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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A hat einen Stalker, den S. Über Jahre ruft S die A an und lauert ihr auf. A leidet unter ständiger Angst.

Einordnung des Falls

Angstzustände

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem S die A stalkt, hat er sie an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen krankhaften (= pathologischen) Zustandes. Krankhaft ist der vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichende Zustand. BGH: Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände stellen keinen pathologischen Zustand dar (RdNr. 13), es sei denn, sie haben körperliche Auswirkungen. Psychische Folgen sind also weder "körperliche Misshandlung" noch "Gesundheitsschädigung" (§ 223 Abs. 1 StGB). Das "Stalking" hat bei A nicht zu körperlichen Beschwerden geführt. Es kommt allerdings eine Strafbarkeit des S wegen Nachstellung (§ 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB) in Betracht.

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IZU

Izumi

3.4.2020, 07:10:28

Wenn es über Jahre hinweg ist, müssten doch körperliche Schäden entstehen, sofern die Aussage stimmt, dass sie unter Angst leidet. Meist entstehen bei so etwas darmgeschwüre, Reizdarm, Sodbrennen o.ä. Und somit hat man sie doch auch körperlich misshandelt?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

3.4.2020, 09:49:49

Hi Izumi, Danke für Deinen Beitrag! Man kann uE nicht einfach körperliche Schäden unterstellen. Hier ist im Sachverhalt nur die Rede von Angst. Wir sind keine Mediziner, aber einen Automatismus Angst => körperliche Schäden gibt es eben nicht.

IZU

Izumi

3.4.2020, 12:23:33

Das wage ich, als Mediziner, zu bezweifeln.

Marilena

Marilena

3.4.2020, 14:28:23

Laut BGH begegnete die Körperverletzung im zugrundeliegenden Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken, obwohl das Opfer sich aus Angst krank meldete, Schlafstörungen, Herzrasen und Weinkrämpfe hatte. All dies genügte ihm nicht für die Erheblichkeitsschwelle des § 223 Abs. 1 StGB (RdNr. 23). Der Beschluss (BGH, 18.7.2013 - Az. 4 StR 168/13) ist im Internet frei verfügbar.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

5.4.2020, 21:09:11

Als Körperverletzung (Psyche) kommen Nervenerkrankung/-zusammenbruch, Schock aber auch der durch nächtliche Störanrufe hervorgerufene pathologische Zustand in Betracht. Kindhäuser StGB, 3. Aufl., Baden-Baden 2006, § 223 Rn. 4.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

5.4.2020, 21:17:07

Psychosomatische Vorgänge (Angst/Schrecken, die sich in Schweißausbruch oder verstärkter Verdauungstätigkeit äußern) werden im Beschluss des OLG Köln vom 08.03.1996 als grds. nicht erheblich genug eingestuft. Anderes gelte aber bei Magenschmerzen, Schlaflosigkeit und Erbrechen.

Isabell

Isabell

9.4.2020, 17:15:58

Wenn man sich anschaut was Angst als biochemische Reaktion im Körper auslöst, müsste man es problemlos unter diese Definition subsumieren können. Denn das ist problemlos eine dauerhafte Abweichung vom körperlichen Normalzustand.

PR

Prokurist

28.11.2022, 21:26:51

Der Sachverhalt ist natürlich etwas knapp aber grundsätzlich könnte man bei einer latenten Angststörung eine andere Ansicht wohl auch gut vertreten. Das BVerfG beispielsweise erkennt die psychische Gesundheit ja längst als Teil der körperlichen Unversehrtheit an und in der Literatur gibt es auch einige Stimmen, die dem BGH an dieser Stelle mit guten Argumenten nicht folgen (zB. MüKoBGB 2021 § 223 Rn. 61 ff.).

Nora Mommsen

Nora Mommsen

30.11.2022, 16:46:54

Hallo Alexander, danke dir für deine Anmerkungen. Du hast absolut recht - es ist immer eine Frage des Einzelfalls. Unter anderem deswegen werden ja in einem Verfahren ausführliche Beweiserhebungen unter anderem mit medizinischen Gutachten durchgeführt. Denn auch das gilt es zu beachten - ständige Angst muss nicht bedeuten, dass auch eine Angststörung vorliegt. Liegt ein pathologischer Befund vor, ist es natürlich richtig eine entsprechend andere Bewertung vorzunehmen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

TMA

Tim Maier

22.12.2022, 14:57:21

Eine

körperliche Misshandlung

ist jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigen. Man könnte also auch davon ausgehen, das A die S körperlich im psychischen Sinne, in ihrem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt.

Juratiopharm

Juratiopharm

5.6.2024, 18:00:26

"Wohlbefinden" darf nicht derart wörtlich ausgelegt werden. Im Kern fehlt es am Wohlbefinden beim Empfinden von Schmerzen und nicht bereits im bloßen "Unwohlsein". Etwas anders würde mit der ultima ratio Funktion des Strafrechts und auch der Erheblichkeitsschwelle kollidieren.


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