(P) Einsperren durch Unterlassen

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T verschließt spät abends das Bürogebäude in dem Unwissen, dass der Angestellte O noch Überstunden ableistet. Wenig später ruft O ihn an. T erkennt nun die missliche Lage des O, hilft diesem jedoch nicht.

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Einordnung des Falls

(P) Einsperren durch Unterlassen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T das Gebäude verschlossen hat, ohne zu wissen, dass sich O noch darin befindet, hat er O "vorsätzlich eingesperrt" (§ 239 Abs. 1 Var. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

"Einsperren" bedeutet, jemanden durch äußere Vorrichtungen am Verlassen eines umschlossenen Raumes zu hindern. Die Ausgänge des umschlossenen Raumes können mechanisch oder elektronisch verschlossen, durch Hindernisse oder durch Bewachung versperrt sein. T hat den Ausgang das Gebäudes zwar verschlossen. Er handelte jedoch ohne Wissen und Wollen des Tatumstandes, dass sich O noch darin befindet, also ohne Vorsatz.
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2. Indem T nach Kenntnis der Lage des O nicht handelte, hat er O "auf andere Weise" durch Unterlassen der Freiheit beraubt (§§ 239 Abs. 1 Var. 2 StGB, 13 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Die Freiheitsberaubung "auf andere Weise" umfasst jedes Tun oder Unterlassen, durch das die Fortbewegung vollständig verhindert wird. Als Tatmittel kommt alles, was tauglich ist, einem anderen die Möglichkeit der Fortbewegung zu nehmen, in Betracht. Hält der Unterlassende eine Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB) im Hinblick auf die Möglichkeit des Verlassens des aktuellen Aufenthaltsorts des Tatopfers inne, kommt eine Freiheitsberaubung auch durch Unterlassen in Betracht. Wer eine Person aus Versehen einschließt, muss für deren Freiheit sorgen, sobald er vom Einschließen erfährt (Garantenstellung aus Ingerenz). T hat O aus Versehen eingeschlossen. Es wäre ihm auch ohne Weiteres zumutbar, das Gebäude zu öffnen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

15.12.2020, 12:23:53

Wieso wird das „nicht Aufsperren“ als

Freiheitsberaubung durch Unterlassen

„auf andere Weise“ statt (durch Unterlassen) „durch Einsperren“ gewertet?

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

15.12.2020, 14:46:56

Verstehe ich auch nicht. An das Jurafuchsteam: in der Aufgabenstellung fehlt das Wort "Lage".

TH

thorino

24.12.2020, 09:19:46

Hallo Daniel, es geht um das Unterlassen des Aufsperrens, auf das sich die Garantenstellung sodann bezieht.

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

24.12.2020, 10:09:55

Das beantwortet die Frage nur nicht :/

TH

thorino

24.12.2020, 10:22:05

weil zur Zeit des Einsperrens noch kein

Vorsatz

bestand. Und nach der Kenntnis ist der Schwerpunkt der

Vorwerfbarkeit

auf dem Unterlassen des (dem T möglichen) Aufsperrens, was aber wiederum kein Einsperren(verhindern des verlassens durch äußere Vorrichtung) darstellt

CaitlynCaro

CaitlynCaro

1.1.2021, 20:11:36

Ich denke, das liegt an der Entsprechungsklausel des §13 aE. Einsperren ist eine Tätigkeit und kein reiner Erfolg, weswegen eine Begehung durch Unterlassen grundsätzlich nicht möglich ist. Das berauben der Freiheit ist ein Erfolg, also durch Unterlassen möglich:)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.6.2021, 17:02:01

Hallo zusammen, Schmitzth92&Caitlyn Caro haben es in der Tat schon wunderbaru auf den Punkt gebracht. Danke euch! Fun Fact am Rande: Schon das Reichsgericht hatte sich mit dem Fall eines versehentlichen Einschlusses und der anschließenden Weigerung zu beschäftigen (RG 20.10.1893 - 2727/93, RGSt 24, 339 (340) - zu finden auf juris). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Mephisto

Mephisto

26.3.2024, 18:22:33

Wenn das Opfer durch einen Brand die Wohnung nicht mehr verlassen kann, wird sie dadurch eingesperrt oder auf sonstige Weise ihrer Freiheit beraubt?


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