"Schwul" kann strafbare Beleidigung sein

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Die wütende Social-Media Nutzerin U kommentiert unter ein Foto des C mit seiner Freundin, dass C schwul sei.

Userin Ursula (U) missfallen die Instagram-Bilder von Chris alias CupcakeTV (C). Nachdem U mehrfach in den Kommentarspalten negatives Feedback hinterlassen hat, bezeichnet sie C unter einem Pärchenfoto mit dessen Freundin als „schwul“. C stellt Strafantrag.

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Einordnung des Falls

Das OLG Köln hatte sich in dieser Entscheidung mit der Frage zu befassen, ob der Begriff „schwul“ eine strafbare Beleidigung darstellt oder nicht. Während die Vorinstanz dies für den vorliegenden Fall noch ausgeschlossen hatte, kam das OLG zu dem Schluss, dass es sich hier je nach Umstand des konkreten Einzelfalles durchaus um eine strafbare Beleidigung handeln könne.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte U sich wegen Beleidigung strafbar gemacht haben (§ 185 StGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe eigener Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung. Sie hat vier Bestandteile: Es wird (1) eine Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen bzw. ein Werturteil gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten (2) kundgegeben, (3) die Äußerung hat ehrverletzenden Inhalt und (4) wird vom Adressaten wahrgenommen.
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2. Hat U eine Tatsache behauptet?

Nein!

Tatsachen sind Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Werturteile hingegen sind keinem Beweis zugänglich, sondern Äußerungen, die durch Elemente subjektiver Überzeugung oder Meinung geprägt sind und deshalb nicht wahr oder unwahr, sondern je nach der persönlichen Überzeugung nur falsch oder richtig sein können. Enthält eine Äußerung sowohl Elemente einer Tatsachenbehauptung, als auch eines Werturteils, so ist der Schwerpunkt und der Zusammenhang der Aussage ausschlaggebend. U weiß, dass C in einer heterosexuellen Beziehung lebt und wollte mit der Aussage nicht ausdrücken, dieser sei insgeheim homosexuell. Vielmehr ging es ihr darum, C im laufenden Streit als minderwertig darzustellen und ihn mittels der Bezeichnung als „schwul“ zu diskreditieren und lächerlich zu machen.

3. Hat U ein Werturteil kundgetan?

Genau, so ist das!

Eine Beleidigung als Tathandlung setzt die Kundgabe von Tatsachen oder Werturteilen voraus. Dabei kommen Äußerungen in jeder Form in Betracht, also mündliche oder schriftliche sowie etwa Gesten oder Symbole. Die Kundgabe muss den Betroffenen erkennen lassen. Dabei ist das Medium irrelevant. Die Kundgabe muss sich an einen anderen, nicht notwendigerweise den Beleidigten selbst richten. U tat ihr Werturteil öffentlich in der Kommentarspalte auf Instagram kund. Da sie Bilder des C kommentierte, lässt ihr Werturteil den Betroffenen erkennen, auch wenn er nicht konkret benannt wird.

4. Ist es in jedem Fall ehrverletzend jemanden als schwul zu bezeichnen?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Beleidigung setzt voraus, dass die Äußerung ehrverletzenden Inhalt hat. Verletzt wird die Ehre durch Äußerungen dann, wenn diese die eigene Nicht- oder Missachtung des Betroffenen zum Ausdruck bringt. Interpretiert man die Aussage „schwul“ allein so, dass damit gemeint ist, eine Person sei homosexuell, so kommt dieser Aussage keine wertmindernde Bedeutung zu. Aus Art. 3 GG folgt, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert werden darf. Das Strafrecht würde sich widersprüchlich verhalten, wenn die Bezeichnung als „schwul“ per se als ehrmindernd bewertet werden würde.

5. Kann es im Einzelfall ehrverletztend sein, jemanden als schwul zu bezeichnen?

Ja!

Für die Feststellung, ob ein Begriff beleidigend oder wertneutral verwendet wird, ist ausschlaggebend, wie der objektive Sinngehalt der Äußerung aus der Sicht eines unbefangenen Erklärungsempfängers zu verstehen ist. Ob eine Verletzung der Ehre vorliegt, ist unter Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu werten (Wortlaut, Kontext, Verhältnis zwischen Täterin und Opfer etc.). Wird „schwul“ verwendet, um Ärger, Verdruss oder Ablehnung gegenüber einer Person kundzutun oder um diese als unattraktiv und uninteressant darzustellen, kann es sich um eine Beleidigung handeln.

6. Hat vorliegend die Bezeichnung des C als schwul ehrverletzenden Charakter?

Genau, so ist das!

Für die Bewertung eines Aussage als ehrverletzend sind die Umstände des Einzelfalls zu beachten. Ausschlaggebend sind unter anderem der Kontext der Aussage, der Wortlaut, sowie das Verhältnis zwischen Täterin und Opfer. OLG: Der durchschnittliche Instagram-User fasse die Äußerung „schwul“ als Beleidigung auf. Hierfür spreche der Kontext der Äußerung. U hinterließ bereits des öfteren explizit negativ zu wertende Kommentare auf der Seite des C. Zudem habe ausweislich des Duden der Begriff „schwul“ in der Jugendsprache die Bedeutung „in Verdruss, Ärger, Ablehnung hervorrufender Weise schlecht, unattraktiv und uninteressant“. Nutze man die Bezeichnung als schwul in diesem Sinne, sei sie diskriminierend (RdNr. 11).

7. Überwiegt die Meinungsfreiheit der U hier aber die Schutzwürdigkeit des C?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Auslegung des Werturteils ist die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 GG) zu beachten. Handelt es sich um Schmähkritik, bei der nicht die Sache, sondern die bloße Diffamierung der Person im Vordergrund steht, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück. Ist dies nicht der Fall, so ist eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrschutz im konkreten Fall vorzunehmen. Zu beachten sind insbesondere Anlass und Kontext der Äußerung. U kommentierte "schwul" unter das Bild des C, einzig um ihn zu beleidigen. Es ist nicht erkennbar, dass die Äußerung auf einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abzielt. Selbst wenn man die Aussage also nicht bereits als Schmähkritik auffasst, so überwiegt jedenfalls Cs Ehrschutz. Die Abwägung erfolgt bereits im objektiven Tatbestand und nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit.

8. Hat U sich nach § 185 StGB strafbar gemacht?

Ja!

U tat ein ehrverletztendes Werturteil auf Instagram kund, das sowohl zur Kenntnis des Beleidigten C, als auch anderer Nutzer gelangte. U handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Nach § 194 Abs.1 S.1 StGB wird die Beleidigung nur auf Antrag verfolgt. Dieser wurde gestellt.Bei § 185 StGB handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. Ohne den Strafantrag steht der Verfolgung der Straftat ein Verfahrenshindernis entgegen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EL

Ella

8.9.2022, 15:59:27

Finde ich nicht überzeugend. Man erkennt so die Perversion grundsätzlich neutraler Wörter wie “

schwul

” oder “behindert” als Beleidigung an. Wie fatal ist das für Menschen, die tatsächlich eine

Behinderung

haben oder Homosexuell sind. Dass allein die Umstände über die

Ehrverletzung

entscheiden hilft dieser Tatsache nicht ab.

SASC

Sascha

8.9.2022, 16:14:01

Ja du hast Recht. So ein asoziales Urteil. Nein,

schwul

sein oder so bezeichnet zu werden ist keine Beleidigung. die Argumentation des OLG lässt vermuten, dass jegliches Wort eine Beleidigung sein kann, sofern der Kontext eine Verletzungsintention des Täters erkennen lässt und das Opfer sich betroffen fühlt. Das weicht die Anforderungen an eine Beleidigung extrem auf. Schon aufgrund des Art. 3 GG sollte solchen Begriffen generell kein strafwürdigen Beleidigungsinhalt zugesprochen werden. Die Betroffenheit des Opfer entspringt letztlich allein der eigenen Auffassung,

schwul

sein sei schlecht und man sei deswegen nun beleidigt worden. solche implizierten Abwertungen dürfen nicht mit deren Schutz belohnt werden.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 16:39:21

Die Frage ist aber grundsätzlicher Natur, wonach eine Beleidigung bewertet wird. Auf den objektiven Aussagegehalt kann es ja nicht ankommen. Sonst wären Begriffe wie Ars**loch und Hu***sohn nicht mehr beleidigend, sondern man könnte sich darauf beschränken, dass es objektiv (nicht) zutrifft. Auch weil es im zweiteren Fall diskriminierend ist die Person von ihrer Abstammung her zu betrachten. Aber es ist ja völlig klar, dass es nicht um den objektiven Aussagegehalt geht, sondern um die

Ehrverletzung

. Soll nicht heißen, dass die Kritik nicht zutrifft, aber die Frage nach der Bewertungsgrundlage finde ich hier zumindest vertretbar beantwortet.

SASC

Sascha

8.9.2022, 21:41:28

Woran knüpft man dann bei der Feststellung der

Ehrverletzung

an, ohne dabei diskriminierendem Gedankengut Schutzwürdigkeit zuzusprechen? Der Schutz muss nur auf solche Aussagen begrenzt sein, welche nicht im Widerspruch zum grundrechtsgeschützten Positionen stehen.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 21:52:10

Das ist genau das was ich sage. Und in dem Urteil wird auch gar nicht behauptet Homosexualität wäre verwerflich. Die machen vielmehr ein Problem daraus, dass es als Beleidigung genutzt wird. Und die Frage ist durchaus beschränkt man sich auf den objektiven Aussagegehalt, womit fast alle üblichen Schimpfwörter keine Beleidigung mehr wären, auf die allgemeine Verwendung oder auf die ehrverletzende Absicht oder Wirkung (objektiv oder auch subjektiv). Und die Frage ist schon Grundlage für die Antwort darauf.

PPAA

Philipp Paasch

8.9.2022, 22:08:38

Ich stimme unserer Kollegin Ella im Ausgangspunkt zu. Ich finde, der Meinungsfreiheit müsse mehr Gewicht zukommen. Man kann den Sachverhalt sicher auch so lesen, dass eine Beleidigung zu bejahen ist. Die sich hier entfachende Diksussion finde ich besonders interessant. Sehr schön.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 22:20:11

Also Meinungsfreiheit ist glaube ich weniger das Thema oder? Es geht eher um die Frage der

Ehrverletzung

nach meinem Verständnus

Simon

Simon

8.9.2022, 22:20:15

Ich halte das Urteil für juristisch zutreffend.

Schutzgut

der §§ 185 ff. StGB ist die

Ehre

. Diese ergibt sich (als sozialer Geltungsanspruch) gerade auch aus den Beziehungen des Opfers zu anderen Personen. Mithin kommt es mE eher auf eine faktische Betrachtung der Wirkungen der fraglichen Aussage an, als auf ihre normative Bewertung. Faktisch wird man wohl zugestehen müssen, dass die Bezeichnung als "

schwul

" in bestimmten Kontexten (v.a. unter Jugendlichen) immer noch als abwertend aufgefasst wird. Ob man dies - insb. auch vor dem Hintergrund des Art. 3 I GG - normativ gutheißt, steht auf einem anderen Blatt, ändert aber nichts an der faktischen Wirkung der Aussage in einem gegebenen Kontext.

SASC

Sascha

8.9.2022, 22:24:55

Sorry, aber das geht an der tatsächlichen Signalwirkung des Urteils vorbei. Wenn ein Gericht bestätigt, als

schwul

bezeichnet zu werden kann eine Beleidigung sein, dann ist damit ein Raum für eine Abwertung von Homosexuellen mittelbar gegeben. Es ist dann egal, wie sehr man es auch zurechtrücken will, am Ende bleibt es dabei, dass ein Gericht das bezeichnen als

schwul

als eine ehrverletzende Aussage anerkennt. Dem Strafrecht und im weiteren Verlauf den Gerichten kommt auch eine Kommunikationsfunktionen zu. Dir Kommunikation an dieser Stelle gestaltet sich dann doch als homophob und nicht gleichstellend.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 22:30:15

Die Frage wäre, woran wir dann eine Beleidigung festmachen. Dann dürfte auch Bas**** keine Beleidigung sein, weil sonst vermittelt wird, dass ein uneheliches Kind weniger wert sei o.ä. Aber es würde keiner bestreiten, dass es eine Beleidigung ist, nur weil der objektive Aussagegehalt keine Beleidigung ist. Und dass die Urteilsfindung die Kommunikation berücksichtigen soll, halte ich für eine kritische Aussage.

SASC

Sascha

8.9.2022, 22:33:39

„Bastard“ ist unproblematisch eine Beleidigung, weil diese Einordnung heutzutage nicht mehr vorgenommen wird genau aus dem Grund: es ist eine abwertende Bezeichnung für ein uneheliches Kind. Das war es schon früher und ist es auch heute. Wirklich relevant wird ed bei grundsätzlich zulässigen Einordnungen wie „behindert“, „

schwul

“, usw.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 22:43:41

Und jetzt die Frage woran wir bemessen, dass es abwertend ist. Es kann ja auch alleine objektiv verwendet werden, wie etwa auch in der Biologie. Und da müsste man schon etwas an die gezeigte Zielrichtung anknüpfen; bzw. was ist die Alternative?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 22:49:12

Und die Argumentation mit der Einordnung finde ich nicht so überzeugend. Die Einordnung nach der Homosexualität trifft man ja auch noch; daher kommt ja der Begriff "

schwul

". Und die muss man auch nicht treffen.

PPAA

Philipp Paasch

8.9.2022, 23:08:26

Bankert klingt gut.

SASC

Sascha

8.9.2022, 23:11:54

Die Einordnung in

schwul

, lesbisch etc. muss man nicht tun, das stimmt. Es geht aber nicht darum, welche Einordnungen man tun muss bzw. Nicht muss, sondern welche gänzlich keine Funktion mehr erfüllen und in ihrer Eigenart nur abwertende Funktion wahrnehmen bzw. Wahrgenommen haben - wie eben der Begriff „Bastard“.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

8.9.2022, 23:15:11

Sehe ich genauso. Und woran macht man das jetzt fest? Wer ordnet das anhand welcher Kriterien ein? Und wann darf ich auf die objektive Aussage abstellen und wann auf die ehrberührende?

SASC

Sascha

9.9.2022, 08:15:51

„Ehrberührend“ ist bereits ein so uneindeutiger Begriff. Er ist zwangsläufig subjektiv aufgeladen. Selbst wenn man in der Gesamtschau versucht eine Beurteilung vorzunehmen, ist diese eine subjektive Beurteilung mit extra Schritten. Ich denke, die Norm gehört überarbeitet. Jedenfalls darf es nicht zu solchen makaberen Ergebnissen kommen. Die Art der Beleidigungsermittlung scheitert bereits dann eindeutig, wenn man untersuchen muss, ob die Bezeichnung als „Schwuchtel“ unter

Schwul

en eine Beleidigung ist, wenn der so bezeichnete Homosexuelle sich dadurch verletzt sieht, obwohl es, ähnlich wie beim N-Wort, ein gleichermaßen Diskriminierter die Aussage tätigt.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

9.9.2022, 14:05:23

Ich würde nicht sagen dass die dann eindeutig scheitert. Die Frage ist nur, woran man das ermittelt. Man muss nur vorher klar und allgemein begründen, was die Grundlage ist. Und darauf kann man entscheiden, ob das beleidigend ist. Bei den genannten Begriffen ist auch das Problem, dass der objektive Aussagegehalt ja nicht beleidigend ist bzw. sein muss

PH

Philippe

14.9.2022, 07:45:17

Hier wird - wie bereits Simon zutreffend angemerkt hat - Sollen und Sein verwechselt. Die Bezeichnung "

schwul

" ist insbesondere in der Jugendsprache als Kundgabe von Miss- oder Nichtachtung geläufig. Ob etwas als Beleidigung normativ aufgefasst werden sollte, ist schlechthin irrelevant. Es kommt allein darauf an, dass es objektiv als Beleidigung aufgefasst wird. Wenn dann hier gefordert wird, ganze Gruppen von Wörtern aus dem Tatbestand auszunehmen, geht das schlicht an der Lebensrealität sowie der gesetzlichen Regelung vorbei.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.9.2022, 12:36:05

Hallo in die Runde, ergänzend zu der wirklich schönen Diskussion, die sich die letzten Tagen entwickelt hat, möchten wir noch einen Punkt anführen: Bei der Prüfung des Beleidigungstatbestandes in Form des herabsetzenden

Werturteil

s ist immer der objektive Sinngehalt einer Erklärung zu ermitteln. Dabei gibt es keine schlechthin beleidigende Äußerung, sondern jede Aussage ist in ihrem konkreten Kontext mit Blick auf Alter, Bildungsgrad, Stellung des Täters, persönlichen Verhältnissen des Angegriffenen, der Verkehrston der sozialen Schicht sowie die Beziehung zwischen den Beteiligten zu ermitteln. So ist auch "

schwul

" nicht pauschal beleidigend, wird aber insbesondere in der Jugendsprache genutzt um "Verdruss, Ärger, Ablehnung hervorrufender Weise schlecht, unattraktiv, uninteressant" zum Ausdruck zu bringen (Duden). Zwar wird "

schwul

" zunehmend auch zur Selbstbeschreibung genutzt und hat dadurch teils seinen abwertenden Charakter verloren. Allerdings ist die konkrete Bedeutung immer anhand der Umstände zu ermitteln. Das Gericht hat in seiner Entscheidung auf das bisherige Verhalten der U abgestellt, den Kontext des Instagramaccounts und die im konkreten Fall hohe Reichweite sowie die offen heterosexuelle Lebensweise des C in Betracht gezogen. Insoweit hat das Gericht nach den anerkannten Maßstäben entschieden - es kommt auf die reale Bedeutung der Worte an. Dies kann man natürlich als problematisch betrachten mit Blick auf Art. 3 GG. Durch das Urteil wird aber die faktisch ehrbeeinträchtigende Wirkung, die ebenfalls mit Blick auf Art. 2 Abs 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG relevant ist sanktioniert. Beispielweise hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit auch "Jude", "Spitzel", "Stasi" oder "Clown" als beleidigend in einem bestimmten Kontext angesehen. Gutes Beispiel für die Relevanz des alltäglichen Sprachgebrauchs ist auch "Bulle", welches in der Vergangenheit noch als beleidigende Bezeichnung für Polizisten anerkannt wurde, heute aber derart Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat, dass es in der Regel nicht mehr als Beleidigung zu werten ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SAUFE

Saufen_Fetzt

6.10.2022, 02:10:00

Wird wirklich Zeit, dass u.a. der 185 endlich gestrichen wird…

Antonia

Antonia

22.1.2023, 20:22:12

Im originalen Fall fiel kurz nach der Äußerung „

schwul

“ auch noch die Bezeichnung als „Bastard“, was das OLG ebenfalls in seine Wertung einbezogen hat. Dadurch wurde nochmal klar gemacht, dass „

schwul

“ hier nicht lediglich darauf abzielt, einen homosexuelle Mann zu bezeichnen, sondern einen beleidigenden Gesamtkontext herzustellen.

QUIG

QuiGonTim

8.9.2023, 08:24:44

Warum wurde § 185 HS 2 StGB nicht angesprochen? Handelt es sich dabei um eine Qualifikation?

LELEE

Leo Lee

9.9.2023, 09:37:40

Hallo QuiGonTim, bei § 185 Hs 2 StGB handelt es sich in der Tat um eine Quali. Diese Var. Wurde jedoch nicht angesprochen, weil die

Tätlichkeit

einen körperlichen Bezug (beim Opfer) verlangt, d.h. etwa ehrkränkende Ohrfeigen oder Anspucken. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier BT II 21. Auflage, § 29 Rn. 34 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

QUIG

QuiGonTim

11.9.2023, 18:15:43

Hallo Leo Lee, danke für die Antwort. :) Ich habe nicht genau genug zitiert. Ich meinte § 185 HS 2 Alt. 1 StGB („wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) […] begangen wird.“). Meine Frage zielt insbesondere darauf ab, ob Social Media Postings die Merkmale der Öffentlichkeit oder des Verbreitens erfüllen.


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