Strafrecht
BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.
Nötigung, § 240 StGB
Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung)
Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T erteilt dem Blindenführer B einen heftigen Schlag und hindert ihn so am Weitergehen. Die anwesende sehbehinderte O kann sich ohne ihren Helfer B nicht fortbewegen.
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Einordnung des Falls
Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht sie den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem T den Blindenführer schlägt, liegt zugleich eine Gewaltanwendung an O vor (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).
Genau, so ist das!
3. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt das Unterlassen des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lenny
26.6.2021, 11:35:35
Guten Tag, wenn ich das richtig verstanden habe, wurde hier ja nur der objektive Tatbestand geprüft. Wie sieht es bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt mit dem Nötigungs
vorsatzgegenüber O aus? Könnte man den ohne weiteres, mit der lebensnahen Sachverhaltsauslegung objektiver Indizien bejahen?
Lenny
26.6.2021, 12:37:50
Noch ein Nachtrag dazu. Ich dachte, dass schon der objektive
Gewaltbegriffein „Bestimmtsein“ eines physisch wirkenden Handelns und damit ein subjektives Element (Absicht) beinhaltet. Ein solches ist für mich nicht erkennbar. Der Schlag gegen B war doch nicht dazu bestimmt, um O am Weitergehen zu hindern, oder kann das auch mit einer lebensnahen Sachverhaltsauslegung angenommen werden? Sorry für den Doppelpost und Danke schonmal für die Antworten.
Lukas_Mengestu
2.7.2021, 18:19:43
Hallo Lenny, vielen Dank für diese wichtigen Rückfragen. Du hast völlig Recht, dass der Sachverhalt hier im Hinblick auf die subjektive Seite noch recht dünn ist. Für den Schlag könnte es ja tatsächlich auch noch viele andere Erklärungen geben (zB Konflikt zwischen T und B; Raub;...). Der Fall zielt indes allein darauf ab zu verdeutlichen, dass auch eine Gewaltanwendung gegen Dritte als Gewalt gegen den Nötigungsadressaten gewertet wird, wenn sie von dem Genötigten als Zwang empfunden wird. Das hatte schon das Reichsgericht in einem Fall entschieden, in dem einem Kutscher gewaltsam die Zügel der Pferde aus der Hand entrissen wurden und dadurch der Inhaber der Kutsche dazu genötigt wurde zu dulden, dass ihm die Kutsche weggenommen wurde (Vgl. RG, Urteil vom 17.Januar 18888 - 3227/87, RGSt 17, 82 - zu finden auf juris ;-) ). Die subjektive Seite wollten wir hier insofern nicht weiter beleuchten, weswegen sich auch keine Anhaltspunkte im Sachverhalt finden. Dass bereits im objektiven Tatbestand bei dem
Gewaltbegriffdie subjektive Seite mitgeprüft wird, ist mir eigentlich nicht bekannt. Weißt Du zufällig, wo Du das gelesen/gehört hast? Im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand wird nach meiner Kenntnis vor allem diskutiert, ob bedingter
Vorsatzausreicht (so wohl die hM laut Fischer, StGB, § 240 Rn. 53 mwN) oder ob es nicht zumindest hinsichtlich des
Nötigungserfolges Absicht, also
dolus directus 1. Grades, bedarf (so wohl die hL laut NK-StGB/Toepel, 5. A. 2017, § 240 Rn. 194). Dies ist aber trotzdem nicht schon bei der Frage zu prüfen, ob objektiv Gewalt vorliegt, sondern erst im subjektiven Tatbestand. Bestse Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lenny
2.7.2021, 21:50:34
Hallo Lukas, danke mal wieder für deine rasche und ausführliche Hilfe 😊. Mit dem subjektiven Element meine ich das Dritte Element der Gewalt, wie es auch in der Lösung zu der Aufgabe heißt: „um erwarteten oder geleisteten Widerstand zu überwinden“. Für mich stellt das ein subjektives Element eines objektiven Tatbestandsmerkmals dar, oder bin ich da komplett auf dem falschen Dampfer? Angenommen, dass der T nur B schlagen wollte und O gar nicht erst bemerkt hat. Würde dann die Gewalt gegenüber O (und B) nicht schon objektiv entfallen, da hier ja gerade das für §240 nötige Element der Beschränkung der Willensfreiheit fehlte? Vielleicht könntest du mir da nochmal helfen, das wäre mega lieb. Gruß Lennart