Strafrecht

Strafprozessrecht

Das Beweisrecht

Fehlende Beschuldigtenbelehrung

Fehlende Beschuldigtenbelehrung

22. November 2024

4,8(12.939 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

B ist verdächtig, seine Ehefrau getötet zu haben. Als Polizist P vor seiner Haustür steht, öffnet B diese und sagt sofort: „Ich war’s!“. Auf der Fahrt zur Polizeiwache erzählt er umfangreich die Details der Tat. Erst auf der Wache wird B über sein Schweige- und Verteidigerrecht belehrt und befragt. B sagt daraufhin, er habe doch schon alles erzählt. B schweigt in der Hauptverhandlung.

Diesen Fall lösen 78,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Fehlende Beschuldigtenbelehrung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. An der Haustür fand eine Beschuldigtenvernehmung statt.

Nein, das trifft nicht zu!

Es handelt sich um eine Vernehmung, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt (formeller Vernehmungsbegriff, hM). Nimmt ein Polizeibeamter lediglich passiv Spontanäußerungen entgegen, handelt es sich nicht um eine Vernehmung. Spontanäußerungen sind Äußerungen, die der Beschuldigte von sich aus ohne Aufforderung trifft. Sie sind verwertbar, weil keine Befragung durchgeführt wurde. Ist der Betroffene nun tatverdächtig, muss er vor jeder weiteren Frage belehrt werden.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Einlassung an der Haustür ist verwertbar.

Ja!

Vor der Beschuldigtenvernehmung ist eine Belehrung erforderlich (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Da es sich hier jedoch nicht um eine Vernehmung handelte, schadet die fehlende Belehrung nicht. Die bloße Entgegennahme einer Spontanäußerung ist keine rechtswidrige Beweisgewinnung, sie führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

3. Auf der Fahrt fand eine Beschuldigtenvernehmung statt.

Genau, so ist das!

Die bloß passive Entgegennahme einer Spontanäußerung schlägt in eine Vernehmung um, wenn sich die Polizisten nach dem pauschalen Geständnis einer schweren Straftat und der darauf erfolgten Festnahme des Tatverdächtigen von der von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Person über eine längere Zeit Einzelheiten der Tat berichten lassen. P hat sich nach dem Geständnis eines Tötungsdeliktes über längere Zeit sämtliche Einzelheiten berichten lassen, sodass die passive Entgegennahme zu einer Vernehmung umgeschlagen ist.

4. Die Aussagen im Auto sind verwertbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Weil dem Beschuldigten durch eine fehlende Belehrung faktisch sein Schweigerecht genommen wird, führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht grundsätzlich zu einem unselbständigen Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Aussage. Sofern bzgl. eines Beweismittels ein Beweisverwertungsverbot eingreift, ist dieses umfassend und darf auch nicht durch Rückgriff auf ein anderes Beweismittel umgangen werden. Da die Interaktion im Auto zu einer Vernehmung umgeschlagen ist, war eine Belehrung erforderlich (§§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO iVm § 163a Abs. 4 StPO). Eine solche ist nicht erfolgt. Weil hinsichtlich der Aussage des B vor der Polizei ein Beweisverwertungsverbot besteht, ist es auch unzulässig, P darüber als Zeugen zu vernehmen, was der B seinerzeit gesagt habe.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juraluchs

Juraluchs

26.2.2023, 10:15:00

Die

konkludent

e Bestätigung durch B bleibt also außer Betracht?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.2.2023, 13:06:38

Hallo Juraluchs, ein ordnungsgemäßes Strafverfahren stellt eines der höchsten Güter des Rechtsstaats dar. Aus diesem Grund wird den strafprozessualen Grundsätzen besonderes Gewicht beigemessen und es kann nicht ohne weiters von ihnen abgewichen werden. Des weiteren gehört z.B. neben der Belehrungspflicht auch das Verbot verbotener Vernehmungsmethoden zu den Grundsätzen. Auch bei Vorliegen verbotener Vernehmungsmethoden kann der Beschuldigte nicht nachträglich die Verwertung genehmigen. Der Schutz der Willensfreiheit wird so hoch gewertet, dass er nicht unter dem Eindruck verbotener Methoden genehmigen kann. Ähnlich ist es bei der Belehrungspflicht. Eine Unterlassung der Belehrung stellt einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Nemo-Tenetur Prinzip dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MARC

Marc

22.10.2024, 14:16:01

Ja aber der Belehrungsfehler kann grds. geheilt werden, indem man den Beschuldigten ordnungsgemäß belehrt oder? Eine

qualifizierte Belehrung

ist zwar notwendig, daraus folgt aber nicht zwangsweise ein Beweisverwertungsverbot. Man könnte doch daher annehmen, dass nachdem der Beschuldigte belehrt wurde, er mit der Bestätigung ,,er habe doch alles gesagt" das vorher gesagte gelten lassen will. Dann würde sich die Frage stellen, was aus dem Fehlen der qualifizierten Belehrung folgen würde.

Nocebo

Nocebo

4.11.2024, 17:31:02

Bei dem hier geschilderten Sachverhalt ist die Aussage tatsächlich nach ganz hM in L

ehre

und Rechtsprechung unzweifelhaft VERWERTBAR. Dies liegt aber nicht an der Bestätigung in der Wache, sondern am SCHWEIGEN IN DER HAUPTVERHANDLUNG. Denn: Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung nicht widersprochen. Da es sich aber aufgrund des Mordvorwurfs um einen Fall der notwendigen Verteidigung handelt und damit ein Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesend war, greift somit die WIDERSPRUCHSLÖSUNG. Diese ist gerade auch auf unterbliebende Belehrungen anwendbar. Da ein expliziter Widerspruch erforderlich ist, müsste dieser im Sachverhalt auch ausdrücklich genannt sein - ist er hier aber nicht. "Hat ein Verteidiger des Angekl. in der Hauptverhandlulng mitgewirkt und hat der verteidigte Angekl. ausdrücklich der Verwertung des Inhalts einer ohne Belehrung (§ 136 I 2 StPO) zustandegekommenen Aussage zugestimmt, so besteht kein Verwertungsverbot. Dasselbe gilt, wenn der verteidigte Angekl. einer solchen Verwertung NICHT WIDERSPROCHEN hat. Der Widerspruch kann nur bis zu dem in § 2

57 StPO

genannten Zeitpunkt erklärt werden." (BGH NJW 1992, 1463, beck-online) "Das Verwertungsverbot besteht jedoch nicht, wenn sicher feststeht, dass der Beschuldigte sein Schweigerecht ohne Belehrung gekannt hat, oder wenn der anwaltlich verteidigte Beschuldigte in der Hauptverhandlung einer Verwertung ausdrücklich zugestimmt oder ihr zumindest NICHT EXPLIZIT WIDERSPROCHEN hat." (BeckOK StPO/Monka, 53. Ed. 1.10.2024, StPO § 136 Rn. 24, beck-online) "Das Verwertungsverbot besteht allerdings dann nicht, wenn feststeht, dass der Beschuldigte sein Recht zu schweigen ohne Belehrung gekannt hat, was die Kenntnis des Beschuldigtenstatus voraussetzt, oder wenn der verteidigte Angeklagte in der Hauptverhandlung ausdrücklich der Verwertung zugestimmt oder ihr NICHT bis zu dem in § 2

57 StPO

genannten Zeitpunkt WIDERSRPOCHEN hat (BGHSt 38, 214 (224 f.))." (KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, StPO § 163a Rn. 35, beck-online)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen