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Klassisches Klausurproblem

B ist verdächtig, seine Ehefrau getötet zu haben. Als Polizist P vor seiner Haustür steht, öffnet B diese und sagt sofort: „Ich war’s!“. Auf der Fahrt zur Polizeiwache erzählt er umfangreich die Details der Tat. Erst auf der Wache wird B über sein Schweige- und Verteidigerrecht belehrt und befragt. B sagt daraufhin, er habe doch schon alles erzählt. B schweigt in der Hauptverhandlung.

Einordnung des Falls

Fehlende Beschuldigtenbelehrung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. An der Haustür fand eine Beschuldigtenvernehmung statt.

Nein, das trifft nicht zu!

Es handelt sich um eine Vernehmung, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt (formeller Vernehmungsbegriff, hM). Nimmt ein Polizeibeamter lediglich passiv Spontanäußerungen entgegen, handelt es sich nicht um eine Vernehmung. Spontanäußerungen sind Äußerungen, die der Beschuldigte von sich aus ohne Aufforderung trifft. Sie sind verwertbar, weil keine Befragung durchgeführt wurde. Ist der Betroffene nun tatverdächtig, muss er vor jeder weiteren Frage belehrt werden.

2. Die Einlassung an der Haustür ist verwertbar.

Ja!

Vor der Beschuldigtenvernehmung ist eine Belehrung erforderlich (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Da es sich hier jedoch nicht um eine Vernehmung handelte, schadet die fehlende Belehrung nicht. Die bloße Entgegennahme einer Spontanäußerung ist keine rechtswidrige Beweisgewinnung, sie führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

3. Auf der Fahrt fand eine Beschuldigtenvernehmung statt.

Genau, so ist das!

Die bloß passive Entgegennahme einer Spontanäußerung schlägt in eine Vernehmung um, wenn sich die Polizisten nach dem pauschalen Geständnis einer schweren Straftat und der darauf erfolgten Festnahme des Tatverdächtigen von der von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Person über eine längere Zeit Einzelheiten der Tat berichten lassen. P hat sich nach dem Geständnis eines Tötungsdeliktes über längere Zeit sämtliche Einzelheiten berichten lassen, sodass die passive Entgegennahme zu einer Vernehmung umgeschlagen ist.

4. Die Aussagen im Auto sind verwertbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Weil dem Beschuldigten durch eine fehlende Belehrung faktisch sein Schweigerecht genommen wird, führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht grundsätzlich zu einem unselbständigen Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Aussage. Sofern bzgl. eines Beweismittels ein Beweisverwertungsverbot eingreift, ist dieses umfassend und darf auch nicht durch Rückgriff auf ein anderes Beweismittel umgangen werden. Da die Interaktion im Auto zu einer Vernehmung umgeschlagen ist, war eine Belehrung erforderlich (§§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO iVm § 163a Abs. 4 StPO). Eine solche ist nicht erfolgt. Weil hinsichtlich der Aussage des B vor der Polizei ein Beweisverwertungsverbot besteht, ist es auch unzulässig, P darüber als Zeugen zu vernehmen, was der B seinerzeit gesagt habe.

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Juraluchs

Juraluchs

26.2.2023, 10:15:00

Die konkludente Bestätigung durch B bleibt also außer Betracht?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.2.2023, 13:06:38

Hallo Juraluchs, ein ordnungsgemäßes Strafverfahren stellt eines der höchsten Güter des Rechtsstaats dar. Aus diesem Grund wird den strafprozessualen Grundsätzen besonderes Gewicht beigemessen und es kann nicht ohne weiters von ihnen abgewichen werden. Des weiteren gehört z.B. neben der Belehrungspflicht auch das Verbot verbotener Vernehmungsmethoden zu den Grundsätzen. Auch bei Vorliegen verbotener Vernehmungsmethoden kann der Beschuldigte nicht nachträglich die Verwertung genehmigen. Der Schutz der Willensfreiheit wird so hoch gewertet, dass er nicht unter dem Eindruck verbotener Methoden genehmigen kann. Ähnlich ist es bei der Belehrungspflicht. Eine Unterlassung der Belehrung stellt einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Nemo-Tenetur Prinzip dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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