+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schäfer S lässt ohne Einwilligung des Grundstückseigentümers G dessen Wiese durch eine circa 600 Tiere umfassende Schafherde abweiden. Die Schafe fressen das auf der Wiese wachsende Gras auf. G besucht zu diesem Zeitpunkt eine Landmaschinenmesse im Nachbarort.

Einordnung des Falls

Abgrasen einer Wiese durch Schafherde

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei dem abgetrennten Gras handelt es sich um eine für S fremde, bewegliche Sache (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand vergleichbar § 90 BGB, unabhängig von seinem Aggregatzustand. Für die Beweglichkeit ist maßgeblich, ob die Sache im Zeitpunkt der Wegnahme - und sei es auch erst nachdem sie bewegbar gemacht wurde - fortgeschafft werden kann.Durch das Lösen der Grashalme von der Wiese wurden diese beweglich gemacht. Das im Eigentum des G stehende Gras war auch für S fremd.

2. G hatte Gewahrsam an den einzelnen Grashalmen.

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Ja, in der Tat!

Als Gewahrsam wird die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft bezeichnet, deren Inhalt und Reichweite sich nach der Verkehrsanschauung bestimmt. Dieser natürliche Herrschaftswille erstreckt sich regelmäßig auf alle Sachen innerhalb der eigenen Gewahrsamssphäre. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass sich dieser generelle Gewahrsam auf einzelne Gegenstände konkretisiert. Da sich die abgetrennten Grashalme auf dem Grundstück des G befinden, hatte dieser Gewahrsam an ihnen.

3. Als G auf die Messe gegangen ist, hat er den Gewahrsam an den Grashalmen verloren.

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Nein!

Die tatsächliche Sachherrschaft wird - durch das normative Korrektiv der Verkehrsanschauung - nicht bereits bei vorübergehender Verhinderung ihrer Ausübung aufgehoben. Vielmehr ist ausreichend, wenn der Gewahrsam im Rahmen des sozial Üblichen wieder verwirklicht werden kann. So kann auch bei einer räumlichen Entfernung ein gelockerter Gewahrsam fortbestehen. G konnte sein Grundstück jederzeit wieder aufsuchen und die Sachherrschaft erneut ausüben. G hatte somit Gewahrsam an den einzelnen Grashalmen.

4. S hat neuen Gewahrsam an den Grashalmen begründet, indem seine Schafe sich das Gras einverleibt haben.

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Genau, so ist das!

Der Gewahrsamserwerber muss die tatsächliche Herrschaft über die Sache erlangen. Nach der Apprehensionstheorie genügt hierzu das Ergreifen der Sache, soweit es sich nicht um einen besonders großen oder sperrigen Gegenstand handelt. Entscheidend ist, ob der Erwerber die Herrschaft ungehindert durch den früheren Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. LG Karlsruhe: Da die Sachqualität des Grases nur bis zu dem Augenblick bestand, in dem es durch die Schafe verschluckt wurde, die Sache aber erst durch das Abreißen vom Boden beweglich wurde, komme es auf den Zeitpunkt an, in dem die Tiere das Gras im Maul hielten. Indem die Schafe das Gras vom Boden abrissen und im Maul hielten, habe T es zwar nicht selbst ergriffen, da ihm jedoch die Schafe als Werkzeuge und damit quasi als “verlängerter Arm” fungierten, sei ihm deren “Inbesitznahme” über Gras und Klee zuzurechnen.

5. S hat den fremden Gewahrsam „gebrochen“, indem seine Schafe sich das Gras einverleibt haben.

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Ja, in der Tat!

Der Täter bricht den Gewahrsam, wenn er ihn ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers aufhebt. Liegt ein Einverständnis vor, entfällt bereits das Merkmal der Wegnahme (sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis). LG Karlsruhe: In dem Moment, in dem die Schafe das Gras vom Boden abgerissen hatten und im Maul hielten, habe G die tatsächliche Sachherrschaft verloren. Dass S den Gewahrsam nicht durch eigene Handlung gebrochen habe, sondern dieses durch seine Tiere geschah, sei unerheblich, da ihm das Verhalten der Tiere zugerechnet werde.

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