Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Aussetzung, § 221 StGB

Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung (Nr. 2)

Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung (Nr. 2)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach einem Barbesuch setzt der Inhaber der Bar die stark alkoholisierte O in ein Taxi. Als sich O übergeben muss, hält Taxifahrerin T an einer abgelegenen Landstraße an. Beim Aussteigen stürzt O und fällt in ein Schlammloch. T weigert sich die O in der nassen und verdreckten Kleidung weiter mitzunehmen und lässt sie bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zurück. O irrt umher und wird von einem Autofahrer auf der Landstraße erfasst. Dabei erleidet sie eine Querschnittslähmung.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den Grundtatbestand der Aussetzung objektiv (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt, indem sie die O zurückließ.

Ja, in der Tat!

Richtig, denn T hatte als Taxifahrerin gegenüber der O eine Garantenstellung (tatsächliche Übernahme von Obhutspflichten (§ 13 Abs. 1 StGB)) inne. Zudem befand sich die O bereits durch den alkoholbedingten Rauschzustand in einer hilflosen Lage. T hat die O auch "im Stich gelassen", indem sie die Weiterfahrt ohne die O fortsetzte. Dadurch setzte sie die O der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aus.
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2. Bei § 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation.

Ja!

Bei § 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB handelt es sich nicht um eine Qualifikation, sondern um eine Erfolgsqualifikation. Dies bedeutet, dass die fahrlässige Herbeiführung der besonderen Folge genügt (§ 18 StGB). Wichtig: Bei erfolgsqualifizierten Delikten muss sich im qualifizierenden Erfolg die im Grunddelikt anhaftende eigentümliche Gefahr niederschlagen (gefahrspezifischer Zusammenhang).

3. O erlitt eine "schwere Gesundheitsschädigung" (§ 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Für den Begriff der schweren Gesundheitsschädigung gilt, dass dieser weiter reicht als der in § 226 Abs. 1 StGB abschließend umschriebene objektive Tatbestand. O erlitt eine Querschnittslähmung. Ein solches Krankheitsbild fällt bereits unter § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB und stellt mithin eine schwere Gesundheitsschädigung dar.

4. Zwischen dem Grunddelikt und der Erfolgsqualifikation besteht ein gefahrspezifischer Zusammenhang.

Ja, in der Tat!

Der gefahrspezifische Zusammenhang wird dann bejaht, wenn sich die im Grunddelikt anhaftende eigentümliche Gefahr niedergeschlagen hat. Hier hat sich die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung gerade verwirklicht.

5. T hat die qualifizierende Folge "wenigstens fahrlässig" (§ 18 StGB) herbeigeführt.

Ja!

Die qualifizierende Folge muss "wenigstens fahrlässig" herbeigeführt worden sein. Dies bedeutet, dass auch Vorsatz gegeben sein kann. Im Sachverhalt sind keinerlei Anhaltspunkte, dass T die O bewusst schädigen wollte. Jedoch hat T es zumindest billigend in Kauf genommen, dass die O eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Mithin handelte T "wenigstens fahrlässig".
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Cosmonaut

Cosmonaut

21.1.2024, 18:22:31

Hi, in der Subsumtion liegt ein kleiner Fehler: Ihr schreibt „mithin hat es T billigend in Kauf genommen … und handelte somit mindestens fahrlässig“. Das schließt sich gegenseitig aus, da die

Billigungstheorie

nach der hM ja bereits für eine Annahme des Vorsatzes ausreicht und Vorsatz und Fahrlässigkeit zueinander im Aliud-Verhältnis stehen. Korrekt wäre daher (in extenso) zu subsumieren: „T könnte jedoch sorgfaltswidrig gehandelt haben, als er die O im stark angetrunkenen Zustand mitten in der Nacht mit nasser Kleidung in Straßennähe zurückließ. Ein Geschehensverlauf, welcher sich zuungunsten der betrunkenen O auswirken würde, war für einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der Situation des T naheliegend und wahrscheinlich und damit vorhersehbar; nicht zuletzt infolge seiner vertraglichen Beförderungspflichten gegenüber dem Barinhaber handelte T damit also objektiv fahrlässig. Im Bereich der Schuld wäre dann noch zu ergänzen: „T, der als Taxifahrer auch betrunkene Kundschaft gewohnt ist, war auch nach dem Maß seines individuellen Könnens zur Erfüllung dieser Sorgfaltsanforderungen fähig (subjektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit)“. LG C

TI

Timurso

8.7.2024, 12:41:46

Die Lösung meint imo, dass sie es billigend in Kauf genommen hat, mithin vorsätzlich handelte, was die Voraussetzung "mindestens fahrlässig" erfüllt. Wie man bei dem Sachverhalt auf Vorsatz kommt, weiß ich aber auch nicht. Da steht nichts drin zur subjektiven Seite.

Dogu

Dogu

7.7.2024, 15:32:46

Liegt hier nicht schon auch § 221 I Nr. 1 StGB vor?

TI

Timurso

8.7.2024, 12:39:10

Ich würde sagen nein, mit der Begründung, dass O bereits in einer hilflosen Lage war, nachdem sie stark alkoholisiert und nass war. Die

hilflose Lage

wurde insofern nicht von T hervorgerufen.


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