Aneignungsvorsatz bezüglich des wertlosen Behältnisses von vermutlich wertvollen Gegenständen?


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Bei einer Fahrt in einer überfüllten Straßenbahn erkennt Gelegenheitsdieb D, dass O eine Stofftüte mit sich führt. In der Hoffnung, er werde darin wertvolle Sachen vorfinden, nimmt er die Tüte durch Geschicklichkeit unbemerkt an sich und verlässt die Straßenbahn. Auf die Stofftüte selbst kommt es dem D dabei nicht an, da sie ihm abgenutzt und wertlos erscheint. Später stellt er fest, dass sich nur alte Fußballmagazine darin befinden. Enttäuscht gibt er die Tüte samt Inhalt im Fundbüro ab.

Einordnung des Falls

Aneignungsvorsatz bezüglich des wertlosen Behältnisses von vermutlich wertvollen Gegenständen?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D hat die Stofftüte und deren Inhalt weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Wegnahme setzt den Bruch fremden und den Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams voraus. Zunächst hatte O Gewahrsam, also die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft an der Stofftüte sowie an deren Inhalt. Als T mitsamt derselben die Straßenbahn verließ begründete er eigenen, ausschließlichen Gewahrsam an der Stofftüte welcher sich ebenfalls auf den Inhalt erstreckte. Dies geschah auch gegen den Willen des O, also durch Bruch.

2. D handelte mit einer generalisierten Zueignungsabsicht (§ 242 Abs. 1 StGB) hinsichtlich jedweden Inhalts.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Für das Vorliegen der Aneignungsabsicht muss es dem potentiellen Täter gerade darauf ankommen, sich die Sache zumindest vorübergehend in sein Vermögen einzuverleiben. D möchte vorliegend nicht alle sich potentiell im Stoffbeutel befindlichen Sachen in sein Vermögen überführen, sondern nur bei deren Charakterisierung als "wertvoll". Somit beschränkt sich die Aneignungsabsicht gerade auf solche Sachen. Anderenfalls würde sonst derjenige Täter privilegiert, der konkret planend sich bestimmte Sachen vorstellt. Bei diesem würde keinesfalls eine vollendete Tat angenommen.

3. D handelte mit Aneignungsabsicht in Bezug auf die Stofftüte selbst.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine Aneignungsabsicht in Bezug auf das Behältnis selbst, in dem Fall die Stofftüte, liegt nicht vor. Dem D kam es in keiner Weise auf die wertlose Stofftüte an. Dafür reicht es auch nicht aus, dass diese für den Transport der potentiellen Aneignungsobjekte notwendig war (a.A. LG Düsseldorf NStZ 08, 155f.)

4. D ist jedoch wegen versuchten Diebstahls an wertvollen Sachen zu bestrafen.

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Ja!

Der versuchte Diebstahl ist nach §242 Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar. D hatte vorliegend einen Tatentschluss dahingehend, möglichst wertvolle Sachen des O wegzunehmen. Zu der Verwirklichung dieses Tatentschlusses hatte er auch unmittelbar angesetzt da er nach seiner Vorstellung bereits die Ausführungshandlung vorgenommen hat. Auch der untaugliche Versuch ist strafbar, wie sich aus einem Umkehrschluss des §23 Abs. 3 StGB ergibt, der lediglich für den grob untauglichen Versuch eine Milderung vorsieht.

5. Durch die Abgabe im Fundbüro ist D strafbefreiend zurückgetreten, §24 Abs. 1 StGB.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Rücktritt nach §24 Abs. 1 StGB setzt zunächst voraus, dass kein Fehlschlag vorliegt. Dies ist der Fall, wenn Täter erkennt, dass er den von ihm erwünschten Taterfolg nicht mehr ohne zeitliche Zäsur wird herbeiführen können. D war klar, dass er nicht mehr an wertvolle Sachen des O gelangen würde. Sein Tatplan war somit fehlgeschlagen. Ein strafbefreiender Rücktritt scheidet demnach aus.

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