Grundfall: Aufrechnung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A hat genug vom Sommer und kauft sich bei B ein neues Snowboard für €500. B schuldet A noch €500, weil A ihm den Garten gerichtet hat (§ 631 Abs. 1 BGB). A erklärt B, sie seien nun quitt.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Aufrechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hatte nach Abschluss des Kaufvertrages einen Anspruch darauf, dass A ihr den vereinbarten Kaufpreis zahlt (§ 433 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). A und B haben einen Kaufvertrag über das Snowboard abgeschlossen. A war somit verpflichtet, den Kaufpreis an B zu zahlen.
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2. Ein entstandener Anspruch kann nur durch Erfüllung wieder erlöschen.

Nein!

Neben der Erfüllung sieht das Gesetz noch eine Reihe weiterer Erlöschensgründe, wie die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB), oder die Unmöglichkeit (§ 275 BGB), vor. Die Aufrechnungswirkung (§ 389 BGB) setzt eine Aufrechnungslage (§§ 387, 390 BGB) und eine Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) voraus. Zudem darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein (§§ 392-394 BGB). Die Rechtsfolge des Erlöschens ergibt sich bei der Aufrechnung aus § 389 BGB! Dies wird oft falsch gemacht. Die Prüfung der Aufrechnung könnte man mit folgendem Eingangssatz beginnen: „Der Anspruch des B könnte durch Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen sein.“

3. Damit A aufrechnen kann, müsste eine Aufrechnungslage vorliegen (§§ 387, 390 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Aufrechnungslage liegt vor, wenn der Aufrechnende eine gegenseitige, gleichartige, fällige und durchsetzbare (Gegen-)forderung besitzt, und die (Haupt-)forderung erfüllbar ist.

4. Die Forderungen von A und B sind gegenseitig.

Genau, so ist das!

Die Forderungen sind gegenseitig, wenn jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen ist. Die Forderung des Aufrechnungsgegners wird dabei als Hauptforderung bzw. Passivforderung bezeichnet, während die Forderung desjenigen, der die Aufrechnung erklärt Gegenforderung bzw. Aktivforderung genannt wird. B kann von A €500 für das Snowboard verlangen (Hauptforderung). Dem kann A entgegenhalten, dass B ihm den Werklohn für die Gartenarbeit (§ 631 Abs. 1 BGB) in Höhe von €500 schulde. Sie sind damit gleichzeitig Schuldner und Gläubiger voneinander. Eine Ausnahme des Gegenseitigkeitserfordernis stellt die Aufrechnung gegenüber einem neuen Gläubiger nach erfolgter Abtretung dar (§ 406 BGB).

5. Die Forderungen von A und B sind gleichartig.

Ja!

Haupt- und Gegenforderung müssen ihrem Gegenstande nach gleichartig sein (§ 387). Damit kommen für die Aufrechnung nur Gattungsschulden in Betracht. Eine Gattungsschuld (§ 243 BGB) liegt vor, wenn die geschuldete Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt wurde (Beispiel: Güter aus Serienproduktion). Nicht erforderlich ist, dass die Forderungen die gleiche Höhe haben ("soweit sie sich decken", § 389 BGB) oder aus dem gleichen Rechtsverhältnis stammen.A und B schulden sich gegenseitig Geld, mithin eine Gattungsschuld.Die Konstellation "Geld gegen Geld" ist der Hauptanwendungsfall der Aufrechnung.

6. Die Gegenforderung der A ist fällig und durchsetzbar.

Ja, in der Tat!

Die Forderung ist fällig, wenn der Gläubiger die geschuldete Leistung verlangen kann. Sie ist durchsetzbar, wenn sie erzwingbar ist. Insbesondere dürfen ihr keine Einreden entgegenstehen (§ 390 BGB).Da A und B keine Leistungszeit vereinbart haben, ist die Gegenforderung sofort fällig (§ 271 BGB). Einreden (zB ein Zurückbehaltungsrecht) liegen nicht vor.

7. Die Hauptforderung ist erfüllbar.

Ja, in der Tat!

Die Erfüllbarkeit richtet sich nach der Parteivereinbarung oder den Umständen. Kann danach eine Leistungszeit nicht bestimmt werden, so kann der Schuldner die Leistung sofort bewirken (§ 271 Abs. 1 Alt. 2 BGB).A und B haben keine Leistungszeit bestimmt und es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass A die Leistung erst später erbringen soll. Somit kann A sie sofort bewirken (§ 271 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

8. A hat die Aufrechnung erklärt (§ 388 BGB).

Genau, so ist das!

Der Eintritt der Aufrechnungslage führt nicht automatisch zum Erlöschen der Forderungen. Vielmehr muss eine Partei die Aufrechnung erklären (§ 388 BGB). Es handelt sich bei der Aufrechnungserklärung um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, auf welche die allgemeinen Regeln zu Rechtsgeschäften (§§ 104 ff. BGB) anwendbar sind. Der Begriff "Aufrechnung" muss hierbei nicht verwendet werden, sofern aus Sicht eines objektiven Dritten der Wille ersichtlich wird, welche sich gegenüberstehenden Forderungen zum Erlöschen gebracht werden sollen (§§ 133, 157 BGB).Da zwischen A und B nur jeweils eine Forderung besteht, lässt sich die Aussage "wir sind quitt", nur dahingehend auslegen, dass A ihre Werklohnforderung mit der Kaufpreisforderung aufrechnen möchte.

9. Die Aufrechnung ist nicht ausgeschlossen.

Ja!

Die Aufrechnung kann aufgrund einer Parteivereinbarung oder kraft Gesetzes (§§ 392- 394 BGB) ausgeschlossen sein.A und B haben den Ausschluss der Aufrechnung nicht vereinbart und keiner der gesetzlichen Ausnahmetatbestände liegt vor.

10. B hat nach As erklärter Aufrechnung noch Anspruch darauf, dass A ihr den Kaufpreis für das Snowboard bezahlt (§ 389 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch des Aufrechnungsgegners erlischt bei erklärter Aufrechnung rückwirkend zu dem Zeitpunkt, an dem sich die beiden Forderungen erstmals gegenüber standen (§ 389 BGB). Vorliegend besteht eine Aufrechnungslage, A hat die Aufrechnung erklärt und diese ist auch nicht ausgeschlossen. Somit ist Bs Anspruch rückwirkend erloschen. Die Prüfung der Aufrechnung könnte man somit mit folgendem Eingangssatz einleiten: „Die Forderung des B könnte durch Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen sein."
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

lennart20

lennart20

7.7.2023, 12:09:15

Das Geld hier als Gattungsschuld bezeichnet wird, finde ich problematisch, weil der Schuldner keine Gattung sondern lediglich einen Wert schuldet; „Geld hat man zu haben“. Ferner passt der Wortlaut des § 243 I BGB für Geldschulden nicht, da das Geld nicht mittlerer Art und Agathe entsprechen muss.

lennart20

lennart20

7.7.2023, 20:04:58

Güte

SY

Systemer

5.11.2023, 16:51:54

Geldscheinen sind Gattungsschulden.

QUIG

QuiGonTim

3.12.2023, 21:59:10

Für alle, die gerne gedanklich nochmal in den AT springen möchten: § 388 BGB wird gerne angeführt, um die Bedingungsfeindlichkeit der Gestaltungsrechte zu untermauern.

CR7

CR7

6.1.2024, 13:56:43

Und im Zivilprozess gilt eine Ausnahme der Bedingungsfeindlichkeit bei der Prozessaufrechnung :)

Steinfan

Steinfan

11.4.2024, 13:15:11

Die Forderung der A stammt ausweislich des Sachverhalts aus einem Werkvertrag. Die Fälligkeit richtet sich daher nicht nach § 271 BGB, sondern nach § 641 I 1 BGB. Im Ergebnis spielt das hier aber keine Rolle, da die Abnahme erfolgt ist.


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