Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Diebstahl (§ 242 StGB)

Keine Dereliktion bei in die Altpapiertonne geworfenen Skizzen eines weltberühmten Künstlers

Keine Dereliktion bei in die Altpapiertonne geworfenen Skizzen eines weltberühmten Künstlers

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G, ein bekannter Künstler, entsorgt vier Skizzen, die seinem kritischen Blick nicht standhalten. Der gescheiterte Künstler K (ein großer Bewunderer des G) nimmt sie an sich. Er denkt, die Skizzen würden G nicht mehr gehören, weil er sie entsorgt hat.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Keine Dereliktion bei in die Altpapiertonne geworfenen Skizzen eines weltberühmten Künstlers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Skizzen standen ursprünglich im Eigentum des G.

Ja, in der Tat!

Vorliegend stellte G durch Verarbeitung (§ 950 BGB) von Graphit und Papier eine neue bewegliche Sache her, was durch die neue Bezeichnung (Skizze) belegt wird. Dass das Zeichnen eine Verarbeitung nach § 950 BGB darstellt vermutet § 950 Abs. 1 S. 2 BGB zudem unwiderleglich. Es ist davon auszugehen, dass G originäres Eigentum kraft Gesetzes erwarb, da der Wert der Verarbeitung bei einem prominenten Maler in aller Regel nicht wesentlich geringer ist als der der Ausgangsstoffe. Selbst wenn man dies verneinte, wäre G weiterhin Eigentümer, da er auch Eigentümer der Ausgangsstoffe war.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. G hat das Eigentum an den vier Skizzen aufgegeben, indem er sie entsorgt hat (§ 959 BGB, Dereliktion).

Nein!

Eine Eigentumsaufgabe (Dereliktion) nach § 959 BGB setzt voraus, dass der Eigentümer in der Absicht des Eigentumsverzichts den Besitz der Sache aufgibt. Auf diese Absicht kann in der Bereitstellung von Altpapier in der Regel nicht geschlossen werden. Dem Eigentümer ist es in der Regel nicht „egal“, was mit dem Papier passiert, er gibt seinen Besitz- und Eigentumswillen keineswegs bedingungslos auf. Insbesondere hat G hier ein - auch objektiv nachvollziehbares - Interesse, dass die nach seiner künstlerischen Empfindung unbrauchbaren Skizzen nur in die Hände desjenigen geraten, der sie auch vernichtet. Deshalb scheidet eine Eigentumsaufgabe aus.

3. K denkt, die Skizzen würden durch das Verbringen ins Altpapier niemandem mehr gehören. Deshalb entfällt sein Vorsatz bezüglich der Fremdheit.

Genau, so ist das!

K könnte sich über das objektive, normativ geprägte Tatbestandsmerkmal der "Fremdheit" irren, was nach § 16 StGB den Vorsatz entfallen ließe. Dabei kommt es für K nicht auf eine genaue rechtliche Subsumtion an. Vielmehr ist für einen Vorsatz nach der Parallelwertung in der Laiensphäre ausreichend, dass sich der Täter darüber bewusst ist, dass die Sache einem anderen "gehört". Hier ist K der Annahme unterlegen dass die Bilder niemandem mehr gehören, weswegen er laienhaft, aber wertungsmäßig nachvollziehbar davon ausging, dass diese herrenlos seien. K hatte keinen Vorsatz. Er bleibt straflos.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURA

Jurama

15.1.2020, 10:12:53

Hallo, soll die im SV dargestellte Mülltonne zu G gehören? Ich kenne die Rechtsprechung des AG nicht und frage mich, ob die gezogenen Wertungen bei Entsorgung in einem öffentlichen Mülleimer anders wäre. Gerade die offene Zugriffsmöglichkeit bei öffentlichen Mülleimern spricht eher für eine

Dereliktion

. Anderenfalls wäre jeder aus dem Mülleimer des Stadtparks entnommene Gegenstand eine fremde Sache. Zudem ist dem Laien die Möglichkeit des Zugriffs bei öffentlichen “Entwertungsbehältern“ bekannt. Ich hoffe und gehe mal davon aus, dass das oben genannte Bsp. sich auf die Mülltonne des G bezieht.

Henk

Henk

2.3.2020, 10:56:37

Ich würde sagen, dass man die Zugriffsmöglichkeit auf die Mülltonne als Indiz für die

Dereliktion

verwenden kann. Jedoch liegt selbst keine

Dereliktion

vor, wenn man Sperrmüll an den Straßenrand stellt, damit die AWB ihn abholt. Der Gewahrsam ist dann wohl abzulehnen, jedoch darf man den Aspekt der Herrschaftsgewalt nicht auf das Eigentum übertragen. Es kann nur als Indiz dafür dienen, ob dem Eigentümer das weitere Schicksal der Sache egal ist, ergo

Dereliktion

.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.6.2021, 11:19:45

Hallo Jurama, im Ausgangsfall handelte es sich um eine Papiermülltonne, die G zur Abholung an den Straßenrand gestellt hatte. Wie Henk zutreffend ausgeführt hat, führt dies allein indes nicht zur

Dereliktion

, wie vor einiger Zeit auch in einem Urteil des BayObLG im Zusammenhang mit dem Containern noch einmal klargestellt worden war: "Ein Verzichtswiller, der zur Herrenlosigkeit der Sache führt, liegt aber dann nicht vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zugunsten einer anderen Person (oder Organisation) aufgeben will" (BayOBLG, NStZ-RR 2020, 104). Die Entsorgung in einem öffentlich zugänglichen Mülleimer im Stadtpark könnte aber in der Tat eher für eine

Dereliktion

sprechen, als die Entsorgung im eigenen Hausmüll. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Henk

Henk

2.3.2020, 11:08:36

Wenn die Gemeinde per Satzung regelt, dass Abfall in öffentlichen Mülleimern ins Eigentum der Stadt übergehen soll (wie bei Sperrmüll oftmals), inwiefern wirkt sich dies auf die

Dereliktion

aus? Wenn jeder Bürger davon weiß, dann müsste man ja stets eine

Dereliktion

ablehnen und eine Entnahme aus den Mülleimern als Diebstahl qualifizieren.

Marilena

Marilena

2.3.2020, 12:23:51

Danke für Deine Überlegungen! Interessante Abwandlung! :) Ja das würde ich dann auch so sehen und es genau wie Du als Diebstahl qualifizieren.

Edward Hopper

Edward Hopper

27.10.2022, 21:58:59

Wenn im Sachverhalt nichts weiteres steht dann ja. Aber du musst vorsichtig sein, denn keine Satzung kann Regeln welchen Willen du hast. Wenn ich den Willen der

Dereliktion

habe, dann habe ich ihn. Egal was die Stadt regelt. Zumal diese ja nur Eigentum kriegt wenn ich es auch anbiete.

Pilea

Pilea

23.11.2022, 13:16:49

Aber die Ausgangsfrage zielt doch darauf ab, ob man dann jedes Mal Diebstahl von der Stadt begehen würde.. @[Edward Hopper](174080) 🤔

Edward Hopper

Edward Hopper

29.11.2022, 09:20:41

Grundsätzlich schon, aber immer noch die Frage ob man Müll klauen kann da wertlos. Aber das ne andere frage

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

23.10.2020, 10:25:02

Das heißt Altpapier aus der Mülltonne holen ist ok, Lebensmittel aber nicht? Ich hatte die Rechtsprechung zum Containern so verstanden, dass sich die Strafbarkeit nicht nur aus dem Betreten des Betriebsgeländes zur Wegnahme ergibt, sondern generell daraus, dass der Müll mit einer Zweckbestimmung (Entsorgung) versehen wurde. Der Künstler wollte hier ja auch die Entsorgung. Insofern wäre das hier eine gegenläufige Entscheidung.

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

23.10.2020, 10:27:38

Ach, jetzt hab ich es doch falsch verstanden. Er war ja im Irrtum und ist deshalb straflos. Wurde ein solcher Irrtum im Zusammenhang mit Containern auch diskutiert? Oder ging man da offensichtlich davon aus dass dieser Irrtum aufgrund des öffentlichen Diskurses zum Thema vermeidbar war?

JURA

Juranus

18.12.2020, 13:49:53

Gute Frage, ich würde wohl so argumentieren, dass die Tatsache, dass die Tonnen beim Containern eingeschlossen sind, auch für den Laien deutlich suggeriert, dass gerade bewusst keine

Eigentumsaufgabe

erfolgt.

Vulpes

Vulpes

29.12.2020, 14:53:30

Darüber hinaus was Juranus mMn zutreffend argumentiert wussten die Mädchen, dass der Müll im Eigentum des Supermarkts steht. Eben gegen diese Rechtslage wollten sie unter anderem mit ihrem Verhalten protestieren. Somit hätten sie auch keinem Irrtum über Tatsachen unterlegen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.6.2021, 10:56:02

Hallo zusammen, wie Juranus richtig ausführt, hat das BayObLG maßgeblich auf den Einschluss der Container abgestellt: "Bereits dadurch, dass der, zudem auf Firmengelände und nicht etwa im öffentlichen Raum stehende, Container abgesperrt war, hat der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar gemacht, dass die Firma die Lebensmittel nicht dem Zugriff beliebeiger Dritter anheimgeben wollte bzw. dass keine Einwilligung mit einer Mitnahme besteht." bzw. "Ein Verzichtswille, der zur Herrenlosigkeit der Sache führt, liegt aber dann nicht vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zu Gunsten einer anderen Person (oder Organisation) aufgeben will (BayObLG, NSt-Z-RR 2020, 104). Das Gericht hat im Hinblick auf die

Dereliktion

eine kleine Hintertür für andere Konstellationen offengelassen: "ob insbesondere aus der Besitzaufgabe ohne Weiteres auch auf einen Eigentumsverzicht geschlossen werden kann, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab". Auch diese hilft vorliegend nicht weiter, da es dem Künstler ersichtlich um die Vernichtung ging. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Vallowitz

Vallowitz

31.5.2021, 17:26:34

Wäre es nicht naheliegender das über paragraph 17 als vermeidbaren Verbotsirrtum zu lösen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.6.2021, 11:12:24

Hallo Vallowitz, auf den ersten Blick könnte man tatsächlich denken, dass jeder Rechtsirrtum unter § 17 StGB fällt und insoweit dem strengen Maßstab der "Unvermeidbarkeit" unterliegt. Der Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB umfasst aber nicht nur beschreibende Tatbestandsmerkmale ("Sache", "Mensch", "wegnehmen", "Waffe"), sondern auch sogenannte normative (=rechtliche) Merkmale, wie zum Beispiel ("fremd"; "Urkunde", "schwören"..). Diese umschreiben nicht unmittelbar Gegenstände oder Vorgänge der realen Welt, sondern sind stark rechtlich geprägt und insoweit nicht unmittelbar aus sich heraus verständlich. Zwar wird nicht verlangt, dass die Täter die exakte juristische Definition dieser normativen Merkmale kennen (sonst könnnten regelmäßig nur Juristen den Diebstahl oder die Urkundenfälschung begehen). Vielmehr genügt es, wenn der Täter die Tatsachen kennt, die für die Subsumtion notwendig sind und deren Bedeutung ungefähr erfasst (Paradebeispiel: Die Striche auf dem Bierdeckel, die anzeigen wie viel man getrunken hat. Auch der Laie versteht, dass der Bierdeckel als Grundlage für die Rechnung am Ende dient und somit eine verkörperte Gedankenerklärungedarstellt, die als Beweis im Rechtsverkehr genutzt wird = Urkunde iSd § 267 I StGB). Ist es dagegen in der

Laiensphäre

nicht ohne weiteres ersichtlich, dass das Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, so liegt bereits ein Tatbestandsirrtum nach § 16 I StGB vor, der den Vorsatz entfallen lässt und nicht nur ein Subsumtionsirrtum nach § 17 StGB, der lediglich die Schuld entfallen lässt (bei Unvermeidbarkeit) bzw. zu einer Strafmilderung führen kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CH

childmind

16.7.2022, 14:30:56

Wie sieht einhergehend mit Sperrmüll aus, wenn dieser mitgenommen wird?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 13:04:27

Hallo childmind, auch bei Sperrmüll wird dieser in der Regel an den Straßenrand gestellt mit dem Ziel, dass er von den Abfallwirtschaftsbetrieben eingesammelt wird. Eine

Dereliktion

liegt also mangels

Eigentumsaufgabe

absicht gerade nicht vor. Der ursprüngliche Eigentümer hat noch Eigentum an der Sache, sodass diese nicht herrenlos ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

TO

TomTom1

29.1.2023, 10:30:04

Das glaube ich nicht. Zumindest wenn die Gebühren nach Abfallmenge bemessen werden, habe ich doch sogar ein wirtschaftliches Interesse daran, dass Privatleute den Abfall mitnehmen.

Pilea

Pilea

23.11.2022, 13:29:06

In der angegebenen Entscheidung wurde der Angeklagte aber wegen Diebstahls verurteilt, allerdings konnte ich keine ausführliche Begründung zum Vorsatz finden.. Wisst ihr da mehr?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.11.2022, 17:03:52

Hallo Pilea, mehr Informationen stehen uns leider auch nicht zur Verfügung. Die amtsgerichtlichen Feststellungen sind hier leider in der Tat ungenügend. Würde man im Referendariat in der Staatsanwaltsklausur sich in ähnlicher Weise über die Darstellung der subjektiven Tatseite hinwegsetzen, würde es ordentlich Punktabzug hageln. Hier in dem Fall haben wir deshalb klargestellt, dass es unserem K an einem entsprechenden Vorsatz fehlte. Denn juristische Laien dürften überwiegend davon ausgehen, dass der Eigentümer durch das Wegwerfen einer Sache das Eigentum daran aufgibt (anders zB beim Containern, wenn das Gelände abgesperrt ist). In dem Originalfall scheint zudem noch die Besonderheit vorgelegen zu haben, dass die Papiertonne auf dem "Anwesen" des Künstlers stand, also nicht unbedingt frei zugänglich am Straßenrand. Auch dies könnte dafür gesprochen haben, dass das AG Köln den Vorsatz annahm. Beste Grüße, LUkas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

23.11.2022, 17:17:01

Danke für die sehr hilfreiche Antwort!


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community