Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Klassiker im Strafrecht
Der Münzhändlerfall – vermeintliche Mittäterschaft
Der Münzhändlerfall – vermeintliche Mittäterschaft
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Auf Vorschlag des Z erklärt sich A gegen Belohnung bereit, den Münzhändler M zum Schein auszurauben, da dieser seine Versicherung betrügen wolle. A raubt dem M, der in Wahrheit gar nichts von dem Überfall weiß, seine Münzen. Kurz darauf meldet M den Schaden seiner Versicherung V.
Diesen Fall lösen 79,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
A stimmte zu, Z bei einem Münzhändler auszurauben. A glaubte, dass der Münzhändler dem Raub zugestimmt hatte und beabsichtigte, seine Versicherungsgesellschaft zu betrügen. Dass ein Raub aufgrund des vorsatzausschließenden Irrtums ausscheidet, ist Grundwissen. Aber wie sieht es mit einer Mittäterschaft zum Versicherungsbetrug aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich der sog. Münzhändler-Fall. Obwohl A glaubte, er handele als Mittäter, war der Münzhändler tatsächlich kein Mittäter. Der BGH stellte jedoch fest, dass es auch bei der vermeintlichen Mittäterschaft für einen Versuch auf die subjektive Sicht des Täters auf die Tat ankommt, nicht darauf, ob tatsächlich ein Mittäter existierte. Danach setzt also auch der Täter unmittelbar zu Tat an, wenn er sich vorstellt, dass der vermeintliche Mittäter zur Tat unmittelbar angesetzt hat.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat A sich wegen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat A sich wegen vollendeten mittäterschaftlichen Betrugs gegenüber und zum Nachteil der V strafbar gemacht (§§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB)?
Nein!
3. Müsste A den Tatentschluss zur Begehung eines gemeinschaftlichen Betrugs besessen haben (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
4. Lag nach der Vorstellung des A ein gemeinsamer Tatplan vor?
Ja, in der Tat!
5. Besaß A auf Grundlage der strengen Tatherrschaftslehre den Tatentschluss zur Begehung eines gemeinschaftlichen Betrugs (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Nein!
6. Lässt sich auf Grundlage der weiten Tatherrschaftslehre vertreten, dass A den Tatentschluss zur Begehung eines gemeinschaftlichen Betrugs besaß (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
7. Hat der BGH auf Grundlage der subjektiven Theorie angenommen, dass A den Tatentschluss zur Begehung eines gemeinschaftlichen Betrugs besaß (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
8. Ist bei der Mittäterschaft umstritten, nach welchen Kriterien das unmittelbare Ansetzen zu bestimmen ist?
Ja!
9. Hat A auf Grundlage der Einzellösung unmittelbar zur Tat angesetzt (§ 22 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Hätte A auf Grundlage der herrschenden Gesamtlösung jedenfalls dann unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn M ein echter Mittäter gewesen wäre (§ 22 StGB)?
Ja, in der Tat!
11. Lehnt eine Ansicht innerhalb der Gesamtlösung die Grundsätze der Gesamtlösung bei nur vermeintlicher Mittäterschaft ab?
Ja!
12. Wendet eine Ansicht innerhalb der Gesamtlösung die Grundsätze der Gesamtlösung auch bei vermeintlicher Mittäterschaft an?
Genau, so ist das!
13. Hat A nach der Rspr.sich wegen versuchten mittäterschaftlichen Betrugs in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Var. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
14. Bleibt es nach der h.L. beim versuchten mittäterschaftlichen Betrug (§§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?
- Täuschung über Tatsachen
- Irrtum (kausal durch Täuschung)
- Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
- Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)
Wie prüfst Du die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) von zwei Beteiligten (T+M), wenn T täterschaftlich alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, M aber nicht?
- Strafbarkeit des tatnächsten T (normale Prüfung wie Alleintäter, ohne § 25 Abs. 2 StGB zu erwähnen)
- Strafbarkeit des M
- Tatbestandsmäßigkeit
- Feststellung: M hat den objektiven Tatbestand nicht selbst (vollständig) verwirklicht
- Prüfung: Kann M die Tathandlung des T über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden? (Vss.: Gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen + gemeinsamer Tatentschluss)
- Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale (die gegenseitige Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB erstreckt sich nur auf obj. TBM; bes. subj. TBM müssen jeweils in der Person des Mittäters vorliegen, getrennt geprüft und festgestellt werden)
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Tatbestandsmäßigkeit
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vulpes
10.2.2021, 09:00:35
In der Erklärung zu der Frage ob nach der subjektiven Theorie hier Tatherrschaft vorliegt, wird unter anderem der Maßstab - Ausprägung der Tatherrschaft - (oder ähnlich) angesetzt und das kommt wir mir ein Zirkelschluss vor.
Vulpes
10.2.2021, 09:08:29
Bzw. was ist der Unterschied zwischen Rspr und L
ehrewenn Tatherrschaft nach jener das Kriterium zur Feststellung der Täterschaft (nicht Tatherrschaft, sry 🤐) sein soll.
Eigentum verpflichtet 🏔️
11.2.2021, 21:26:18
Hallo Adrian, meinst du den Unterschied zwischen der engen Tatherschaftsl
ehre(Mindermeinung, notwendig ist das Beherrschen der Tat im Vorbereitungs-und Ausführungsstadium) und der weiten
Tatherrschaftslehre(hL, notwendig ist das Beherrschen der Tat als soziales Geschehen, ein Beteiligungsminus in einem der Stadien, kann durch ein Beteiligungsplus in dem anderen Stadium ausgeglichen werden, zB Bandenführer)?
Vulpes
11.2.2021, 21:34:05
Ne ich meinte, dass bei der subjektiven Theorie der Rechtsprechung objektiv auf eine Tatherrschaft abgestellt wird in der Erklärung. Aber wenn die subjektive Theorie in so einem Fall dieses Kriterium anwendet unterscheidet sie sich doch garnicht mehr von der
Tatherrschaftslehre, oder?
Eigentum verpflichtet 🏔️
12.2.2021, 00:50:15
Naja, der BGH schaut eben nicht nur nach der Tatherrschaft bzw. dem Willen zur Tatherrschaft, sondern eben auch noch nach dem Interesse am Taterfolg und dem Umfang der Tatbeteiligung. Aber natürlich überlappt sich das alles. Ein großer Strafrechtler sagte mir mal: "Eigentlich gibt es keinen Fall, bei dem hL und BGH zu einem anderen Ergebnis bei der Mittäterschaft kommen."
Konsti
12.1.2022, 18:25:33
Der BGH hat die Tatherrschaft doch mittlerweile auch anerkannt im Rahmen der Prüfung des Täterwillens. Dieser Meinungsstreit ist mMn nicht mehr so bedeutend
Vulpes
10.2.2021, 09:05:46
Das die Rspr. aufgrund ihrer subjektiven Theorie hier Täterschaft annimmt leuchtet mir überhaupt nicht ein. - der Grad des Interesses beschränkt sich mE auf die Belohnung für einen vorgetäuschten Raub - der Umfang der Tatbeteiligung beschränkt sich auf eine (notwendige) Vorbereitungshandlung (funktionelle Tatherrschaft gehört doch nicht zur sub. T.?) - mE wollte der T nur den Versicherungsbetrug des M fördern und hatte somit weder Tatherrschaft bei der Täuschungshandlung noch hat diese gewollt
Eigentum verpflichtet 🏔️
11.2.2021, 21:13:50
Hallo Adrian, das wäre, so wie unser Fall formuliert ist, vertretbar. Da kommt es im Examen dann sehr genau auf die Formulierungen an. Bspw. zu welchem Grad A an der Beute beteiligt sein soll. Für die Tatherrschaft ist nach hL entscheidend, dass A die Tat als soziales Geschehen mitbeherrscht. Ohne seinen vorgetäuschten Raub - kein Betrug, das spräche für ein gewisses Gewicht seines Tatbeitrags. Nach der subjektiven Theorie müsste A animus auctoris, also Tätervorsatz haben, mithin den Betrug als eigene Tat wollen. Nach dem Sachverhalt mag das zunächst fernliegend klingen, aber auch hier sind wieder alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Interesse am Taterfolg, Umfang der Tatbeteiligung und Wille zur Tatherrschaft zu berücksichtigen.
Eigentum verpflichtet 🏔️
11.2.2021, 21:19:25
Die Konstellation ist auf jeden Fall sehr examensrelevant. Klausurtaktisch wäre zu überlegen, ob die Mittäterschaft oder die Beihilfe hier besser zu prüfen ist. Ich würde mich persönlichen für die Mittäterschaft entscheiden, aber wie gesagt, die andere Ansicht wäre hier, ohne genauere Informationen, auch vertretbar. LG Eigentum verpflichtet
Vulpes
11.2.2021, 21:35:16
Danke für die ausführliche Antwort!
jomolino
26.10.2021, 08:48:22
In einer anderen Einheit habt ihr bei der einzellösung für den Mittäter der nur vorher einen Beitrag geleistet hat, angenommen
unmittelbares ansetzenläge vor wenn jedenfalls nach seiner Vorstellung der Mittäter ansetzt. Also eine Ausnahme bei Beteiligung bloß im Vorfeld, das wird hier anders dargestellt.
Lukas_Mengestu
26.10.2021, 11:08:32
Hallo nomamo, ich finde gerade leider den Fall nicht auf den Du Dich beziehst. In der Einheit zum unmittelbaren Ansetzen und der Mittäterschaft (https://jurafuchs.app.link/kaMnKmajFkb) wird bei bloßer Beteiligung im Vorfeld auch nach der Einzelfalllösung das unmittelbare Ansetzen verneint. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Einzellösung auf die Konstellationen, in denen der Tatbeitrag des Mittäters lediglich im Vorfeld erbracht werden, eigentlich nicht passt. Dies hat den Hintergrund, dass die Vertreter der Einzellösung in der Regel gleichzeitig vertreten, dass nur beim Zusammenwirken im Ausführungsstadium auch eine Mittäterschaft vorliegt. Das heißt hier kann es so etwas wie Vorfeld-Beiträge gar nicht geben, da in diesem Fall schon keine Mittäterschaft vorläge (vgl. hierzu auch Rengier, § 36 RdNr. 22). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team