+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Die wütende Social-Media Nutzerin U kommentiert unter ein Foto des C mit seiner Freundin, dass C schwul sei.

Userin Ursula (U) missfallen die Instagram-Bilder von Chris alias CupcakeTV (C). Nachdem U mehrfach in den Kommentarspalten negatives Feedback hinterlassen hat, bezeichnet sie C unter einem Pärchenfoto mit dessen Freundin als „schwul“. C stellt Strafantrag.

Einordnung des Falls

Das OLG Köln hatte sich in dieser Entscheidung mit der Frage zu befassen, ob der Begriff „schwul“ eine strafbare Beleidigung darstellt oder nicht. Während die Vorinstanz dies für den vorliegenden Fall noch ausgeschlossen hatte, kam das OLG zu dem Schluss, dass es sich hier je nach Umstand des konkreten Einzelfalles durchaus um eine strafbare Beleidigung handeln könne.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte U sich wegen Beleidigung strafbar gemacht haben (§ 185 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Eine Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe eigener Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung. Sie hat vier Bestandteile: Es wird (1) eine Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen bzw. ein Werturteil gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten (2) kundgegeben, (3) die Äußerung hat ehrverletzenden Inhalt und (4) wird vom Adressaten wahrgenommen.

2. Hat U eine Tatsache behauptet?

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Nein!

Tatsachen sind Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Werturteile hingegen sind keinem Beweis zugänglich, sondern Äußerungen, die durch Elemente subjektiver Überzeugung oder Meinung geprägt sind und deshalb nicht wahr oder unwahr, sondern je nach der persönlichen Überzeugung nur falsch oder richtig sein können. Enthält eine Äußerung sowohl Elemente einer Tatsachenbehauptung, als auch eines Werturteils, so ist der Schwerpunkt und der Zusammenhang der Aussage ausschlaggebend. U weiß, dass C in einer heterosexuellen Beziehung lebt und wollte mit der Aussage nicht ausdrücken, dieser sei insgeheim homosexuell. Vielmehr ging es ihr darum, C im laufenden Streit als minderwertig darzustellen und ihn mittels der Bezeichnung als „schwul“ zu diskreditieren und lächerlich zu machen.

3. Hat U ein Werturteil kundgetan?

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Genau, so ist das!

Eine Beleidigung als Tathandlung setzt die Kundgabe von Tatsachen oder Werturteilen voraus. Dabei kommen Äußerungen in jeder Form in Betracht, also mündliche oder schriftliche sowie etwa Gesten oder Symbole. Die Kundgabe muss den Betroffenen erkennen lassen. Dabei ist das Medium irrelevant. Die Kundgabe muss sich an einen anderen, nicht notwendigerweise den Beleidigten selbst richten. U tat ihr Werturteil öffentlich in der Kommentarspalte auf Instagram kund. Da sie Bilder des C kommentierte, lässt ihr Werturteil den Betroffenen erkennen, auch wenn er nicht konkret benannt wird.

4. Ist es in jedem Fall ehrverletzend jemanden als schwul zu bezeichnen?

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine Beleidigung setzt voraus, dass die Äußerung ehrverletzenden Inhalt hat. Verletzt wird die Ehre durch Äußerungen dann, wenn diese die eigene Nicht- oder Missachtung des Betroffenen zum Ausdruck bringt. Interpretiert man die Aussage „schwul“ allein so, dass damit gemeint ist, eine Person sei homosexuell, so kommt dieser Aussage keine wertmindernde Bedeutung zu. Aus Art. 3 GG folgt, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert werden darf. Das Strafrecht würde sich widersprüchlich verhalten, wenn die Bezeichnung als „schwul“ per se als ehrmindernd bewertet werden würde.

5. Kann es im Einzelfall ehrverletztend sein, jemanden als schwul zu bezeichnen?

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Ja!

Für die Feststellung, ob ein Begriff beleidigend oder wertneutral verwendet wird, ist ausschlaggebend, wie der objektive Sinngehalt der Äußerung aus der Sicht eines unbefangenen Erklärungsempfängers zu verstehen ist. Ob eine Verletzung der Ehre vorliegt, ist unter Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu werten (Wortlaut, Kontext, Verhältnis zwischen Täterin und Opfer etc.). Wird „schwul“ verwendet, um Ärger, Verdruss oder Ablehnung gegenüber einer Person kundzutun oder um diese als unattraktiv und uninteressant darzustellen, kann es sich um eine Beleidigung handeln.

6. Hat vorliegend die Bezeichnung des C als schwul ehrverletzenden Charakter?

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Genau, so ist das!

Für die Bewertung eines Aussage als ehrverletzend sind die Umstände des Einzelfalls zu beachten. Ausschlaggebend sind unter anderem der Kontext der Aussage, der Wortlaut, sowie das Verhältnis zwischen Täterin und Opfer. OLG: Der durchschnittliche Instagram-User fasse die Äußerung „schwul“ als Beleidigung auf. Hierfür spreche der Kontext der Äußerung. U hinterließ bereits des öfteren explizit negativ zu wertende Kommentare auf der Seite des C. Zudem habe ausweislich des Duden der Begriff „schwul“ in der Jugendsprache die Bedeutung „in Verdruss, Ärger, Ablehnung hervorrufender Weise schlecht, unattraktiv und uninteressant“. Nutze man die Bezeichnung als schwul in diesem Sinne, sei sie diskriminierend (RdNr. 11).

7. Überwiegt die Meinungsfreiheit der U hier aber die Schutzwürdigkeit des C?

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Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Auslegung des Werturteils ist die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 GG) zu beachten. Handelt es sich um Schmähkritik, bei der nicht die Sache, sondern die bloße Diffamierung der Person im Vordergrund steht, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück. Ist dies nicht der Fall, so ist eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrschutz im konkreten Fall vorzunehmen. Zu beachten sind insbesondere Anlass und Kontext der Äußerung. U kommentierte "schwul" unter das Bild des C, einzig um ihn zu beleidigen. Es ist nicht erkennbar, dass die Äußerung auf einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abzielt. Selbst wenn man die Aussage also nicht bereits als Schmähkritik auffasst, so überwiegt jedenfalls Cs Ehrschutz. Die Abwägung erfolgt bereits im objektiven Tatbestand und nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit.

8. Hat U sich nach § 185 StGB strafbar gemacht?

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Ja!

U tat ein ehrverletztendes Werturteil auf Instagram kund, das sowohl zur Kenntnis des Beleidigten C, als auch anderer Nutzer gelangte. U handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Nach § 194 Abs.1 S.1 StGB wird die Beleidigung nur auf Antrag verfolgt. Dieser wurde gestellt.Bei § 185 StGB handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. Ohne den Strafantrag steht der Verfolgung der Straftat ein Verfahrenshindernis entgegen.

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