Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Geheimer Vorbehalt / Scherzerklärung / Scheingeschäft
Geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB), Mentalreservation
Geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB), Mentalreservation
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Auktionshaus A versteigert einen Banksy des Eigentümers E. B weiß, dass sein Feind F es unbedingt ersteigern will. B selbst hat kein Interesse, gibt aber ein Gebot ab (€1,5 Mio.), um den Preis hochzutreiben. F bietet nicht mit. B erhält unerwartet den Zuschlag.
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Einordnung des Falls
Geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB), Mentalreservation
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag durch den Zuschlag zustande.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung liegt vor. Das Verhalten des B lässt objektiv darauf schließen, dass er Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen besitzt.
Genau, so ist das!
3. B besaß Handlungswillen.
Ja, in der Tat!
4. B hatte den Willen und das Bewusstsein, durch das Gebot eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben (Erklärungsbewusstsein).
Ja!
5. B hatte bei Abgabe des Gebots den Willen und das Bewusstsein, den Abschluss eines Kaufvertrages herbeizuführen (Geschäftswille).
Nein, das trifft nicht zu!
6. Durch den Zuschlag (§ 156 BGB) des Auktionshauses A an B ist zwischen E und B ein Kaufvertrag über den Banksy zum Preis von €1,5 Mio. zustande gekommen.
Ja!
7. B wollte das Bild tatsächlich nicht kaufen. Ist seine Willenserklärung deshalb nichtig (§ 116 S. 1 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Mangels Geschäftswillens hat B keine Willenserklärung abgegeben.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Speetzchen
14.7.2020, 22:08:22
Die Illustrationen sind immer top ! 😍
Eigentum verpflichtet 🏔️
15.7.2020, 10:04:10
Vielen Dank! 😁
Prudenz
22.12.2020, 07:59:01
...zwischen E und B... Müsste A und B heißen
MsFox
22.12.2020, 19:08:11
E ist Eigentümer des Bildes, vertreten durch A in der Auktion. Der KV kommt zw. E und B zustande. Denke also alles richtig. 🤔
Eigentum verpflichtet 🏔️
24.12.2020, 02:22:39
Richtig, MsFox, das Auktionshaus A verkauft den Banksy für E.
Delfinsohn
25.12.2020, 14:55:26
Laut den Fragen handelte B nicht mit
Geschäftswillen. Dies möchte ich infrage stellen. Denn Der
Geschäftswilleist der Wille, eine ganz bestimmte rechtschreibliche Erklärung abzugeben. B handelte in dem Bewusstsein ein ganz bestimmtes Rechtsgeschäftlich abzuschließen. Er war sich über den Kaufgegenstand und über den durch sein Gebot festgelegten Kaufpreis bewusst. Insoweit hatte er also
Geschäftswillen. Dass seine Absicht lediglich die ist, den Kaufpreis hochzutreiben ist insoweit unerheblich, als es sich hierbei bloß um das Motiv seiner Handlung handelt. Für den
Geschäftswillen erforderlich ist nach meinem Verständnis aber nicht die Absicht das Rechtsgeschäftlich abzuschließen, sondern lediglich das Bewusstsein über den Inhalt des Rechtsgeschäfts.
Delfinsohn
25.12.2020, 14:56:45
Mit anderen Worten: Der
Geschäftswillefehlt, wenn der Erklärende sich zwar rechtlich binden, aber eine inhaltlich andere WE abgeben will. Dies ist hier nicht der Fall.
Eigentum verpflichtet 🏔️
26.12.2020, 19:44:38
Hallo Delfinohn, danke für deine interessante Anmerkung! Nach intensiver Recherche kann ich dir schreiben, dass nach Müko-Armbrüster Vor § 116 Rn. 28, Jauernig-Mansel Vor § 116 Rn. 6 und Schulze-Dörner Vorbemerkung zu §§ 116-144 Rn. 6 der
Geschäftswilleden WIllen bezeichnet, mit der Erklärung eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Müko Armbrüster (§ 116 Rn. 3) unterscheidet weiterhin: "Der Wille des Erklärenden muss sich nur auf die mit der Willensbetätigung einhergehenden Rechtsfolgen beziehen. Er ist daher zu unterscheiden von der Absicht, eine mit der Erklärung eingegangene Verbindlichkeit später auch tatsächlich erfüllen zu wollen."
Eigentum verpflichtet 🏔️
26.12.2020, 19:51:54
In letzterem Fall "ist § 116 S. 1 nicht, auch nicht analog, heranzuziehen." Jetzt kommt es darauf an, wie man den Sachverhalt interpretiert: Geht man davon aus, B hat den Willen potenziell einen Kaufvertrag abzuschließen und will ihn nur später nicht erfüllen, so müsste man wohl einen
Geschäftswillen bejahen. Allerdings sehe ich hier eher den Fall, dass B die Rechtsfolge "Kaufvertrag" gerade nicht herbeiführen will, auch wenn er alle seine Voraussetzungen kennt. Das ist der klassische Fall einer
Mentalreservation(Geheimer Vorbehalt) nach § 116 S. 1 BGB. Nach Jauernig-Masel (Vor § 116 Rn. 6) fehlt dem Erklärenden in den Fällen des §§ 116-118 aber stets der
Geschäftswille. Somit gehe ich nach der zweitgenannten Auslegung unseres Falles davon aus, dass hier kein
Geschäftswillevorliegt.
Delfinsohn
27.12.2020, 03:39:59
Vielen Dank für die Ausführliche Antwort. Für mich persönlich wäre diese Interpretation des SV zu weit - aber es handelt sich ja auch nur um einen Übungsfall, der schon wegen seiner Kürze von Natur aus zu einem bestimmten Maße der Interpretation zugänglich ist. Ich kann mich insoweit auch Deiner Argumentation anfreunden. Vielen Dank für die Mühe!
ri
15.8.2021, 18:11:45
Interessante Diskussion. Letztendlich aber unerheblich, da in jedem Fall eine WE vorliegt und die
Mentalreservationnicht zur Anfechtung berechtigt.
Kai
6.11.2024, 20:34:18
Ich möchte mal in diese drei Jahre alte Diskussion einsteigen. :) Wenn man wie du, @[Eigentum verpflichtet 🏔️](99723) argumentiert, dass B die Rechtsfolge "Kaufvertrag" gerade nicht herbeiführen wollte und deshalb keinen
Geschäftswillen hat, müsste man mit der gleichen Argumentation mE bereits das Erklärungsbewusstsein ablehnen. Denn B will eigentlich gar keine rechtsverbindliche Erklärung abgeben, sondern nur den Preis hochtreiben. Dass Erklärungsbewusstsein (+) sei, wird folgenderdermaßen begründet: "B wollte zwar nur ein Gebot abgeben, um den Preis hochzutreiben [...]. Dies ändert jedoch nichts am Bewusstsein des B, durch die Abgabe eines Gebots [...] eine rechtsverbindliche WE abzugeben." Übertragen auf den
Geschäftswillen bedeutet das: B wollte den Vertrag in der konkreten Form nicht. Dennoch weiß er darum, dass er im Fall des Zuschlags einen Vertrag zu diesen Konditionen eingehen würde. Insofern müsste man den
Geschäftswillen mE bejahen. Insbesondere wäre das bei der Anfechtung interessant. Ich hielte es für unbillig, B einen Anfechtungsgrund zu geben. Welcher sollte das sein? Ein Erklärungsirrtum? Nein, B wusste ganz genau, was er da erklärte. Ein Inhaltsirrtum? Auch nicht. Wenn dann ist es ein
Motivirrtum(hins. des Umstandes, dass B den Zuschlag bekommt). Und das wäre gerade unbeachtlich. Am Ende denke ich, wer verbindliche Erklärungen abgibt, sollte auch damit rechnen, daran gebunden zu sein. Das kann man über die Figur der
Mentalreservationerreichen, die besseren Argumente sprechen mE aber dafür, hier auch den
Geschäftswillen anzunehmen.
Tigerwitsch
18.2.2021, 17:13:51
Kann B im Nachhinein versuchen durch Anfechtung seine WE nichtig werden zu lassen bzw. sich anderweitig vom Vertrag zu lösen?
ri
15.8.2021, 18:14:18
Motivirrtümer / die
Mentalreservationberechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung.
Lukas_Mengestu
20.12.2021, 12:37:22
Hallo Tigerwitsch, das ist nicht möglich. Denn wiei Ri richtig eingeworfen hat, fehlt es für die Anfechtung an einem Anfechtungsgrund nach §§ 119 ff. BGB. Auch für den Rücktritt vom Vertrag bedürfte es eines
Rücktrittsrechts, welches A nicht zusteht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
sinaaaa
8.1.2023, 21:20:02
Ich verstehe nicht wann in der Regel ein geheimer Vorbehalt vorliegt und wo genau man diesen prüft
Nora Mommsen
13.1.2023, 12:48:31
Hallo sinaaaa, ein geheimer Vorbehalt liegt vor, wenn der Erklärende, während der Erklärung weiß, dass er das gar nicht will. Es ist quasi das Gegenstück zum "guten Scherz", bei dem in der Erwartung der Gegenüber erkenne die fehlende Ernsthaftigkeit eine Erklärung abgegeben wird. Beispielsweise findet jemand dein Schmuckstück toll und du sagst im Scherz "für ne Million kannst du die haben". Da ist allen klar, das ist kein rechtsgeschäftliches Angebot. Bei einem geheimen Vorbehalt denke ich mir, dass ich das Geschäft gar nicht will gebe es aber in keiner Weise zu erkennen und erwarte auch nicht, dass es erkannt wird.
§ 116 BGBist sozusagen die Kodifizierung des
objektiven Empfängerhorizontes. Der subjektive Wille ein Geschäft nicht zu wollen ist irrelevant, wenn aus der Perspektive des
objektiven Empfängerhorizontes eine Willenserklärung mit allen Bestandteilen abgegeben wurde. In der Praxis (und auch in der Klausur) wirst du daher selten auf den
§ 116 BGBzu sprechen kommen. Ist es dir nun etwas klarer geworden? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
sinaaaa
9.1.2023, 13:49:51
Warum liegt ein
Geschäftswillevor? Er wollte die konkrete Rechtsfolge nicht herbeiführen. Deswegen steht im Sachverhalt auch "unerwartet".
Lukas_Mengestu
9.1.2023, 15:40:33
Hallo sinaaa, hier musst Du zwischen dem objektiven und subjektiven Tatbestand der Willenserklärung unterscheiden. Objektiv handelte B mit
Geschäftswille, da sein Verhalten dahingehend verstanden werden muss, dass er das Bild erwerben will. Subjektiv fehlt der
Geschäftswille. Dies ist aber für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung unerheblich, weswegen dennoch ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Schau Dir hierzu gerne noch einmal den Fall an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
silasowicz
6.8.2023, 14:19:22
Müsste in der Erläuterung nicht auch auch § 164 III abgestellt werden?
Stella2244
28.10.2024, 17:33:09
Ja du hast recht @[silasowicz](213132)
Sassun
19.11.2024, 12:18:24
Dass der
Geschäftswillekein notwendiger Teil der WE ist ergibt sich zudem aus den §§ 119 ff. bzw. § 142 I.
judith
19.11.2024, 13:46:12
Hey Sassun! Ich finde Deine Anmerkung dazu echt interessant, habe aber vorher noch nie davon gehört. Allerdings erschließt sich mir diese Herleitung nicht so ganz. Die Normenkette §§ 119f., 142 I BGB regelt ja die generelle Anfechtung. Wie kommt man da auf den
Geschäftswillen? Würde mich freuen, wenn Du Deine Anmerkungen noch etwas ausführen könntest ;)
Sassun
19.11.2024, 14:22:04
§ 119 I Alt. 1 und Alt. 2 regeln den Fall, dass die Erklärung nicht dem wahren Willen des Erklärenden entspricht. Der Erklärende, der zB denkt jeder wüsste was "Gros"-Toilettenpapierrollen bedeutet oder der Erklärende der sich verschreibt möchte gar nicht das konkrete Geschäft abschließen. Im ersten Beispiel möchte der Erklärende zB große Toilettenpapierrollen, statt der erklärten "Gros" als Maßeinheit, im zweiten Beispiel möchte der Erklärende die richtig geschriebene Version. Wie auch in § 116 S. 1 + 2; § 117 I und § 118 zeigen die §§ 119 ff., dass der
Geschäftswillekein notwendiges Merkmal der Willenserklärung sein kann, sonst bräuchte es die §§ ja gar nicht. Im Gros-Beispiel: Der Erklärende möchte das Geschäft subjektiv nicht. Normalerweise müsste er anfechten nach § 119 I Alt. 1. Wäre der
Geschäftswilleein notwendiger Bestandteil der WE, dann müsste der Erklärende gar nicht anfechten. Die Tatsache, dass er das konkrete Geschäft Maßeinheit Gros-Toilettenpapier, nicht wollte würde schon für die Unwirksamkeit ausreichen. Das dies nicht der Fall sein kann zeigen die §§ 119 ff. § 142 I hatte ich mitzitiert, weil das halt die RF des § 119 ist.