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Arbeitsrecht

Arbeitsgerichtsprozess

Rechtswegszuständigkeit Arbeitsgerichte – „Et-Et-Fälle“

Rechtswegszuständigkeit Arbeitsgerichte – „Et-Et-Fälle“

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dozent Lukas (L) arbeitet auf Honorarbasis für die “Forever learning GmbH” (F). Als ihn seine Chefin Nora außerordentlich kündigt, beantragt L vor dem Arbeitsgericht festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis (§ 611a BGB) weiterbesteht. F erwidert, es hätte nur ein Dienstverhältnis bestanden (§ 611 BGB).

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Einordnung des Falls

Rechtswegszuständigkeit Arbeitsgerichte – „Et-Et-Fälle“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung richtet sich sowohl beim Arbeits- als auch beim Dienstverhältnis primär nach § 626 BGB.

Genau, so ist das!

Für die Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kommt es nach dem Tatbestand des § 626 BGB nicht auf die Arbeitnehmereigenschaft an. Anders als bei einer ordentlichen Kündigung, bei der im Arbeitsverhältnis die verschärften Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes gelten (§ 1 ff. KSchG), findet § 626 BGB also sowohl im Arbeitsverhältnis als auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses Anwendung. Diese Fallgruppe wird et-et-Fälle (lateinisch für „sowohl-als-auch“) genannt.Im Arbeitsverhältnis gilt allerdings auch bei der außerordentlichen Kündigung die Präklusionsfrist (§§ 7, 4 S. 1 KSchG) und es bedarf der vorherigen Betriebsratsanhörung (§ 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG).
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2. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, wenn L für F als Arbeitnehmer tätig war (§ 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG).

Ja, in der Tat!

Die Gerichte für Arbeitssachen sind zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses ( (§ 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG). Ist die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet, so wird die allgemeine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Streitigkeiten (§ 13 GVG) verdrängt.L begehrt die Feststellung, dass das zwischen ihm und F bestehende Verhältnis nicht durch die außerordentlichen Kündigung beendet wurde. Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ist aber nur dann begründet, wenn L Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 1 ArbGG) und es insoweit um das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geht.

3. Ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch eröffnet, wenn zwischen L und F ein Dienstverhältnis bestand (§ 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG)?

Nein!

Die Arbeitsgerichte sind lediglich hinsichtlichd des Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses (§ 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG) ausschließlich zuständig. Reine Dienstverhältnisse fallen dagegen in die allgemeine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Streitigkeiten (§ 13 GVG).Sofern zwishen L und F also ein bloßes Dienstverhältnis bestand, wäre das angerufene Arbeitsgericht unzuständig und die Klage damit unzulässig.

4. Trifft das Arbeitsgericht eine Amtsermittlungspflicht bezüglich der Frage, ob L Arbeitnehmer ist?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Arbeitsgericht ist zwar von Amts wegen und nicht nur auf Rüge einer Partei verpflichtet, die Frage der Zuständigkeit zu prüfen. Daraus ergibt sich indes keine Amtsermittlungspflicht. Das Gericht ist also nicht selbst verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären. Vielmehr bleibt es bei der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, d.h. jede Partei ist für die für sie günstigen Umstände beweispflichtig. Kann eine streitige Frage nicht aufgeklärt werden, so geht dies zulasten der beweisbelasteten Partei.Wenn L kein Arbeitnehmer ist, dann ist seine Klage vor dem Arbeitsgericht unzulässig. Der Arbeitnehmerstatus ist damit eine für ihn günstige Tatsache, für die er beweispflichtig ist.

5. Wird Ls Klage als unzulässig abgewiesen, wenn ihm der Nachweis nicht gelingt, dass er als Arbeitnehmer tätig war?

Nein, das trifft nicht zu!

Über § 48 Abs. 1 ArbGG finden die §§ 17 bis 17b GVG auf die Zulässigkeit des Rechtswegs entsprechende Anwendung. Im Falle der Anrufung des unzuständigen Gerichts wird die Klage nicht abgewiesen. Stattdessen verweist das angerufene Gericht den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs (§ 17a Abs. 2 S. 1 GVG). Der Kläger muss also nicht erneut Klage erheben.In den „et-et-Fällen“ ist die Frage des Arbeitnehmerstatus also von entscheidender Bedeutung für die Frage, welcher Rechtsweg beschritten wird. In diesen Fällen muss die Beweiserhebung über den Arbeitnehmerstatus im Streitfall deshalb bereits bei der vorgelagerten Zuständigkeitsprüfung erfolgen und damit noch vor dem Gütetermin!
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