+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T geht mit ihrem dreijährigen Sohn O in einem unwegsamen Gelände wandern. Als T eine SMS von ihrer Freundin erhält, ob sie Lust hat feiern zu gehen, lässt die T den O auf einer Parkbank zurück und sagt zu ihm, dass sie nur eben auf die Toilette geht.
Einordnung des Falls
Tatbegehung des Täters gegenüber seinem Kind oder einer Person, die ihm zur Erziehung oder Betreuung anvertraut ist (Nr. 1)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat den Grundtatbestand der Aussetzung (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB) objektiv erfüllt, indem sie den O zurückließ.
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Ja, in der Tat!
T hatte als Mutter gegenüber O eine Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB) inne. Zudem befand sich O in dem unwegsamen Gelände bereits in einer hilflosen Lage, denn er kann sich als Dreijähriger nicht alleine schützen und ist auf die Schutzbereitschaft der T angewiesen. T hat den O auch "im Stich gelassen", indem sie sich auf den Weg zum Feiern machte und den O auf einer Parkbank zurückließ. Sie hat den O dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt.
2. Bei § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation.
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Nein!
Bei § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt es sich nicht um eine Erfolgsqualifikation, sondern um einen Qualifikationstatbestand.
Da der Strafrahmen der Qualifikation bei mindestens einem Jahr liegt, handelt es sich um einen Verbrechenstatbestand (vgl. § 12 Abs. 1 StGB). Damit ist auch ein Versuch strafbar.
3. T ist taugliche Täterin (§ 221 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB).
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Genau, so ist das!
Die Mutterschaft (§ 1591 BGB) wird unter den Wortlaut "gegen sein Kind" subsumiert. Hierunter fällt ebenso die Vaterschaft (§ 1592 BGB) und auch die Adoption (§§ 1741ff. BGB).
T ist die leibliche Mutter des dreijährigen O.
4. O ist taugliches Opfer (§ 221 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB).
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Ja, in der Tat!
Auch wenn das Gesetz im Wortlaut keine Altersgrenze vorsieht, so wird unter "Kind" von der h.M. nur das minderjährige Kind verstanden, demgegenüber der Täter eine Erziehungs- oder Lebensführungsbetreuungspflicht hat (§§ 1626, 1631 BGB). Argumentiert wird dies mit dem Vergleich zu § 221 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB und einer notwendig kongruenten Auslegung zwischen den Varianten.
Sohn O ist drei Jahre alt und mithin minderjährig.
5. Der Vorsatz des Täters muss sich sowohl auf den Grundtatbestand (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB) als auch auf die Qualifikation (§ 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB) beziehen.
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Ja!
Bezüglich des Grundtatbestandes ist Vorsatz in Bezug auf den objektiven Tatbestand notwendig. Wichtig: Auch die Kenntnis der die Garantenstellung begründenden Umstände muss vorliegen. Erforderlich ist auch der Vorsatz bezüglich der Qualifikation (§ 15 StGB).
T wusste um den Umstand, dass ihr Handeln (räumliches Entfernen von O) den O in eine konkrete Gefahr des Todes bringen könnte. Ihr war auch bewusst, dass sie als Mutter des O eine besondere Pflichtenstellung gegenüber dem O innehat und die Tat gegen ihr Kind begeht.