Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung)

15. April 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T erteilt dem Blindenführer B einen heftigen Schlag, weswegen B benommen stehen bleibt. Die anwesende sehbehinderte O kann sich ohne ihren Helfer B nicht fortbewegen.

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Einordnung des Falls

Gewalt gegen Dritte (Dreiecksnötigung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T den B geschlagen hat, hat sie Gewalt gegen B angewandt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja!

Der Begriff der Gewalt ist umstritten. Der klassische Gewaltbegriff ist die anerkannte Grundlage aller Definitionsversuche. Er setzt voraus, dass die Täterin (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.Die Schläge sind eine körperliche Kraftentfaltung, die Zwang auf den Körper des B bewirken.Bei einem so unproblematischen Fall kannst Du die Prüfung des Gewaltmerkmals knapp halten.
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2. Wegen dieser Schläge musste B die Gewalt dulden. Reicht dies für die Annahme eines Nötigungserfolgs (§ 240 Abs. 1 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 240 StGB ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, durch das Nötigungsmittel herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Aus der Struktur der Norm ergibt sich, dass der Erfolg mehr sein muss, als die bloße Hinnahme der Gewalt.B musste die Gewalt hinnehmen. Darüber hinaus hat er nicht gehandelt, etwas geduldet oder unterlassen. Bei B ist kein Nötigungserfolg eingetreten.

3. O konnte ohne Bs Hilfe nicht weiter gehen. Ist damit ein Nötigungserfolg bei O eingetreten (§ 240 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Nötigungserfolg liegt in einem Handeln, Dulden oder Unterlassen.O hat es unterlassen weiter zu gehen. Ein Nötigungserfolg ist eingetreten.

4. Besteht zwischen der Schlägen und dem Nötigungserfolg ein nötigungsspezifischer Zusammenhang?

Ja!

Der Nötigungserfolg müsste durch die Gewalt verursacht worden sein. Es kommen die allgemeinen Regeln der Kausalität und objektiven Zurechnung zur Anwendung.Indem T den Blindenführer geschlagen hat, hat sie herbeigeführt, dass O sich nicht mehr weiter fortbewegen kann. O unterlag damit selbst einem physischen Zwang. O musste wegen der Gewalt der T stehen bleiben.Für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB, müsste T natürlich auch vorsätzlich hinsichtlich des Hervorrufens des Nötigungserfolgs gehandelt haben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RECH

Rechtsausleger

26.6.2021, 11:35:35

Guten Tag, wenn ich das richtig verstanden habe, wurde hier ja nur der objektive Tatbestand geprüft. Wie sieht es bei dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt mit dem

Nötigung

s

vorsatz

gegenüber O aus? Könnte man den ohne weiteres, mit der lebensnahen Sachverhaltsauslegung objektiver Indizien bejahen?

RECH

Rechtsausleger

26.6.2021, 12:37:50

Noch ein Nachtrag dazu. Ich dachte, dass schon der objektive

Gewaltbegriff

ein „Bestimmtsein“ eines physisch wirkenden Handelns und damit ein subjektives Element (Absicht) beinhaltet. Ein solches ist für mich nicht erkennbar. Der Schlag gegen B war doch nicht dazu bestimmt, um O am Weitergehen zu hindern, oder kann das auch mit einer lebensnahen Sachverhaltsauslegung angenommen werden? Sorry für den Doppelpost und Danke schonmal für die Antworten.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.7.2021, 18:19:43

Hallo Lenny, vielen Dank für diese wichtigen Rückfragen. Du hast völlig Recht, dass der Sachverhalt hier im Hinblick auf die subjektive Seite noch recht dünn ist. Für den Schlag könnte es ja tatsächlich auch noch viele andere Erklärungen geben (zB Konflikt zwischen T und B; Raub;...). Der Fall zielt indes allein darauf ab zu verdeutlichen, dass auch eine

Gewaltanwendung

gegen Dritte als Gewalt gegen den

Nötigung

sadressaten gewertet wird, wenn sie von dem Genötigten als Zwang empfunden wird. Das hatte schon das Reichsgericht in einem Fall entschieden, in dem einem Kutscher gewaltsam die Zügel der Pferde aus der Hand entrissen wurden und dadurch der Inhaber der Kutsche dazu genötigt wurde zu dulden, dass ihm die Kutsche weggenommen wurde (Vgl. RG, Urteil vom 17.Januar 18888 - 3227/87, RGSt 17, 82 - zu finden auf juris ;-) ). Die subjektive Seite wollten wir hier insofern nicht weiter beleuchten, weswegen sich auch keine Anhaltspunkte im Sachverhalt finden. Dass bereits im objektiven Tatbestand bei dem

Gewaltbegriff

die subjektive Seite mitgeprüft wird, ist mir eigentlich nicht bekannt. Weißt Du zufällig, wo Du das gelesen/gehört hast? Im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand wird nach meiner Kenntnis vor allem diskutiert, ob bedingter

Vorsatz

ausreicht (so wohl die hM laut Fischer, StGB, § 240 Rn. 53 mwN) oder ob es nicht zumindest hinsichtlich des

Nötigungserfolg

es Absicht, also

dolus directus 1. Grades

, bedarf (so wohl die hL laut NK-StGB/Toepel, 5. A. 2017, § 240 Rn. 194). Dies ist aber trotzdem nicht schon bei der Frage zu prüfen, ob objektiv Gewalt vorliegt, sondern erst im subjektiven Tatbestand. Bestse Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

RECH

Rechtsausleger

2.7.2021, 21:50:34

Hallo Lukas, danke mal wieder für deine rasche und ausführliche Hilfe 😊. Mit dem subjektiven Element meine ich das Dritte Element der Gewalt, wie es auch in der Lösung zu der Aufgabe heißt: „um erwarteten oder geleisteten Widerstand zu überwinden“. Für mich stellt das ein subjektives Element eines objektiven Tatbestandsmerkmals dar, oder bin ich da komplett auf dem falschen Dampfer? Angenommen, dass der T nur B schlagen wollte und O gar nicht erst bemerkt hat. Würde dann die Gewalt gegenüber O (und B) nicht schon objektiv entfallen, da hier ja gerade das für §240 nötige Element der Beschränkung der Willensfreiheit fehlte? Vielleicht könntest du mir da nochmal helfen, das wäre mega lieb. Gruß Lennart

TAUNU

Taunus84

12.4.2025, 22:37:17

Auch hier verstehe ich leider wieder nicht, wo bei O der „geleistete oder erwartete Widerstand“ ist, den ich für die Bejahung der Gewalt brauche. Erst einmal steht doch nirgends, dass der Täter der O überhaupt irgendetwas Böses wollte, schon gar nicht irgendeinen Widerstand der O (den sie vielleicht aufgrund ihrer Blindheit nicht einmal so einfach hätte leisten können) zu brechen. Er wollte doch hier einfach den B schlagen…?


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