Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Diebstahl (§ 242 StGB)

Vergessene Gegenstände | außerhalb einer Gewahrsamssphäre

Vergessene Gegenstände | außerhalb einer Gewahrsamssphäre

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O hat auf der Parkbank des öffentlich zugänglichen Parks P seine Mappe vergessen. Auf dem Nachhauseweg bemerkt er den Verlust. Als er zurückeilt, ist die Mappe bereits verschwunden. T hat sie zwischenzeitlich mitgenommen.

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Einordnung des Falls

Vergessene Gegenstände | außerhalb einer Gewahrsamssphäre

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Mappe ist für T eine fremde, bewegliche Sache (§ 242 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Sache im Sinne von § 242 Abs. 1 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand. Fremd ist eine Sache, wenn sie weder im Alleineigentum des Täters steht noch herrenlos ist. Beweglich ist die Sache, wenn sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. Die Mappe stand im Alleineigentum des O und war somit für T eine fremde, bewegliche Sache.
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2. O hat seinen Gewahrsam an der Mappe verloren, als er sie auf der Parkbank zurückgelassen hat. (§ 242 Abs. 1 StGB).

Ja!

Gewahrsam ist als die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft zu verstehen, deren Reichweite und Grenzen sich nach der Verkehrsanschauung bestimmen. Bei vergessenen Sachen geht die Rspr. von einem Gewahrsamsverlust aus, wenn der Gegenstand in einem öffentlichen, mithin für jede Person zugänglichen Bereich liegt und der ortsabwesende Geschädigte nicht in der Lage ist, auf die Sache einzuwirken.Es handelt sich um einen öffentlich zugänglichen Park. Die Tatsache, dass sich O an den Ort des Vergessens erinnert, ändert nichts an seinen fehlenden Einwirkungsmöglichkeiten. Vor allem ein Teil der Literatur sieht hier dagegen lediglich gelockerten Gewahrsam des O und noch keinen Gewahrsamsverlust. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Lageort der Sache dem Opfer konkret bekannt sei und keine äußeren Umstände dafür sprächen, dass die Sache bereits endgültig verloren sei.

3. T hat die Mappe weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Wegnahme bezeichnet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsam.O hat seinen Gewahrsam verloren. Es handelte sich auch nicht um eine abgegrenzte Gewahrsamssphäre, sodass auch nicht die Parkinhaberin neuen Gewahrsam begründet hat. T hat somit keinen fremden Gewahrsam gebrochen.Nach der Gegenansicht läge hier dagegen ein Gewahrsamsbruch und damit letztlich auch ein Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB vor.

4. Mangels Gewahrsamsbruch kommt eine Strafbarkeit des T nach dem 19. Abschnitt des StGB (Diebstahl und Unterschlagung, §§ 242-248c StGB) nicht in Betracht.

Nein!

Zwar scheidet eine Diebstahlsstrafbarkeit gemäß § 242 Abs. 1 StGB aus. Jedoch könnte sich T nach § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Mappe an sich nahm. Tatbestandsvoraussetzung der Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 ist die Zueignung einer fremden beweglichen Sache.Wegen der in § 246 Abs. 1 StGB ausdrücklich normierten formellen Subsidiarität müsste sich die Gegenansicht mit § 246 Abs. 1 StGB nicht mehr befassen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

24.4.2021, 08:23:48

Beim Vergessen von Sachen gibt es doch immer eine Phase, bevor man das Fehlen bemerkt und sich an den Ort erinnert. Während dieser Zeit dürfte doch eigentlich kein Gewahrsam bestehen, oder?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

24.4.2021, 12:44:45

Der Gewahrsam könnte uU gelockert sein und somit trotzdem weiterbestehen. Wenn zB ein Bauer auf seinem Feld Geräte vergisst und sich erst später darin erinnert, dass sie dort liegen, befinden sich die Sache weiterhin in dem Einwirkungsbereich des Bauern. Etwas anderes dürfte dann gelten, wenn man an einem öffentlich zugänglichen Ort (zB Straße) etwas verliert und sich später daran erinnert. Dann ist der Gewahrsam verloren und auch nicht gelockert. Hintergrund ist, dass aufgrund des öffentlichen Zugangs des Orts, der Zugriff für jedermann möglich ist und die Einwirkung für den Geschädigten nicht mehr ohne weiteres möglich. In einem solchen Fall läge lediglich eine Unterschlagung des Täters nach § 246 Abs. 1 StGB vor. Siehe etwa BGH, B. v. 14.04.2020 - AZ.: 5 StR 10/20

LI

lin

26.9.2022, 21:45:52

was ist wenn der Jenige die Sache in einem öffentlichen Raum verliert und es nicht bemerkt aber noch anwesend ist und in der Zeit der Täter die Sache einsteckt? Besteht dann noch Gewahrsam?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.9.2022, 19:10:14

Hallo lin, sofern sich der Gewahrsamsinhaber noch in unmittelbarer Nähe des verlorenen Gegenstandes befindet, dürfte noch eine hinreichende Sachherrschaft über den Gegenstand bestehen, sodass hier noch von einem Gewahrsamsverhältnis ausgegangen werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

1Tom1

1Tom1

21.11.2023, 14:30:03

Warum fällt die Tasche nicht in den Gewahrsam des Parkinhabers? Warum ist der Park keine abgegrenzte

Gewahrsamssphäre

? Ich sehe den Unterschied zum Fall im Vorlesesaal nicht.

LELEE

Leo Lee

26.11.2023, 10:45:19

Hallo 1Tom1, das kommt natürlich auf die näheren Einzelheiten des Falles an. Allerdings unterscheidet man grob dazwischen, ob der Ort völlig öffentlich zugänglich ist oder eine bestimmte Figur über diesen Raum „wacht“ (wie eben die Uni über den Vorlesungssaal). Hierbei reicht es nicht, dass der „Staat“ über den gesamten öffentlichen Raum wacht, da dies den Tatbestand überspannen würde. Deshalb ist hier – bei einem öff. Park, der von jedem betreten werden kann – kein genereller Gewahrsamswille vorhanden, weil es hier eben nur den „Staat“ gibt. Wäre dieser Park allerdings innerhalb des Uni-Geländes, könnte man mMn einen Gewahrsam bejahen. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier BT I 23. Auflage, § 2 Rn. 40 f. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Gruttmann

Gruttmann

18.4.2024, 08:47:17

In den Erklärungen zu Frage 2 wird davon gesprochen, dass es egal sei, ob man sich an den Ort des Vergessens erinnert. Das ist aber mE falsch. Er hätte den Gewahrsam nicht an der Sache verloren, sein Gewahrsam wäre dann lediglich gelockert und er hätte noch Gewahrsam.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.4.2024, 16:03:43

Hallo Gruttmann, danke für deine Anmerkung. In diesem konkreten Fall stimmt die Aussage durchaus: Denn auch gelockerter Gewahrsam setzt über die Kenntnis vom Ablageort auch noch das (Fort)bestehen einer tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit voraus. In diesem Fall besteht somit trotzdem kein gelockerter Gewahrsam. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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