Systematik: Auswirkung von Fehlern im Ermittlungsverfahren


leicht

Diesen Fall lösen 81,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

T hat seinen nervigen Schwiegervater von einer Leiter geworfen. Der Ermittlungsrichter vernimmt hierzu T's Verlobte V, ohne sie über ihr Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO) zu belehren. V belastet den T. In der Hauptverhandlung wird V ordnungsgemäß gem. § 52 Abs. 3 S. 2 StPO belehrt und wiederholt bei der Vernehmung ihre vor dem Ermittlungsrichter getätigte Aussage.

Einordnung des Falls

Systematik: Auswirkung von Fehlern im Ermittlungsverfahren

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren war rechtswidrig.

Ja, in der Tat!

Die nach § 52 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu Belehren (§ 52 Abs. 3 S. 1 StPO). V ist als Verlobte des Beschuldigten T zur Zeugnisverweigerung berechtigt (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Da eine Belehrung nicht stattgefunden hat, bestand ein Beweiserhebungsverbot. Deshalb war die Gewinnung der Zeugenaussage rechtswidrig.

2. Bei fehlender Zeugenbelehrung besteht grundsätzlich ein Verwertungsverbot.

Ja!

Eine fehlende Zeugenbelehrung (§ 52 Abs. 3 S. 1 StPO) führt grundsätzlich zu einem unselbständigen Verwertungsverbot. Denn das Zeugnisverweigerungsrecht soll nicht nur den Zeugen vor dem Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und persönlichen Interessen bewahren, sondern allgemein die familiäre Verbundenheit zwischen Angeklagtem und Zeugen schützen (Schutzzweck der Norm). Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Zeugen sein Schweigerecht auch ohne Belehrung bekannt war und er auch bei ordnungsgemäßer Belehrung keinen Gebrauch davon gemacht hätte. Denn dann beruht die Zeugenaussage nicht auf der unterlassenen Belehrung (fehlende Kausalität).

3. Wegen des Fehlers im Ermittlungsverfahren können auch die Aussagen der V in der Hauptverhandlung nicht verwertet werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Fehler bei der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren führen grundsätzlich nicht zur Unverwertbarkeit, denn die betreffende Tatsache muss in der Hauptverhandlung erneut festgestellt werden. Deshalb beruht das Urteil in der Regel nicht auf dem Fehler im Ermittlungsverfahren. Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich der Fehler in der Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung fortsetzt. Hier ist die rechtswidrige Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren grundsätzlich unbeachtlich, da die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung fehlerfrei durchgeführt wurde.

Jurafuchs kostenlos testen


ALE

Alex1892

26.2.2021, 19:50:44

Fehlt hier nicht der Schlenker über die fehlende qualifizierte Belehrung ? Also zumindest das es erwähnt wird ?

Speetzchen

Speetzchen

5.3.2021, 17:13:37

Hey, das könnte man machen, ist hier aber unerheblich, da es auf die qualifizierte Belehrung ankommt, wenn die Z ein zweites Mal im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vernommen wäre. Hier wurde sie ja in der mündlichen Verhandlung vernommen, also liegt eine andere Situation vor ! 😄

PAT

Patrick

2.12.2021, 10:40:41

Hallo, die Begründung finde ich hier etwas schwammig. Sinn und Zweck der qualifizierten Belehrung ist es doch, dass der Zeuge trotz akkurater Belehrung iSd § 52 Abs. 3 StPO nicht denkt, es sei ohnehin schon alles klar, da er sich bereits zuvor geäußert hatte. Kann hierzu jemand Stellung nehmen?

PAT

Patrick

2.12.2021, 11:02:28

BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13: “Macht ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweige­rungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO Gebrauch, so erfordern die Einführung des Inhalts einer früheren Aussage des Zeugen in die Hauptverhandlung durch Vernehmung des Richters, vor dem der Zeuge im Rahmen des die konkrete Tat betreffenden Ermittlungsverfahrens ausgesagt hat, und die Verwertung des dadurch gewonnenen Beweisergebnisses, dass der Richter den Zeugen gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hat; ei­ner weitergehenden Belehrung bedarf es nicht.”

PAT

Patrick

2.12.2021, 11:06:53

Ist wohlgemerkt nicht genau die gleiche Situation hier, da die Zeugin hier in der mündlichen Verhandlung Aussagen wollte. Jedoch könnte man ohne qualifizierte Belehrung in der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass sie nur aussagte, weil sie davon ausging, dass die Vernehmung des Ermittlungsrichters, trotz unterbliebener Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO in der Hauptverhandlung möglich ist, auch wenn sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht iSd §§ 52, 2

52 StPO

beruft.

LAI

Laireme

30.8.2022, 17:39:16

mMn wäre dies genau ein Fall für die qualifizierte Belehrung (siehe Begründung über mir)

Orfeas

Orfeas

4.11.2022, 12:20:16

Sehe ich auch so!

YAN

Yannik

24.11.2022, 20:06:10

In der Uni müsste die qualifizierte Belehrung aus meiner Sicht hier mindestens diskutiert werden.

🦊²

🦊²

18.2.2023, 11:37:50

Hallo, Wie sieht’s denn mit der Qualifizierten Belehrung im Rahmen der Hauptverhandlung aus? Warum soll diese nicht notwendig sein? LG

L.G

L.Goldstyn

18.7.2024, 13:18:50

Liebes Jura-Fuchs-Team (@Lukas_Mengestu, @Christian Leupold-Wendling) zu der Frage nach der Notwendigkeit der qualifizierten Belehrung (siehe die anderen Threads) besteht aus meiner Sicht erheblicher Klärungsbedarf, gerade weil es dabei um ein sehr examensrelevantes Thema handelt. Die Frage wurde im ersten Thread bereits vor drei Jahren aufgeworfen, ohne dass bisher eine Rückmeldung von Eurer Seite erfolgte. Es wäre schön, wenn ihr uns zu der aufgeworfenen Frage noch Eure Einschätzung mitteilen könntet. Vielen Dank und beste Grüße


© Jurafuchs 2024