Freiheitsberaubung nach § 239 StGB – Beeinträchtigung der potentiellen Fortbewegungsmöglichkeit


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Klassisches Klausurproblem

T schließt seine schlafende Freundin F im Schlafzimmer ein. Als er nach einer Stunde die Tür wieder öffnet, liegt sie noch immer schlafend im Bett. Vom Einschließen hatte sie nichts bemerkt.

Einordnung des Falls

Freiheitsberaubung nach § 239 StGB – Beeinträchtigung der potentiellen Fortbewegungsmöglichkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Zeitraum von einer Stunde genügt, um den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) zu erfüllen.

Genau, so ist das!

"Einsperren" bedeutet, jemanden durch äußere Vorrichtungen am Verlassen eines umschlossenen Raumes zu hindern. Eine bestimmte Dauer der Tathandlung setzt die Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) ausdrücklich nicht voraus. In die Vorschrift wird jedoch eine Erheblichkeitsschwelle hineininterpretiert, um nur strafwürdiges Unrecht zu erfassen. Als Abgrenzungshilfe dient die Formel des Reichsgerichts, nach der die Zeitspanne des Gebets eines "Vaterunser", d.h. bereits eine knappe Minute ausreichend ist. T öffnet erst nach einer Stunde die Tür. Damit ist die Erheblichkeitsschwelle überschritten.

2. Das Tatbestandsmerkmal des "Einsperrens" (§ 239 Abs. 1 Var. 1 StGB) ist nach h.M. nur erfüllt, wenn das Opfer Kenntnis davon hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Geschütztes Rechtsgut ist die persönliche Fortbewegungsfreiheit. Nach h.M. schützt die Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) nicht nur die aktuelle, sondern auch die potentielle Fortbewegungsfreiheit (Möglichkeit des Ortswechsels) und sichert die Bewegungsfreiheit damit möglichst umfassend. Ob das Opfer sich tatsächlich fortbewegen möchte, ist danach irrelevant. Andernfalls würde eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung oftmals nur vom Zufall abhängen. Zudem ist die persönliche Fortbewegungsfreiheit ein besonders wichtiges grundrechtlich geschütztes Rechtsgut (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 104 GG). Dass F vom Einschließen nichts bemerkt hat, ist irrelevant. T hat F "eingesperrt" (§ 239 Abs. 1 Var. 1 StGB). Nach a.A. ist nur der aktuelle Fortbewegungswille geschützt. Die h.M. verlagere den Vollendungszeitpunkt grundlos nach vorne und pönalisiere insoweit Versuchsunrecht. Hierfür gebe es aber seit Einführung des § 239 Abs. 2 StGB kein Bedürfnis mehr.

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JAN

Jan

4.6.2024, 11:18:00

folgt man der Rspr. wird ja auch der potentielle Fortbewegungswille geschützt. Allerdings wird meine ich in dieser Theorie weiter danach differenziert, ob das Opfer zum Zeitpunkt der Tathandlung auch einen solchen Willen hätte bilden können. Bei schlafenden Personen dürfte dies nicht der Fall sein, sodass nur ein Versuch vorliegen dürfte. Das kann man vielleicht noch klarstellen :)

MIC

Michael

5.6.2024, 17:28:33

Sollte richtig sein wie du es sagst. "Streitig ist, inwieweit dies auch für Schlafende und Bewusstlose gilt, bei denen der Fortbewegungswille nur vorübergehend fehlt. Richtigerweise wird das Opfer in seiner potentiellen Fortbewegungsfreiheit nur be- troffen, wenn es einen aktuellen Fortbewegungswillen zumindest bil- den könnte. Bei Schlafenden und Bewusstlosen ist aber die Möglich- keit einer solchen Willensbildung während der Dauer dieses Zustandes nicht gegeben" (Rengier, Strafrecht BT II, § 22 Rn. 5)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.6.2024, 13:46:17

Hallo ihr beiden, danke für den regen Austausch zu dem Fall. In der Tat ist der BGH an dieser Stelle großzügig und lässt den "potentiellen Fortbewegungswillen" ausreichend. Es darf für den Täter nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sein, dass das Opfer während der Zeit erwacht und seinen Willen aktualisiert. Dies wird in der Literatur durchaus kritisch gesehen, wie von dir angemerkt Michael. Das Hauptargument dabei ist, dass der Vollendungszeitpunkt zu weit nach vorn verlegt wird und den Versuch ausschließt. Zur Vertiefung anbei zwei BGH Urteile, die sich mit der potentiellen Fortbewegungsfreiheit auseinandersetzen: BGHSt 14, 314 (316) und BGHSt 32, 183 (188). Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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