Dem Erklärenden bekannte Sprachbarriere auf Empfängerseite
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V kündigt seinem ausländischen Mieter M mündlich den Geschäftsraummietvertrag. Weil M, wie V weiß, nicht Deutsch spricht, versteht M den V nicht, nickt aber höflich.
Einordnung des Falls
Dem Erklärenden bekannte Sprachbarriere auf Empfängerseite
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Kündigung des V bedurfte der Schriftform.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das trifft nicht zu!
2. V hat den Mietvertrag wirksam mündlich gekündigt.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurafuchs kostenlos testen
Pierre
28.10.2019, 14:34:00
M.E. ist die Lösung falsch. M weiß erkennbar, das Nicken bejahende Bedeutung hat. Dass er nickt obwohl er nicht verstanden hat, braucht man nicht erwarten, schon gar nicht bei einem Geschäftsmann. Daher brauchte V keinen Zweifel haben, dass M verstanden hat.

Der BGBoss
31.10.2019, 12:56:35
Irrelevant, da die Kündigung der Schriftform bedarf.
Lawlawlaw
10.11.2019, 23:20:41
@Timo Da steht ausdrücklich, dass die Kündigung nicht der Schriftfrom bedarf

Christian Leupold-Wendling
17.11.2019, 13:00:25
@Pierre, danke für Deine Anmerkung! Sie betrifft unsere Subsumtion unter die zweite Alternative für den Zugang einer nicht verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden: „…wenn der Erklärende nach den erkennbaren Umständen keinen Zweifel daran haben konnte, dass der Empfänger sie wahrgenommen hat.“ Die Frage ist also, ob V nach den erkennbaren Umständen Zweifel daran haben musste, dass M die Kündigung verstanden hat. Wir hielten bislang unsere Subsumtion für eindeutig. Aber zugegebenermaßen lässt der Sachverhalt ("... M spricht kaum Deutsch...") Deine Subsumtion gegebenenfalls noch zu (je nachdem, was man unter "kaum Deutschkenntnisse" verstehen möchte). Im Streitfall müsste das Gericht dies ermitteln. Wir haben den Sachverhalt so geändert, dass M nun gar nicht mehr Deutsch spricht, was V auch weiß. Damit dürfte die Subsumtion eindeutig sein: V wusste, dass M seine Erklärung nicht verstanden hat. Ob V dann höflich nickt oder nicht, ist irrelevant. Einverstanden?
Sonnenschein
10.2.2020, 11:47:12
Zuvor war ein Fall, in dem eine in türkischer Sprache übergebene Kündigung wirksam war, obwohl auch hier klar war, dass die Gekündigte kein Türkisch konnte und der Kündigende das auch wissen musste. Es kann doch, im Interesse der Rechtssicherheit, keinen Unterschied machen, ob die abgegebene WE verkörpert ist oder nicht. Oder???

Büşra MB
13.2.2020, 13:37:08
Nein, in dem Fall war die Kündigung unwirksam bis zu dem Zeitpunkt an dem sie übersetzt wurde. Erst bei Kenntnisnahme in deutscher Sprache ging sie zu.
Yasemin Civiltà
13.12.2021, 03:16:52
Seit wann bedarf eine Geschäftsraum Kündigung nicht der Schriftform ?

Lukas_Mengestu
13.12.2021, 10:04:47
Hallo Yasemin, vielen Dank für Deine Nachfrage. Das Schriftformerfordernis einer Wohnraumkündigung wurde erstmals 1963 als § 564a in das BGB aufgenommen. Schon damals galt die Norm ausschließlich für Mietverhältnisse über Wohnraum, woran sich bis heute nichts geändert hat (vgl. Geib, in: BeckOGK-BGB, 1.10.2021, § 568 RdNr. 2, 8). Dies ergibt sich auch unmittelbar aus der gesetzlichen Regelungssystematik. Das Schriftformerfordernis ist Teil des Untertitels 2 "Mietverhältnisse über Wohnraum". Es gilt also nicht direkt für Geschäftsräume. Während über § 578 BGB verschiedene Vorschriften dieses Untertitels auch auch Geschäftsräume übertragen werden, so gilt dies nicht für das Schriftformerfordernis. Aus diesem Grund kann die Kündigung auch mündlich erfolgen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
28.1.2022, 14:29:00
Liebes Jurafuchs-Team, erst einmal vielen Dank für die wieder einmal tollen Fälle. Ich vermisse in diesem Unterkapitel die strenge Vernehmungstheorie. Habt ihr sie bewusst ausgelassen?

Lukas_Mengestu
28.1.2022, 18:23:15
Hallo QuiGonTim, die eingeschränkte Vernehmungstheorie entspricht der ganz herrschenden Meinung (vgl. Gomille, in: BeckOGK-BGB, 1.4.2020, § 130 RdNr. 95 ff.). Lediglich vereinzelt wird noch auf die strenge Vernehmungstheorie abgestellt (Mansel, in: Jauernig-BGB, 18.A. 2021, § 130 RdNr. 11). Deswegen haben wir hier den Schwerpunkt auf die eingeschränkte Vernehmungstheorie gelegt. Wir sehen aber gerne zu, dass wir noch einige Texte zur strengen Vernehmungstheorie ergänzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
kleinerPadawan
19.3.2023, 06:59:55
Ist mir auch schon aufgefallen, dass hier stets einfach die eingeschränkte Vernehmungstheorie angewandt wird. Vielleicht könnt ihr das in den Lösungen auch kurz benennen bzw. in einem abstrakten Frageteil kurz auf beide Ansichten eingehen? Ich kenne es noch so, dass das in Klausuren schon noch angesprochen werden kann? Oder ist das vollkommen überholt?

iudexaquo
21.2.2022, 13:10:19
Wie wäre es denn, wenn der Mieter gebrochenes Deutsch spricht und dann nickt? Kann man dann davon ausgehen, dass Zugang erfolgt ist? Oder würden trotzdessen noch Zweifel bestehen, sodass nach der hM. kein Zugang erfolgt ist?

Lukas_Mengestu
21.2.2022, 19:36:13
Hallo dem672, vielen Dank für Deine Frage und herzlich willkommen im Forum. Bei gebrochenen Deutschkenntnissen ist es letztlich eine Einzelfallentscheidung. Es kommt hier wesentlich darauf an, ob dem Vermieter konkret erkennbar ist, dass die andere Seite ihn - trotz des Nickens - nicht versteht. Pauschal lässt sich dies leider nicht beantworten. In einer Klausur müssten hierzu eindeutige Hinweise stehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambajamba10
20.8.2023, 15:22:54
Hallo, Ich finde, dass in dieser Session der Streit zwischen strenger und eingeschränkter Vernehmungstheorie mehr aufgezeigt werden könnte. Des Weiteren finde ich vor allem den Porto/Bordeaux Flugreisenfall ganz passend hierfür