Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Diebstahl (§ 242 StGB)
Aneignungsvorsatz bezüglich des wertlosen Behältnisses von vermutlich wertvollen Gegenständen?
Aneignungsvorsatz bezüglich des wertlosen Behältnisses von vermutlich wertvollen Gegenständen?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bei einer Fahrt in einer überfüllten Straßenbahn erkennt Gelegenheitsdieb D, dass O eine Stofftüte mit sich führt. In der Hoffnung, er werde darin wertvolle Sachen vorfinden, nimmt er die Tüte durch Geschicklichkeit unbemerkt an sich und verlässt die Straßenbahn. Auf die Stofftüte selbst kommt es dem D dabei nicht an, da sie ihm abgenutzt und wertlos erscheint. Später stellt er fest, dass sich nur alte Fußballmagazine darin befinden. Enttäuscht gibt er die Tüte samt Inhalt im Fundbüro ab.
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Einordnung des Falls
Aneignungsvorsatz bezüglich des wertlosen Behältnisses von vermutlich wertvollen Gegenständen?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. D hat die Stofftüte und deren Inhalt weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. D handelte mit einer generalisierten Zueignungsabsicht (§ 242 Abs. 1 StGB) hinsichtlich jedweden Inhalts.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. D handelte mit Aneignungsabsicht in Bezug auf die Stofftüte selbst.
Nein, das trifft nicht zu!
4. D ist jedoch wegen versuchten Diebstahls an wertvollen Sachen zu bestrafen.
Ja!
5. Durch die Abgabe im Fundbüro ist D strafbefreiend zurückgetreten, §24 Abs. 1 StGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
GO
7.1.2024, 22:36:12
Liebes Jurafuchs-Team, ich habe eine Frage bzgl. der
Aneignungsabsicht. Im letzten Fall wurde die
Aneignungsabsichtverneint, da man gesagt hat, dass sich hier die
Aneignungsabsichtdes D auf "wertvolle" Sachen beschränkt hat. Argumentiert wurde dies damit, dass andernfalls sonst derjenige Täter privilegiert würde, der konkret planend sich bestimmte Sachen vorstellt, wobei bei diesem keinesfalls eine vollendete Tat angenommen werden könnte. Ich verstehe diese Argumentation nicht ganz. Warum würde man hier keinesfalls eine vollendete Tat annehmen können?
Tobi0
9.1.2024, 14:20:05
Die Frage hab ich mir auch gestellt
Nedjem
17.1.2024, 17:33:27
Es geht um Fälle, in denen sich im weggenommenen Behältnis nicht die erwarteten Gegenstände befinden; hier soll es keine Rolle spielen, ob der Vorsatz (1) von vornherein auf ein bestimmtes Objekt konkretisiert oder (2) nur allgemein auf stehlenswerte Sachen gerichtet war. In beiden fällen setzt eine Tatbestandsvollendung einen diesbezüglichen Inhalt des Behältnisses voraus, d.h. entweder den konkreten Gegenstand oder allgemein stehlenswerte Gegenstände. Bei völlig abweichendem Inhalt wäre sonst bei (1) mangels
Zueignungsabsichtnur Versuch gegeben (da der konkret vorgestellte Gegenstand nicht im Behältnis ist), während in denjenigen Fällen (2), in denen sich die Vorstellung des Täters nur auf den späteren Verwendungszweck des Gegenstandes ('brauchbar', 'wertvoll', etc.) konkretisiert hätte, trotz '
Zweckverfehlung' (weil eben nichts wertvolles im Behältnis ist) bereits Vollendung gegeben wäre.
GO
17.1.2024, 19:06:16
Das war nicht ganz die Frage. Meine Frage bezog sich auf die Argumentation im Lösungsweg. Aber trotzdem vielen Dank:)!
Nedjem
18.1.2024, 10:26:19
Guten Morgen, um nur Deine Frage zu beantworten: Bei einem Täter, der ein Behältnis stiehlt mit einer konkreten Vorstellung, welche Sache er darin zu finden hofft (z.B. iPhone), wird, wenn sich im Behältnis eben nicht (!) diese konkrete Sache befindet, keinesfalls eine vollendete Tat vorliegen. Seine
Aneignungsabsichtbezog sich nur auf z.B. ein iPhone, beim restlichen Behältnisinhalt fehlt es an der
Aneignungsabsicht. Ohne iPhone keine
Aneignungsabsicht, also keine Vollendung.
Joul
8.2.2024, 12:47:10
Hallo @[GO](214539) Ich glaube die Argumentation war so gemeint: Hätte man den Täter nicht auf wertvolle Sachen beschränkt, hätte man ihn für alles in der "Überraschungstüte" bestraft, obwohl er ihm nicht auf den dann vorgefundenen Inhalt ankam. Der Täter mit seiner konkretisierten Vorstellung, welche dann nicht vorgefunden wurde, würde privilegiert, da man ihm das nicht seiner Vorstellung entsprechend vorgefundene zu gute gehalten hätte. Somit wäre aber der Täter besser gestanden, der eine ausgeprägtere Tatvorstellung/wunsch gebildet hätte. Ich habe deine Frage genau nachvollziehen können, da ich sie mir zu Beginn auch gestellt habe, hatte dann aber große Schwierigkeiten, die Antwort zu formulieren. Ich hoffe es ist halbwegs gelungen.
GO
11.2.2024, 10:45:43
Hallo @[Joul](44656), vielen Dank!
GO
11.2.2024, 10:46:25
Hallo @[Joul](44656) und @[Nedjem ](223337), vielen Dank für eure Erklärungen !
nullumcrimen
24.5.2024, 13:53:00
Ich verstehe nicht ganz, warum hier keine
Aneignungsabsichtbzgl. des Beutels vorliegt. Indem T ihn nimmt und bei sich führt, geriert er sich doch, wenigstens bis zur Abgabe beim Fundbüro,als
Eigentümer. Kommt es hier somit gar nicht auf die objektiven Umstände an, sondern nur darauf ob T die Tasche überhaupt will? Bzw ob sie nur Mittel zum Zweck ist? (Transport der Gegenstände)
Leo Lee
27.5.2024, 10:52:09
Hallo nullumcrimen, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, T handele mit
Aneignungsabsicht, zumal er sich „wie ein
Eigentümergeriert“ bei der Abgabe im Fundbüro. Achte jedoch darauf, dass die
Aneignungsabsichtgerade bzgl. der weggenommen Sache eben eine gezielte Absicht in Form von Dolus I. fordert. Und dem D kam es gerade eben nicht darauf an, alle Inhalte, sondern nur „wertvolle“ Inhalte zu klauen, weshalb hier sein Vorsatz bzgl. seine Absicht nur auf potenziell „wertvolle“ Sachen konzentriert war :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
David
28.5.2024, 20:46:55
Liebes Jurafuchs-Team, war das in diesem Fall zwingend, einen Rücktritt des T zu verneinen oder wäre auch eine andere Ansicht vertretbar? Ich habe das mal so gelernt, dass eine andere Ansicht in Fällen der Zweckvereitelung/
Zweckfortfalls einen Fehlschlag aus kriminalpolitischen Gründen verneint. Im Detail waren da die Argumente des Opferschutzes und die Gewährleistung des Rücktrittsprivilegs gegenüber einem Täter, der im Falle eines beendeten Versuchs den Erfolg verhindert. Daher würde es mich mal interessieren, ob man - wie im vorliegenden Fall - einfach die normale Definition des Fehlschlags anwenden und bejahen sollte oder auch die andere Ansicht vertreten könnte. Vielen Dank im Voraus!
agi
11.10.2024, 17:04:40
@[David](228060) Kann es sein dass du was miteinander vertauschst? Vorliegend denkt der T, es befindet sich etwas Wertvolles im Beutel. Nach der Wegnahme stellt er fest, dass dies nicht der Fall ist. Eine Vollendung liegt nicht vor, da er zu keinem Zeitpunkt
Aneignungsabsichtbzgl der entwendeten Gegenstände hatte. Um jetzt erfolgreich zurückgetreten zu sein, darf die versuchte Tat nicht fehlgeschlagen sein. Unter Fehlschlag versteht man, „wenn der Täter erkennt, dass er den von ihm erwünschten
Taterfolgnicht mehr ohne zeitliche Zäsur wird herbeiführen können.“ Und dies liegt ja unproblematisch vor. So dass er nicht hat autonom zurücktreten können. Demnach ist doch, gerade auf Grund der vorliegenden Lösung, an Opferschutz und Privilegierung eines Täters der den Erfolg verhindert gedacht.