Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geschäftsfähigkeit

§ 107 BGB, lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte/Unterscheidung Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft

§ 107 BGB, lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte/Unterscheidung Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das Kaninchen Krümel der 8-jährigen K hat Nachwuchs. Ohne das Wissen ihrer Eltern klingelt K bei Nachbar N und bietet ihm die Kaninchenbabies zum Kauf an. N kauft ihr für €20 zwei Stück ab. Als die Eltern davon erfahren, erklären sie K, dass sie damit nicht einverstanden sind.

Diesen Fall lösen 84,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

§ 107 BGB, lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte/Unterscheidung Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Kaufvertrag (§ 433 BGB) zwischen K und N ist unwirksam.

Genau, so ist das!

Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB). Der Kaufvertrag begründet für K zwar einerseits einen Anspruch gegen N auf Kaufpreiszahlung, jedoch verpflichtet er sie gleichzeitig zur Übereignung der Kaninchen. Er ist für K nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Die Eltern haben nicht in den Kaufvertrag eingewilligt (§§ 107, 183 BGB, vorherige Zustimmung) und ihn auch nicht genehmigt (§§ 108, 184 Abs. 1 BGB, nachträgliche Zustimmung).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. K ist nach wie vor Eigentümerin der Kaninchenbabies, die sie an N übergeben hat.

Ja, in der Tat!

Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache (und auch an Tieren, § 90a BGB) ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll (§ 929 S. 1 BGB). Die Einigung über den Eigentumsübergang ist ein dinglicher Vertrag, den ein Minderjähriger nur dann ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters wirksam abschließen kann, wenn er für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der Minderjährige der Erwerber des Eigentums ist. K und N waren sich einig, dass das Eigentum an den Kaninchen auf N übergehen und K ihr Eigentum daran verlieren soll. Die Übereignung ist unwirksam. Wer Eigentümer der Kaninchen ist, hängt nur von der Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts (der Übereignung nach § 929 S. 1 BGB) ab. Ob das Verpflichtungsgeschäft (der Kaufvertrag) wirksam ist, hat damit nichts zu tun (Trennungs- und Abstraktionsprinzip).

3. K ist nun Eigentümerin des 20-Euro-Scheins, den ihr N zur Bezahlung der Kaninchen gegeben hat (§ 929 S. 1 BGB).

Ja!

Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache (und auch an Tieren, § 90a BGB) ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll (§ 929 S. 1 BGB). Die Einigung über den Eigentumsübergang ist ein dinglicher Vertrag, den ein Minderjähriger nur dann ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters wirksam abschließen kann, wenn er für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der Minderjährige der Erwerber des Eigentums ist. K und N waren sich einig, dass das Eigentum an dem Geldschein auf K übergehen soll. Sie sollte dadurch das Eigentum daran erwerben. Die Übereignung ist wirksam.

4. K hat gegen N einen Anspruch aus § 985 BGB auf Herausgabe der Kaninchen.

Genau, so ist das!

Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen (§ 985 BGB). N hat die Kaninchen in seinem Besitz (§ 854 BGB). K hat ihr Eigentum infolge der unwirksamen Übereignung an N nicht verloren. Sie ist immer noch die Eigentümerin der Kaninchen.

5. N hat gegen K einen Anspruch aus § 985 BGB auf Herausgabe des 20-Euro-Scheins.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen (§ 985 BGB). N war ursprünglich Eigentümer des Scheines. Er hat das Eigentum an dem Geldschein aber infolge der Übereignung an K verloren (§ 929 S. 1 BGB).

6. N hat einen Anspruch auf Rückübereignung des Scheins (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

Erlangt jemand etwas durch die Leistung eines anderen und ohne rechtlichen Grund, so ist er dem Leistenden zur Herausgabe verpflichtet (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). Derjenige, der ohne Rechtsgrund eine Sache übereignet, hat einen Anspruch auf Rückübereignung gegen den Erwerber des Eigentums. Eine Übereignung erfolgt zum Beispiel dann ohne Rechtsgrund, wenn der ihr zugrunde liegende Kaufvertrag (§ 433 BGB) unwirksam ist. Rechtsgrund der Übereignung des Scheins war die Verpflichtung des N, den Kaufpreis zu bezahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). Da der Kaufvertrag (§ 433 BGB) zwischen N und K unwirksam ist, ist die Übereignung des Scheins an K rechtsgrundlos erfolgt. N hat einen Anspruch auf Rückübereignung des Scheins (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

19.6.2023, 08:34:17

Eine Minderjähriger kann als Erwerber Eigentum übereignet bekommen, da es rechtlich vorteilhaft ist. Wo ist da die Grenze? Bei Geld ist es kein Problem. Aber wenn ein Auto übereignet wird, dann entstehen auch Pflichten (Kosten für Versicherung, Steuern). Wie kann man das sauber juristisch abgrenzen?

EB

Elias Von der Brelie

10.7.2023, 13:47:03

Ich bin kein Profi aber soweit ich weiß ist die

Übereignung

eines Autos eben nicht

lediglich rechtlich vorteilhaft

. Ist das gleiche wie mit den Fällen der Hausübertragung an Minderjährige, welche auch nicht als

lediglich rechtlich vorteilhaft

gilt. Sobald auch Verpflichtungen mit einhergehen ist es nicht mehr

lediglich rechtlich vorteilhaft

.

RAP

Raphaeljura

10.7.2023, 13:51:37

Naja,

Übereignung

von Grundstück ist rechtlich vorteilhaft, obwohl zb Grundsteuer als Nachteil entsteht (spielt aber keine Rolle, weil das mit Grundstückswert beglichen werden kann). Eigentumswohnung ist aber nicht vorteilhaft, weil man da Verpflichtungen in der WEG hat. Also ist irgendwie immer etwas schwammig.

LR

LR

16.7.2023, 22:43:55

Also grundsätzlich ist es immer noch so lange vorteilhaft, wie die Nachteile den Minderjährigen nicht in seinem übrigen Vermögen treffen, also ihn nicht stärker treffen, als hätte er die Sache gar nicht erhalten. Daher ist auch eine Hypothek auf einem Grundstück kein Nachteil, da bei ihr nur das Grundstück haftet und der Minderjährige im Verwertungsfall so steht, als hätte er das Grundstück nie erhalten. Treffen die Nachteile aber sein sonstiges Vermögen (z.B. Verpflichtungen aus Mietvertrag) ist die

Übereignung

eben nicht mehr vorteilhaft.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

1.8.2023, 12:50:02

Grundsätzlich ist es so, dass der rechtliche Nachteil unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft folgen muss. Bei Grundstücken ist das im Bezug auf die Grundsteuer laut h.M. unschädlich. Hier scheitert es an der Unmittelbarkeit, da ein separater Steuerbescheid durch die Behörde ergehen muss. Gleiches gilt für KFZe. Anders sieht es bei der

Übereignung

vermieteter Grundstücke aus. Dazu gibt es einen Meinungsstreit. Den sollte sich jeder Jurastudent ansehen. Das ist ein echter Klassiker.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

1.8.2023, 12:51:53

Eine wirtschaftliche Abwägung im Wege einer Saldierung, ob ein Geschäft vorteilhaft ist, findet explizit nicht statt. Es geht dabei einzig und allein darum, ob der Minderjährige unmittelbar in einem Recht beschränkt, ob er verpflichtet wird oder ein Recht verliert.

Paulah

Paulah

1.1.2024, 19:11:59

Direkt die erste Frage "Der Kaufvertrag zwischen K und N ist unwirksam" wird in der Auflösung als korrekt bewertet. So ganz stimmt das aber nicht - der Vertrag ist schwebend unwirksam. Das finde ich irritierend.

SAND

Sandra

3.1.2024, 13:08:23

Ich würde sagen, das liegt daran, dass hier schon im Sachverhalt steht, dass die Eltern mit dem Verkauf nicht einverstanden waren. Demnach ergibt sich vorliegend nicht die Möglichkeit einer schwebenden Unwirksamkeit.

Paulah

Paulah

3.1.2024, 19:35:53

Danke für die Antwort! Das ist vermutlich wieder die nicht einheitliche Abfragetechnik. In einigen Fragen wird erst gefragt "ist der Vertrag wirksam" und die Antwort muss heißen "nein, schwebend unwirksam" bei anderen Fragen muss man direkt alle Informationen aus dem Sachverhalt berücksichtigen und direkt sagen "ja, der ist unwirksam". Das Problem habe ich hier öfter.

MWA

mwally

7.3.2024, 21:46:08

Man muss immer alle Informationen aus dem Sachverhalt berücksichtigen (und keine weiteren dazudichten). Wen im SV nicht steht, ob die Eltern zugestimmt haben oder nicht, ist der Vertrag schwebend unwirksam. Wenn die Eltern, wie hier, bereits geäußert haben, dass sie die Zustimmung nicht erteilen, ist er unwirksam.

DEN

Denis

18.4.2024, 21:20:18

Hallo miteinander, ist K nicht eigentlich der Eigentümer des 20€ Scheines, wohingegen das kleine Mädchen nur als unmittelbarer Besitzer agiert? Somit hätte doch K, auch einen Anspruch, auf die Rückgabe des 20€ Scheines

Gruttmann

Gruttmann

19.4.2024, 00:01:44

Ich glaube du verwechselst K mit N oder? Ursprünglich war N Eigentümer der 20€. Jedoch haben die N sozusagen bezahlt und nach 929 übereignet. Da die K beschränkt geschäftsfähig ist, kommt es darauf an, ob die Eltern eingewilligt haben oder nachträglich zugestimmt haben, WENN es nicht

lediglich rechtlich vorteilhaft

ist. JEDOCH ist es

lediglich rechtlich vorteilhaft

für K in Bezug auf den 20€ Schein. In der

Übereignung

ging es nur um die 20€. 929 setzt die Einigung, Übergabe, und Recht zur Eigentumsübertragung voraus. Dies war auch gegeben, sodass das Eigentum wirksam übergegangen ist. Jetzt kommen zwei Ansprüche von N gegenüber K in Betracht, 985 und 812. 985 setzt voraus das N Eigentümer ist, ist er aber nicht mehr, deshalb ist dieser Anspruch nicht entstanden. 812 verlangt nicht, dass man Eigentümer ist, lediglich dass man etwas erlangt hat (20€) durch Leistung (N haben ihm den 20€ übergeben, willentlich), ohne Rechtsgrund-> (Ohne Rechtsgrund könnte hier der unwirksame Kaufvertrag sein, da die Eltern der K nicht in den Kaufvertrag eingewilligt/genehmigt haben)-> bedeutet der nichtige Kaufvertrag stellt das Erlangen durch Leistung OHNE Rechtsgrund dar.


© Jurafuchs 2024