Dem Erklärenden nicht bekannte Schwerhörigkeit des Empfängers


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bestellt bei V telefonisch 200 t Weizen. V ist, was K nicht weiß, schwerhörig. V versteht "100 t" und sagt der Lieferung zu.

Einordnung des Falls

Dem Erklärenden nicht bekannte Schwerhörigkeit des Empfängers

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das telefonische Angebot des K ist eine Willenserklärung unter Abwesenden. Es wird wirksam mit Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein!

Fernmündliche WE erfolgen an sich unter (körperlich) Abwesenden. Nach § 147 Abs. 1 BGB liegt jedoch auch bei einem telefonisch übermittelten Antrag ein Angebot unter Anwesenden vor. Ein solches setzt nicht notwendig physische Präsenz der Beteiligten voraus. Es reicht aus, wenn trotz räumlicher Trennung eine unmittelbar sinnliche Wahrnehmung stattfindet und die Möglichkeit besteht, dass die Abgabe der Willenserklärung mit ihrer Kenntnisnahme unmittelbar zusammenfällt.Demnach ist K’s Angebot eine Willenserklärung unter „Anwesenden“.

2. Als Willenserklärung unter Anwesenden wird das telefonische Angebot des K wirksam mit Zugang nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog.

Genau, so ist das!

Empfangsbedürftige Willenserklärungen werden, wenn sie in Abwesenheit des Empfängers abgegeben werden, mit Zugang wirksam (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Für das Wirksamwerden unter Anwesenden enthält das Gesetz keine Regelung. In analoger Anwendung des § 130 BGB ist auch hier der Zugang maßgeblich. Eine nicht verkörperte Willenserklärung wird wirksam mit Zugang, wenn (1) der Empfänger sie wahrgenommen hat (= akustisch richtig verstanden hat) oder (2) wenn der Erklärende nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass der Empfänger sie wahrgenommen hat (hM, sog. eingeschränkte Vernehmungstheorie).

3. Das Angebot des K auf Abschluss eines Kaufvertrags über 200t Weizen ist nach h.M. wirksam geworden.

Ja, in der Tat!

Eine nicht verkörperte Willenserklärung geht nach der h.M. (eingeschränkte Vernehmungstheorie) zu, wenn (1) der Empfänger sie wahrgenommen (= akustisch richtig verstanden) hat oder (2) der Erklärende nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass der Empfänger sie wahrgenommen hat. Es wäre unbillig, dem Erklärenden etwa das Übermittlungsrisiko aufzubürden, das sich aus einer unerkannten Schwerhörigkeit des Vertragspartners ergibt.Hier hat V das Angebot infolge Schwerhörigkeit nicht wahrgenommen. Für K war die Schwerhörigkeit jedoch nicht erkennbar war. Er durfte zweifelsfrei davon ausgehen, dass V ihn zutreffend versteht. Ks Angebot ist V zugegangen.

4. V und K haben einen Kaufvertrag über 200t Weizen geschlossen.

Ja!

Voraussetzung für einen Kaufvertrag sind zwei übereinstimmende Willenserklärungen. Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB).V hat das Angebot des K angenommen, indem er der Lieferung zugesagt hat.V kann seine Willenserklärung aber u.U. wegen Inhaltsirrtums (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) anfechten.

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MsFox

MsFox

3.11.2020, 22:06:02

Die Annahmeeeklärung des Vs ist doch ebenso eine empfangsbedürftige Willenserklärung.

Handlungswille

und Erklärungsbewusstsein sind wohl da, aber der Geschäftswille - also die konkrete Rechtsfolge wäre doch hier der Verkauf von 100 t aus Sicht des Vs. Oder etwa nicht?

MVSEVM

MVSEVM

5.11.2020, 09:59:30

Eine WE ohne Geschäftswillen ist zum Schutz des unwissend n Erklärungsempfängers (K) trotzdem wirksam. Es wäre auch widersprüchlich den K auf Ebene des Zugangs seines Angebots zu schützen, indem das fehlende Wissen über die Schwerhörigkeit unschädlich für den Zugang ist, um ihm dann diesen Schutz auf der Ebene der Annahmeerklärung des V wieder abzusprechen.

🦊²

🦊²

15.11.2023, 17:08:53

hi, fällt das "verhören" nicht eher in die Kategorie Vertippen, verschreiben und stellt somit einen Erklarungsirrtum dar? Liebe Grüße

Bubbles

Bubbles

16.11.2023, 12:37:56

Meines Verständnisses nach fällt das Verhören hier in den Bereich der Willensbildung und nicht der Willensäußerung. Beim Erklärungsirrtum wählt der Erklärende ja ein nicht gewolltes Erklärungszeichen im Rahmen der Willensäußerung. Hier erklärt V jedoch bloß die Zustimmung und wollte dies auch tun. Er irrt aber über die Bedeutung seiner Zustimmung, da sie sich auf 200t und nicht auf 100t bezieht, sodass es sich um einen Inhaltsirrtum handelt.

LELEE

Leo Lee

18.11.2023, 19:50:19

Hallo Fuchs^2, wie Bubbles zutreffend anmerkt, ist das Verhören keine Erklärung an sich, sondern eher ein Vorfeldphänomen, was zur Willensbildung beiträgt. Wenn man nun das Verhören ebenfalls als Erklärungsirrtum auffasst, kann das Problem bestehen, dass man die Grenze zum Inhaltsirrtum verwischt. Denn gerade weil sich der V verhört hat, weiß er zwar dass er was sagt, jedoch nicht, was er DAMIT sagt (Inhaltsirrtum) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

🦊²

🦊²

19.11.2023, 11:15:13

Danke Danke! :)

LELEE

Leo Lee

19.11.2023, 11:16:18

Klar, gerne :)

FL

Florian

1.2.2024, 23:29:13

Der pauschale Hinweis, es sei unbillig dem Erklärenden das Risiko eines schwerhörigen Empfängers aufzubürden, überzeugt mich nicht. Aus welcher Norm spricht diese Wertung? Ganz im Gegenteil bürgt das Gesetz dem Erklärenden doch sogar auch das Risiko eines unerkannt geisteskranken und daher geschäftsunfähigen oder minderjährigen Geschäftspartner auf. Die sich ergebenden Nachteile/Schäden lassen sich auch auf andere Weise gerecht zuweisen.

LELEE

Leo Lee

3.2.2024, 19:55:35

Hallo Florian, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat ist deine Ansicht auch sehr gut vertretbar; die Sache ist nämlich – wenngleich mit einer fast schon überragenden h.M. – streitig. Richtig ist, dass bei einem Geschäftsunfähigen Geschäftspartner der Erklärender das Risiko trägt. Dies ist die Lösung des Konflikts zw. dem VERKEHRSSCHUTZ vs. Minderjährigen/Geisteskrankenschutz zugunsten der letzteren Personen. Bei dieser Konstellation entscheidet sich allerdings die h.M. zugunsten des Verkehrsschutzes. Denn gerade wenn man mit einer Person sich persönlich/telefonisch unterhält, verläuft das Gespräch flüchtig (klar, Gespräche werden nicht schriftlich fixiert). Deshalb ist hier auch der Erklärende schutzwürdig bzw. sogar schutzwürdiger, denn er kann eben nicht erkennen ohne Anhaltspunkte, ob sein Gegenüber schwerhörig ist oder nicht. In diesem Fall kann also der Erklärende erstmal darauf vertrauen, dass ein „Normalfall“ vorliegt und sein Partner seine Worte schon richtig verstehen wird. Wenn er jedoch erkennt, dass sein Partner schwerhörig ist (er sieht etwa sein Hörgerät), so kann er nicht mehr darauf vertrauen. Aber auch umgekehrt gilt dies: Wenn der Adressat – etwa am Telefon – ganz normal ein Gespräch führt, ohne auf seine Schwerhörigkeit hinzuweisen, dann ist er auch „selbst schuld“; er hätte schließlich vorab auf seine Schwerhörigkeit hinweisen können. Summa summarum: Es ist immer eine Abwägung zw. dem Verkehrsschutz und dem Schutz desjenigen, der „belastet“ wird. Beim Geschäftsunfähigen/Minderjährigen sagt die h.M., dass sie schutzwürdiger sind als der Verkehr. Bei diesem Fall wiederum begünstigt die h.M. erstmal den Verkehr. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Einsele § 130 Rn. 28 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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