Tanken an SB-Tankstelle | von Beginn an zahlungsunwillig, Tankpersonal bemerkt nichts


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T sucht mit seinem Lieferwagen eine SB-Tankstelle auf und befüllt dort seinen Tank. Der Vorgang wird vom Tankstellenpersonal nicht wahrgenommen. Nach dem Tanken verlässt er - wie von Anfang an geplant - das Gelände, ohne zu bezahlen.

Einordnung des Falls

Tanken an SB-Tankstelle | von Beginn an zahlungsunwillig, Tankpersonal bemerkt nichts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Kraftstoff ist eine Sache (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Sachen im Sinne des § 242 StGB sind alle körperlichen Gegenstände gemäß § 90 BGB und zwar unabhängig von ihrem Aggregatzustand, solange sie von der Außenwelt räumlich abgrenzbar sind.Das ist bei dem Kraftstoff, den T eingefüllt hat, der Fall.

2. Der Kraftstoff war für T fremd (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Eine Sache ist für den Täter fremd, wenn sie nicht in dessen Alleineigentum steht oder herrenlos ist. Die Fremdheit der Sache bestimmt sich ausschließlich nach den Regeln des BGB.Die Eigentumsübertragung des Kraftstoffs an SB-Tankstellen erfolgt regelmäßig unter der aufschiebenden Bedingung der Bezahlung, § 929 Satz 1, § 158 Abs. 1 BGB). Für die Fremdheit bedeutet dies, dass der Täter höchstens Miteigentum durch Vermischung (§ 948 Abs. 1 BGB), nicht aber Alleineigentum erwirbt. Im Zeitpunkt des Einfüllens bleibt der Kraftstoff für T fremd.

3. T hat den Kraftstoff weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Fremder Gewahrsam wird gebrochen, wenn die Gewahrsamsverschiebung gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhaber erfolgt. An einem Bruch fehlt es, wenn ein tatbestandsausschließenes Einverständnis des Opfers vorliegt. Bei einer SB-Tankstelle kann davon ausgegangen werden, dass der Tankstellenbetreiber generell sein Einverständnis zur Gewahrsamsverschiebung erteilt, auch wenn er sich das Eigentum vorbehält. Insoweit scheidet ein Gewahrsamsbruch aus. T hat den Kraftstoff nicht weggenommen.Allerdings macht sich der Täter hier der Unterschlagung (§ 246 StGB) strafbar.

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FABIA

Fabian

11.12.2020, 15:55:28

Wurde aber der Gewahrsam nicht spätestens dann gebrochen als T die Tankstelle ohne zu bezahlen verließ? Somit hat eine Wegnahme am Kraftstoff letztendlich doch noch stattgefunden oder nicht?

SVE

Sven

15.12.2020, 09:52:04

Nein, denn hier ist der Gewahrsam bereits beim Tanken übergegangen. Der Gewahrsams-“Bruch” scheitert vorliegend daran, dass der Gewahrsams-Übergang nicht gegen den Willen des Tankstelleninhabers geschah, sondern mit dessen Einverständnis. Daher kommt für das Tanken (bei fehlender Beobachtung, aber entsprechender Vorstellung ggf. versuchter) Betrug in Betracht. Beim Wegfahren geschieht nach einer Mindermeinung noch eine Unterschlagung, die im Wege der mitbestraften Nachtat zurücktritt; nach hM scheitert eine solche Unterschlagung bereits tatbestandlich am Merkmal der Zueignung, da sich der Kraftstoff bereits beim Tanken durch den Betrug zugeeignet wurde und eine erneute/mehrfache Zueignung entsprechend nicht mehr in Betracht kommt.

TERE

Teresa

16.3.2021, 21:27:56

Gibt es nicht auch die Ansicht, dass ein Einverständnis des Tankstellenbetreibers nur unter der Bedingung der ordnungsgemäßen Bezahlung bzw. dieser Absicht beim Kunden angenommen werden kann? Ist das nicht ähnlich wie beim Automatenbetrug?

Vincent

Vincent

17.8.2022, 09:40:02

Scheidet ein Betrug nicht aber an der Täuschung aus? Den Tankvorgang hat ja niemand mitbekommen. Also wäre in der Tat allenfalls ein versuchter Betrug zu prüfen?

Cosmonaut

Cosmonaut

1.2.2024, 18:46:40

Beim unbefugten Tanken an Selbstbedienungstankstellen sind insbesondere drei Fallgestaltungen zu unterscheiden: aa) In der ersten Konstellation ist der Täter von Anfang an zahlungsunwillig, geht aber davon aus, dass er beobachtet wird, und will deshalb den Anschein eines redlichen Kunden erwecken. Hier besteht Einigkeit, dass der Täter einen Betrug – im Falle fehlender Beobachtung: Betrugsversuch – begeht; die Täuschungshandlung liegt in dem schlüssigen Verhalten, das Benzin nach Erhalt zu bezahlen. bb) Wird der Täter nicht beobachtet oder geht er irrig davon aus, nicht beobachtet zu werden, kommt kein Betrug, aber ein Zueignungsdelikt in Betracht, wenn mit der hM ein Eigentumsübergang erst mit der Bezahlung des Kaufpreises angenommen wird (→Rn. 17). Umstritten ist jedoch, ob bei dieser Konstellation Diebstahl oder Unterschlagung anzunehmen ist. Stellt man darauf ab, dass das Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang durch die Duldung des Tankens seitens des beobachtenden Tankwarts erklärt wird, erfolgt beim heimlichen Tanken keine Gewahrsamsübertragung, so dass eine Wegnahme zu bejahen wäre. Die vorherrschende Auffassung im Schrifttum lehnt ein in dieser Weise bedingtes Einverständnis hinsichtlich des Gewahrsamsübergangs jedenfalls in den Fällen des („halbautomatischen“) Selbstbedienungstankens zu Recht ab und geht davon aus, dass auch dem unredlichen „Kunden“ Gewahrsam an dem eingefüllten Benzin übertragen wird, soweit er äußerlich die Zapfsäule korrekt bedient, und zwar unabhängig davon, ob ihn der Tankwart dabei beobachtet oder nicht. Dementsprechend ist eine Unterschlagung anzunehmen. Eine Wegnahme kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen der Täter von vornherein seine Absicht zum Ausdruck bringt, nach dem Tankvorgang nicht zu bezahlen, also gewissermaßen die Tankstelle überfällt, oder bei Bedienungstankstellen, bei denen der Täter während der Abwesenheit des Tankwarts selbst das Benzin einfüllt. cc) Bei der dritten Konstellation fasst der Täter erst nach dem Tanken den Entschluss, sich ohne Bezahlen des Kaufpreises zu entfernen. Die Auffassung, die mit dem Einfüllen des Benzins bereits den Eigentumsübergang annimmt, kommt folgerichtig mangels Täuschungshandlung zur Straflosigkeit. Allerdings bejahte das OLG Düsseldorf Betrug in einem Fall, in dem der Täter noch in den Kassenraum ging, um andere Waren zu bezahlen; hierin wird die konkludente Vorspiegelung der falschen Tatsache erblickt, dass der Täter sonst nichts zu bezahlen habe. Nach hM kommt bei der dritten Konstellation Unterschlagung in Betracht, weil aufgrund der ordnungsgemäßen Bedienung der Zapfsäule durch den Täter davon auszugehen ist, dass der Gewahrsamsübergang mit dem Einverständnis des Berechtigten erfolgt ist und daher keine Wegnahme vorliegt. (NK-StGB,§ 242,Rn45ff)

CR7

CR7

1.6.2024, 11:11:53

Also: Konstellation 1 - Täter ist von Anfang an zahlungsunwillig, will aber beobachtet werden - Straftatbestand: Betrug (oder Betrugsversuch) - Begründung: Täuschung durch schlüssiges Verhalten, Benzin nach Erhalt zu bezahlen Konstellation 2 - Täter wird nicht beobachtet oder glaubt, nicht beobachtet zu werden - Straftatbestand: Unterschlagung (umstritten: Diebstahl oder Unterschlagung) - Begründung: Kein Einverständnis des Tankwarts mit dem Gewahrsamsübergang beim heimlichen Tanken, daher Unterschlagung bei ordnungsgemäßer Bedienung der Zapfsäule Konstellation 3 - Täter entschließt sich erst nach dem Tanken, nicht zu bezahlen - Straftatbestand: Unterschlagung (OLG Düsseldorf: Betrug bei zusätzlicher Täuschung im Kassenraum) - Begründung: Gewahrsamsübergang mit Einverständnis des Berechtigten, daher keine Wegnahme

Jakob

Jakob

2.5.2024, 10:55:47

Man muss m.A. nach differenzieren. Wenn man vertritt (A tank mit einem fast vollem Tank), dass das Benzin im Tank die Hauptsache darstellt (str.) A sehr wohl das Alleineigentum erlangen könnte. Aber da der Eigentumserwerb immer erst nach der (oder durch die) Tathandlung und somit frühestens mit Tatvollendung selbst vollendet wird, die Sache weiterhin fremd bleibt.


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