Versteckter Dissens (Gründung der OHG ohne Regelung über das Ende der Gesellschaft)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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O und H wollen eine Handelsgesellschaft gründen. Dafür unterzeichnen beide einen Gesellschaftsvertrag. Dabei vergessen sie, eine spezielle Regelung über das Ende der Gesellschaft zu treffen, die sie mal besprochen und einbringen wollten.

Einordnung des Falls

Versteckter Dissens (Gründung der OHG ohne Regelung über das Ende der Gesellschaft)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O und H haben sich über alle wesentlichen Vertragsbestandteile geeinigt.

Ja, in der Tat!

Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme (§§ 145ff. BGB). Für eine Übereinstimmung müssen sich die Parteien mindestens über die Mindestbestandteile (essentialia negotii) einigen. Dazu gehört bei einem Gesellschaftsvertrag der gemeinsame Zweck sowie die Namen der beteiligten Gesellschafter. O und H haben lediglich vergessen, eine Regelung über das Ende der Gesellschaft zu treffen. Diese zählt indes nicht zu den Mindestbestandteilen des Vertrages.

2. Sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde, kommt ein Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zustande (§ 155 BGB).

Ja!

Haben sich die Parteien zwar über die essentialia negotii, aber nicht über alle sonstigen Punkte des Vertrages geeinigt, so richtet sich die Wirksamkeit des Vertragsschluss nach den §§ 154, 155 BGB. Bei einem versteckten Einigungsmangel gilt das Vereinbarte, wenn anzunehmen ist, dass die Parteien den Vertrag auch ohne den Vertragsbestandteil geschlossen hätten, in dem sie sich uneinig sind (§ 155 BGB). Ob dies der Fall ist, ist im Zweifel an der Bedeutung des Vertragsbestandteils zu bemessen.

3. Ist der Gesellschaftsvertrag unwirksam, weil O und H keine Regelung über das Ende der Gesellschaft getroffen haben?

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei einem versteckten Einigungsmangel gilt das Vereinbarte, wenn anzunehmen ist, dass die Parteien den Vertrag auch ohne den Vertragsbestandteil geschlossen hätten, in dem sie sich uneinig sind (§ 155 BGB). Ob dies der Fall ist, ist im Zweifel an der Bedeutung des Vertragsbestandteils zu bemessen.Den Parteien ist unbekannt, dass die Regelung nicht getroffen wurde, weshalb ein versteckter Dissens vorliegt (§ 155 BGB). Den Umständen ist zu entnehmen, dass die Parteien auch ohne explizite Regelung über das Ende den Gesellschaftsvertrag geschlossen hätten. Der Vertrag ist insoweit wirksam. Soweit kein anderer hypothetischer Parteiwille zu ermitteln ist, kann die vertragliche Lücke durch die gesetzliche Regelung (§§131f. HGB) geschlossen werden.

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SI

sinaaaa

2.1.2023, 17:38:11

Warum liegt hier ein verstecker dissens und nicht totaldissens vor ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.1.2023, 12:39:35

Hallo sinaaaa, vielen Dank für Deine Rückfrage. Der Fall war hier in der Tat etwas missverständlich. Bei den §§ 154ff. sind zwei Dinge sauber auseinanderzuhalten: a) Liegen die essentialia negotii vor? Falls nein, handelt es sich in der Tat bereits um einen Totaldissens und die §§ 154ff BGB finden schon keine Anwendung. b) erst dann ist zu prüfen, ob der Vertrag trotz der fehlenden Regelung Bestand haben kann. Wir haben den Fall zur besseren Verständlichkeit noch einmal überarbeitet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

UL

Ulmenhorst

19.2.2023, 21:13:56

Ist die letzte Subsumtion zur Vermutung von 155 BGB hier richtig? Die Parteien wollte doch gerade eine Regelung zum Ende des Vertrags einbringen, so dass gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Vertrag auch ohne diese Regelung geschlossen worden wäre.

Avalory

Avalory

7.5.2023, 22:12:11

Verstehe ich auch nicht. Sie wollten es unbedingt regeln - kann man den Gesellschaftsvertrag denn im Nachhinein noch entsprechend ändern? Danke

Dogu

Dogu

18.5.2023, 18:41:23

Schließe mich an. Der SV passt so nicht zur Lösung.

Olaf Müller-Michaels

Olaf Müller-Michaels

17.7.2023, 10:18:10

Sehe ich genauso. Der letzte Satz des SV müsste gestrichen werden.

SI

silasowicz

6.8.2023, 13:52:27

Ich finde auch, dass das "unbedingt" gestrichen werden sollte oder zumindest eine Erläuterung diesbezüglich fehlt in Anbetracht der vorgeschlagenen Lösung...

CK

Christian Kruse

5.12.2023, 23:40:34

Schade, dass auf die Frage nicht geantwortet wird - ich finde das "unbedingte Einbringen" spricht auch gegen den Vertragsschluss.

NIC

NickFischer

1.4.2023, 10:26:59

Vertiefung aus der Rechtspraxis: Gesellschaftsverträge enthalten regelmäßig eine salvatorische Klausel, wonach im Zweifel der Gesellschaftsvertrag stets wirksam sein soll. Da hier im Sachverhalt nichts steht, muss der Fall ohne eine salvatorische Klausel gelöst werden.

JI

jingerale

17.1.2024, 21:02:05

Wie einige Vorredner*innen hier schon kommentiert haben (was schon länger her ist, aber bisher nicht von Jurafuchs beantwortet wurde), wirkt die Lösung auf die letzte Frage nicht sonderlich überzeugend. Wenn im SV steht, dass die beiden etwas "UNBEDINGT REGELN" wollten, ist doch eher davon auszugehen, dass bei fehlender Regelung dieses Inhalts kein Vertrag wirksam geschlossen wurde...?

LELEE

Leo Lee

20.1.2024, 13:56:09

Hallo jingerale, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis und entschuldige, dass wir diese Frage – auch der Vorredner – bislang nicht beantwortet haben! In der Tat habt ihr alle völlig recht damit, dass „unbedingt“ sehr nach § 154 BGB klingt. Damit war ursprünglich gemeint, dass die Parteien das unbedingt regeln wollten, dies jedoch vergessen haben (weshalb sie es nicht bewusst offengelassen haben). Da dies jedoch missverständlich war, haben wir den Sachverhalt nun umformuliert und danken dir vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und würden uns auch künftig riesig freuen, wenn du uns auf weitere Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam machst :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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