+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Auktionshaus A versteigert einen Banksy des Eigentümers E. B weiß, dass sein Feind F es unbedingt ersteigern will. B selbst hat kein Interesse, gibt aber ein Gebot ab (€1,5 Mio.), um den Preis hochzutreiben. F bietet nicht mit. B erhält unerwartet den Zuschlag.

Einordnung des Falls

Geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB), Mentalreservation

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag durch den Zuschlag zustande.

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Ja!

Eine Versteigerung ist ein besonderer Fall des Vertragsschlusses, der in § 156 S. 1 BGB geregelt ist. Das Gebot des Bieters ist Antrag, der Zuschlag des Auktionators im Namen des Eigentümers (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) eine Annahme. Die Durchführung der Versteigerung ist bloße invitatio ad offerendum. Der Zahlungsanspruch des E gegen B (§ 433 Abs. 2 BGB) setzt voraus, dass E mit B einen Kaufvertrag geschlossen hat. Dies erfordert zwei übereinstimmende Willenserklärungen. B müsste auf der Auktion einen Antrag - eine Willenserklärung in Form eines Gebots - abgegeben haben.

2. Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung liegt vor. Das Verhalten des B lässt objektiv darauf schließen, dass er Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen besitzt.

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Genau, so ist das!

Der äußere Tatbestand einer Willenserklärung besteht in einem Verhalten, das sich aus Sicht eines objektiven Betrachters als Äußerung eines auf Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichteten Willens darstellt. Das äußerlich erkennbare Verhalten muss auf das Vorliegen eines Handlungswillens, eines Erklärungsbewusstseins und eines Geschäftswillens schließen lassen. B gab bei der Auktion ein Gebot ab. Dieses Verhalten lässt aus objektiver Sicht auf das Vorliegen von Handlungswille, Geschäftswille und Erklärungsbewusstsein schließen. Objektiv lag eine Willenserklärung vor.

3. B besaß Handlungswillen.

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Ja, in der Tat!

Handlungswille meint den bewussten Willensakt, der auf die Vornahme eines äußeren Verhaltens gerichtet ist. B hat bewusst ein Gebot abgegeben. Zu welchem Zweck dies erfolgte, ist hierbei unerheblich.

4. B hatte den Willen und das Bewusstsein, durch das Gebot eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben (Erklärungsbewusstsein).

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Ja!

Das Erklärungsbewusstsein ist der Wille, durch sein Handeln eine irgendwie rechtsgeschäftlich relevante Erklärung abzugeben. B wollte zwar nur ein Gebot abgeben, um den Preis hochzutreiben und F so zu ärgern. Dies ändert jedoch nichts an dem Bewusstsein des B, durch die Abgabe eines Gebots bei einer Auktion eine rechtsverbindliche Willenserklärung abzugeben.

5. B hatte bei Abgabe des Gebots den Willen und das Bewusstsein, den Abschluss eines Kaufvertrages herbeizuführen (Geschäftswille).

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Nein, das trifft nicht zu!

Unter dem Geschäftswillen versteht man den Willen, eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Bs Wille war bei Abgabe des Gebots lediglich darauf gerichtet, den Preis hochzutreiben, und nicht darauf, den Abschluss eines Kaufvertrages herbeizuführen. Er besaß somit keinen Geschäftswillen.

6. Durch den Zuschlag (§ 156 BGB) des Auktionshauses A an B ist zwischen E und B ein Kaufvertrag über den Banksy zum Preis von €1,5 Mio. zustande gekommen.

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Ja!

Sowohl der innere als auch der äußere Tatbestand einer Willenserklärung des B (Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags über den Banksy für €1,5 Mio.) sind erfüllt. A hat den Antrag durch Zuschlag angenommen (§ 156 BGB). Diese Annahmeerklärung wirkt unmittelbar für und gegen den Eigentümer des Bildes (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB).

7. B wollte das Bild tatsächlich nicht kaufen. Ist seine Willenserklärung deshalb nichtig (§ 116 S. 1 BGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab und behält sich dabei insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen, ist dieser gegenüber dem Empfänger bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Dies folgt aus der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Der Rechtsverkehr vertraut auf die abgegebene Erklärung. A kannte den inneren Vorbehalt des B nicht. Die Willenserklärung ist daher wirksam. Eine unter geheimem Vorbehalt abgegebene Willenserklärung ist hingegen nichtig, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB) und somit nicht schutzwürdig auf die Erklärung vertrauen kann.

8. Mangels Geschäftswillens hat B keine Willenserklärung abgegeben.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Mit den Interessen des Erklärungsempfängers wäre es unvereinbar, Bs Vorbehalt für beachtlich zu erklären. Der Geschäftswille ist deshalb kein notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung. Bs Willenserklärung ist trotzdem wirksam, weil er weiß, dass er eine rechtlich erhebliche Erklärung abgibt und er bloß dessen Folgen nicht will. Objektiver und subjektiver Tatbestand einer Willenserklärung lagen vor. A hat das Bs Angebot auch vernommen; es ist ihm zugegangen.

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Speetzchen

Speetzchen

14.7.2020, 22:08:22

Die Illustrationen sind immer top ! 😍

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

15.7.2020, 10:04:10

Vielen Dank! 😁

Prudenz

Prudenz

22.12.2020, 07:59:01

...zwischen E und B... Müsste A und B heißen

MsFox

MsFox

22.12.2020, 19:08:11

E ist Eigentümer des Bildes, vertreten durch A in der Auktion. Der KV kommt zw. E und B zustande. Denke also alles richtig. 🤔

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

24.12.2020, 02:22:39

Richtig, MsFox, das Auktionshaus A verkauft den Banksy für E.

Delfinsohn

Delfinsohn

25.12.2020, 14:55:26

Laut den Fragen handelte B nicht mit Geschäftswillen. Dies möchte ich infrage stellen. Denn Der Geschäftswille ist der Wille, eine ganz bestimmte rechtschreibliche Erklärung abzugeben. B handelte in dem Bewusstsein ein ganz bestimmtes Rechtsgeschäftlich abzuschließen. Er war sich über den Kaufgegenstand und über den durch sein Gebot festgelegten Kaufpreis bewusst. Insoweit hatte er also Geschäftswillen. Dass seine Absicht lediglich die ist, den Kaufpreis hochzutreiben ist insoweit unerheblich, als es sich hierbei bloß um das Motiv seiner Handlung handelt. Für den Geschäftswillen erforderlich ist nach meinem Verständnis aber nicht die Absicht das Rechtsgeschäftlich abzuschließen, sondern lediglich das Bewusstsein über den Inhalt des Rechtsgeschäfts.

Delfinsohn

Delfinsohn

25.12.2020, 14:56:45

Mit anderen Worten: Der Geschäftswille fehlt, wenn der Erklärende sich zwar rechtlich binden, aber eine inhaltlich andere WE abgeben will. Dies ist hier nicht der Fall.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

26.12.2020, 19:44:38

Hallo Delfinohn, danke für deine interessante Anmerkung! Nach intensiver Recherche kann ich dir schreiben, dass nach Müko-Armbrüster Vor § 116 Rn. 28, Jauernig-Mansel Vor § 116 Rn. 6 und Schulze-Dörner Vorbemerkung zu §§ 116-144 Rn. 6 der Geschäftswille den WIllen bezeichnet, mit der Erklärung eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Müko Armbrüster (§ 116 Rn. 3) unterscheidet weiterhin: "Der Wille des Erklärenden muss sich nur auf die mit der Willensbetätigung einhergehenden Rechtsfolgen beziehen. Er ist daher zu unterscheiden von der Absicht, eine mit der Erklärung eingegangene Verbindlichkeit später auch tatsächlich erfüllen zu wollen."

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

26.12.2020, 19:51:54

In letzterem Fall "ist § 116 S. 1 nicht, auch nicht analog, heranzuziehen." Jetzt kommt es darauf an, wie man den Sachverhalt interpretiert: Geht man davon aus, B hat den Willen potenziell einen Kaufvertrag abzuschließen und will ihn nur später nicht erfüllen, so müsste man wohl einen Geschäftswillen bejahen. Allerdings sehe ich hier eher den Fall, dass B die Rechtsfolge "Kaufvertrag" gerade nicht herbeiführen will, auch wenn er alle seine Voraussetzungen kennt. Das ist der klassische Fall einer Mentalreservation (Geheimer Vorbehalt) nach § 116 S. 1 BGB. Nach Jauernig-Masel (Vor § 116 Rn. 6) fehlt dem Erklärenden in den Fällen des §§ 116-118 aber stets der Geschäftswille. Somit gehe ich nach der zweitgenannten Auslegung unseres Falles davon aus, dass hier kein Geschäftswille vorliegt.

Delfinsohn

Delfinsohn

27.12.2020, 03:39:59

Vielen Dank für die Ausführliche Antwort. Für mich persönlich wäre diese Interpretation des SV zu weit - aber es handelt sich ja auch nur um einen Übungsfall, der schon wegen seiner Kürze von Natur aus zu einem bestimmten Maße der Interpretation zugänglich ist. Ich kann mich insoweit auch Deiner Argumentation anfreunden. Vielen Dank für die Mühe!

ri

ri

15.8.2021, 18:11:45

Interessante Diskussion. Letztendlich aber unerheblich, da in jedem Fall eine WE vorliegt und die Mentalreservation nicht zur Anfechtung berechtigt.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

18.2.2021, 17:13:51

Kann B im Nachhinein versuchen durch Anfechtung seine WE nichtig werden zu lassen bzw. sich anderweitig vom Vertrag zu lösen?

ri

ri

15.8.2021, 18:14:18

Motivirrtümer / die Mentalreservation berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.12.2021, 12:37:22

Hallo Tigerwitsch, das ist nicht möglich. Denn wiei Ri richtig eingeworfen hat, fehlt es für die Anfechtung an einem Anfechtungsgrund nach §§ 119 ff. BGB. Auch für den Rücktritt vom Vertrag bedürfte es eines Rücktrittsrechts, welches A nicht zusteht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

sinaaaa

8.1.2023, 21:20:02

Ich verstehe nicht wann in der Regel ein geheimer Vorbehalt vorliegt und wo genau man diesen prüft

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.1.2023, 12:48:31

Hallo sinaaaa, ein geheimer Vorbehalt liegt vor, wenn der Erklärende, während der Erklärung weiß, dass er das gar nicht will. Es ist quasi das Gegenstück zum "guten Scherz", bei dem in der Erwartung der Gegenüber erkenne die fehlende Ernsthaftigkeit eine Erklärung abgegeben wird. Beispielsweise findet jemand dein Schmuckstück toll und du sagst im Scherz "für ne Million kannst du die haben". Da ist allen klar, das ist kein rechtsgeschäftliches Angebot. Bei einem geheimen Vorbehalt denke ich mir, dass ich das Geschäft gar nicht will gebe es aber in keiner Weise zu erkennen und erwarte auch nicht, dass es erkannt wird. § 116 BGB ist sozusagen die Kodifizierung des objektiven Empfängerhorizontes. Der subjektive Wille ein Geschäft nicht zu wollen ist irrelevant, wenn aus der Perspektive des objektiven Empfängerhorizontes eine Willenserklärung mit allen Bestandteilen abgegeben wurde. In der Praxis (und auch in der Klausur) wirst du daher selten auf den § 116 BGB zu sprechen kommen. Ist es dir nun etwas klarer geworden? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SI

sinaaaa

9.1.2023, 13:49:51

Warum liegt ein Geschäftswille vor? Er wollte die konkrete Rechtsfolge nicht herbeiführen. Deswegen steht im Sachverhalt auch "unerwartet".

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.1.2023, 15:40:33

Hallo sinaaa, hier musst Du zwischen dem objektiven und subjektiven Tatbestand der Willenserklärung unterscheiden. Objektiv handelte B mit Geschäftswille, da sein Verhalten dahingehend verstanden werden muss, dass er das Bild erwerben will. Subjektiv fehlt der Geschäftswille. Dies ist aber für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung unerheblich, weswegen dennoch ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Schau Dir hierzu gerne noch einmal den Fall an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

6.8.2023, 14:19:22

Müsste in der Erläuterung nicht auch auch § 164 III abgestellt werden?


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