicht ganz einfach zu lösen. Man könnte durchaus versucht sein, die
mittelbare Täterschaftgrundsätzlich abzulehnen mit dem Argument, dass sich § 25 I Alt. 2 StGB nur auf Dreier-Konstellationen beschränkt. § 25 Abs. 1 Alt. 2 BGB gibt eine solche Auslegung dem Wortlaut nach allerdings nicht her und auch nach Sinn und Zweck ist dies nicht zwingend. Denn dass der Tatmittler kein strafbares Verhalten vornimmt, ist ja der Regelfall (Ausnahme:
Täter hinter dem Täter). Insofern geht auch die überwiegende Literatur meines Wissens davon aus, dass Zweierkonstellationen möglich sind (vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht At, 50.A.2020, § 16 RdNr. 849; Eser/Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30.A.2019, , § 25 RdNr. 37). Auch der BGH erkennt dies im Grunde an, wenn auch die genauen Abgrenzungslinien nicht immer 100%-ig klar werden: a) Ein berühmtes Beispiel für eine
mittelbare Täterschaftin einer 2-Personen-Konstellation ist die sog. "Sirius-Entscheidung", wo der Täter dem Opfer vorgaukelte, es werde nach einem erfolgreichen Suizid in einem "roten Haus am Genfer See" wiedergeboren. Der Suizidversuch scheiterte zum Glück. Der Täter wurde aber wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft ver
urteilt - kraft überlegenen Wissens (super lesenswerte Entscheidung: BGH,
Urteilv. 5.7.1983 - 1 StR 168/83 = NJW 1983, 2579). b) In der vorliegenden Apothekerentscheidung hat der BGH zwar die mittelbaren Täterschaft nicht direkt angewendet. Er spricht in dieser Entscheidung aber zumindest von einer der "mittelbaren Täterschaft verwandten Struktur" weshalb die Grundlagen der mittelbaren Täterschaft entsprechend angewendet werden. c)In der Stromfallenentscheidung (präparierte Stromdose, sodass Opfer einen tödlichen Schlag erleidet = BGH NStZ 2001, 475) und
Sprengfallenentscheidung (Anbringen einer
Sprengfalleam Auto, die bei Anlassen des Motors zündet = BGH NStZ 1998, 294), in der der Täter jeweils alles vorbereitet hatte und die Falle lediglich durch das Opfer ausgelöst wird, hat er dagegen nur auf eine un
mittelbare Täterschaftabgestellt. Auch ein neueres Beispiel aus der Rechtsprechung (LG München II, Urt. v. 20.1.2020 - 1 Ks 21 Js 5718/18 - zu finden über die Datenbank "juris") macht noch einmal deutlich, dass die
mittelbare Täterschaftnicht auf Zweierkonstellationen beschränkt ist. Dort ging es u.a. darum, dass der Täter das Opfer in einem Videochat dazu brachte, sich selbst lebensgefährliche Stromschläge zu verpassen, indem er vorgaukelte, es handele sich um einen medizinischen Versuch, von dem keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten sei. Auch hier war entscheidend, dass er überlegenes Sachwissen hatte (ähnlich dem Sirius-Fall). Ich hoffe, durch die Beispiele wird die Abgrenzung etwas klarer :). Lest gerne auch einmal eine der Entscheidungen im Original. Gerade den Sachverhalt zum Sirius-Fall kann man sich echt nicht ausdenken. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri
15.10.2021, 19:05:59
Vielen Dank für die Antwort, Lukas. Das ist super aufschlussreich!

Pilea
21.11.2022, 07:21:53
Würde man von einem Versuchsbeginn ausgehen - wie würde sich der Rücktritt vom Versuch/fehlschlagen be
urteilen?

Nora Mommsen
21.11.2022, 09:59:05
Hallo Pilea, nähme man einen Versuchsbeginn an ist Rücktritt nur möglich sofern kein Fehlschlag vorliegt. Fehlgeschlagen ist die Tat, wenn aus Sicht des Täters der Erfolg nicht mehr ohne
Zäsureintreten wird mit gleichbleibenden Tatmitteln. Hier ist fraglich, T sich vorstellt, dass es durchaus möglich ist, dass die Einbrecher abends wieder einbrechen und aus der Bierflasche trinken und damit das Gift zu sich nehmen. Man könnte auch annehmen, dass er wusste, dass mit der Benachrichtigung der Polizei ein Erfolgseintritt unmöglich wurde. Dazu gibt es zu wenig Sachverhaltsinformationen. Abhängig davon, wie man dies be
urteilt ist ein Rücktritt möglich oder nicht. Die Rücktrittshandlung liegt in Form der Beseitigung des Gifts vor und geschah auch freiwillig. Ein Rücktritt läge demnach vor. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Nico
21.1.2024, 19:14:44
Hier fehlt mir noch der entsprechende Hinweis im Sachverhalt, dass die Einbrecher (nur) nach 20:00 Uhr eingebrochen sind. Sonst könnte man eine unmittelbare Gefährdung (mit der letzten vertretenen Ansicht) annehmen. Liebe Grüße