Unwirksame überlange Annahmefrist (§ 308 Nr. 1 BGB)


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F will Immobilienfonds I ihre Wohnung verkaufen. In den AGB des I steht, dass Vertragspartner für sechs Wochen an ihr Angebot unwiderruflich gebunden sind. F bietet dem I unter notarieller Beurkundung ihre Wohnung zum Preis von €150.000 an. I nimmt dieses Angebot nach sechs Wochen an.

Einordnung des Falls

Unwirksame überlange Annahmefrist (§ 308 Nr. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Vertrag zwischen I und F ist nur zustande gekommen, wenn I das Angebot der F rechtzeitig angenommen hat. Dies wäre der Fall, wenn die AGB-Klausel wirksam ist.

Ja, in der Tat!

Ein Vertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Die §§ 146 ff. BGB bestimmen, innerhalb welcher Frist ein Angebot vom Erklärungsgegner noch angenommen werden kann. Nach § 147 Abs. 2 BGB kann ein Angebot gegenüber Abwesenden nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Anderes gilt nur, wenn dies die Vertragsparteien vereinbaren. I und F haben AGB-rechtlich vereinbart, dass F an abgegebene Angebote bis zu sechs Wochen unwiderruflich gebunden ist. Ist diese Klausel wirksam, hätte I das Angebot rechtzeitig angenommen, sodass ein Vertrag über die Wohnung zustande gekommen wäre.

2. Auch wenn die AGB-Klausel des I bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses eingesetzt wurde, unterliegt diese der AGB Kontrolle.

Ja!

Nach § 305 Abs. 1 BGB unterliegen nur Vertragsbedingungen der AGB Kontrolle. Annahmefristklauseln regeln die Bindung des Vertragspartners an seinen Antrag auf Abschluss des Vertrages und liegen deshalb im Vorfeld des Vertragsabschlusses. Man könnte daher eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB verneinen oder diese nur analog anwenden. Richtigerweise verlangt § 308 Nr. 1 BGB bei Annahmefristklauseln aber eine weite Auslegung des Begriffs der Vertragsbedingung, da die Norm sonst leerlaufen würde. Annahmefristklauseln sind deshalb Vertragsbedingungen iSv § 305 Abs. 1 BGB, die der AGB Kontrolle unterliegen. Die Klausel des I stellt eine Annahmefristklausel dar, die dem Willen des Gesetzgebers nach an § 308 Nr. 1 BGB zu messen ist. Vor diesem Hintergrund fällt die Klausel als Vertragsbedingung unter § 305 Abs. 1 BGB und ist inhaltlich auf ihre Wirksamkeit zu kontrollieren.

3. Die AGB-Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 13 c) BGB, da die Erklärung der F an besondere Zugangserfordernisse geknüpft wird.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 309 Nr. 13 c) BGB verbietet dem Verwender die Erklärung des Vertragspartners an besondere Zugangserfordernisse zu knüpfen, die über die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen der §§ 130, 131 BGB für empfangsbedürftige Willenserklärungen hinausgehen. Unzulässig sind daher zum Beispiel Klauseln, die den Zugang nur per Telefax oder per Brief zulassen, da so die persönliche Übergabe ausgeschlossen wird. Die AGB Klausel des I knüpft an Erklärungen der F keine besonderen Zugangserfordernisse. Vielmehr bestimmt sie nur, dass eine zugegangene Erklärung für sechs Wochen unwiderruflich ist. Die Klausel verstößt daher nicht gegen § 309 Nr. 13 c) BGB.

4. Da I sich durch die AGB-Klausel eine unangemessen lange Annahmefrist vorbehält, ist die Klausel nach § 308 Nr. 1 BGB unwirksam.

Ja, in der Tat!

Nach § 308 Nr. 1 BGB ist eine Bestimmung, durch die sich der Verwender unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für die Annahme oder Ablehnung eines Angebots oder die Erbringung einer Leistung vorbehält, unwirksam. Ob eine Frist angemessen ist, beurteilt sich im Ausgangspunkt nach der gesetzlichen Regelung des § 147 BGB. Ist eine Annahmefrist wesentlich länger als § 147 BGB, ist abzuwägen ob dies eine unangemessene Benachteiligung gegenüber dem Vertragspartner darstellt. Da F das Angebot gegenüber dem Abwesenden I abgibt, könnte I ihr Angebot nach § 147 Abs. 2 BGB solange annehmen wie eine Antwort unter gewöhnlichen Umständen zu erwarten ist. Beim Immobilienkauf sind dem Verkäufer etwa vier Wochen aufgrund der Bonitätsprüfung des Käufers und der Formbedürftigkeit des Vertrags einzuräumen. Die sechswöchige Frist in der AGB Klausel des I überschreitet diese Zeit wesentlich. Mangels berechtigter Interessen des I ist die Annahmefrist von sechs Wochen daher unangemessen lang und deshalb unwirksam nach § 308 Nr. 1 BGB.

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QUIG

QuiGonTim

17.10.2023, 08:56:11

Ich hätte die Annahmefristklausel als Bestandteil eines eigenständigen Vertrages zur Regelung des vorvertraglichen Verhältnisses angesehen. Bin ich damit völlig auf dem Holzweg?

Peter im Pech

Peter im Pech

14.1.2024, 17:49:54

Wenn ich das verlinkte Urteil richtig verstanden habe, ist der Sachverhalt ein anderer. Darin hat der Käufer und gleichzeitig Kläger dem Verkäufer ein Angebot gemacht, an das er laut AGB des Verkäufers für 3 Monate gebunden sein sollte. Die Ansicht des BGH, das dem Verkäufer eine maximal 4 wöchige Bedenkzeit im Hinblick auf eine Bonitätsprüfung des Käufers eingeräumt wird, macht dann schon Sinn. Im vorliegenden Jurafuchs Fall macht jedoch der Verkäufer dem Käufer ein Angebot. Man fragt sich demnach, wieviel Bedenkzeit dem Käufer eingeräumt wird, um noch wirksam das Angebot anzunehmen. Der Käufer hat aber keine Bonitätsprüfung des Verkäufers vorzunehmen. Kann man dann daraus schlussfolgern, dass die Annahmefrist nach gewöhnlichen Umständen noch KÜRZER ist?

Peter im Pech

Peter im Pech

14.1.2024, 17:51:18

Also kürzer als vier Wochen?

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

3.4.2024, 15:30:20

Ohne mir das Urteil durchgelesen zu haben, finde ich es ist ein guter nachvollziehbarer Gedanke (wenn es denn so war). Ich glaube aber insbesondere in Bezug auf die Praxis sind die vier Wochen als angemessen zu erachten. Auch hinter einem Fonds stecken ja immerhin Menschen, die etwas Bedenkzeit brauchen, um ggf. nochmal Sachen durchzurechnen, zu vergleichen etc. Insbesondere, wenn dann auch mehrere Personen u.U. etwas mitzureden haben, kann es etwas dauern bis man sich intern einig geworden ist


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