Sofortige Nachfrage auf Spontanäußerung

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T ist des versuchten Totschlags verdächtig. Noch bevor Polizeibeamtin P sie ordnungsgemäß zur Sache belehren kann, legt diese von sich aus - ohne Zutun der P -, eine geständige Einlassung ab. Auf diese Äußerung der T hin fragt P sofort weiter zum Geschehen nach. T macht weitere Angaben.

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Einordnung des Falls

Sofortige Nachfrage auf Spontanäußerung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Beschuldigte muss vor ihrer polizeilichen Vernehmung belehrt werden (§§ 163a Abs.4, 136 Abs.1 StPO).

Ja!

Gemäß § 136 StPO ist die Beschuldigte vor jeder richterlichen Vernehmung umfassend über den Gegenstand des Verfahrens sowie ihre Aussagefreiheit zu belehren.  Nach § 163a Abs. 4 S.1 StPO sind auch die Staatsanwaltschaft und die Polizei verpflichtet, die Beschuldigte zu Beginn jeder Vernehmung entsprechend zu belehren. B wäre somit zu belehren, wenn sie (1) Beschuldigte gewesen ist und es sich (2) um eine Vernehmung gehandelt hat.
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2. Es besteht zunächst keine Vernehmungssituation, sodass durch die Entgegennahme der geständigen Einlassung kein Verstoß gegen das Belehrungsgebot vorliegt (§§ 163a Abs.4, 136a Abs.1 StPO).

Genau, so ist das!

Eine Vernehmung liegt vor, wenn die Polizeibeamtin der Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenüber tritt und in dieser Eigenschaft Auskunft von ihr verlangt. Hier ist der selbstbelastenden Äußerung der T kein amtliches Auskunftsbegehren vorausgegangen. Vielmehr hat sich T ohne Zutun der P noch vor der Belehrung geäußert (sog. Spontanäußerung). Somit fehlt es an einer Vernehmungssituation. Es liegt daher zunächst kein Verstoß gegen das Belehrungsgebot vor. Solche Spontanäußerungen können durch Vernehmung der Polizeibeamtin, die insoweit Zeugin ist, verwertet und in das Verfahren eingebracht werden, wenn die Beschuldigte später von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.

3. P durfte auch noch Nachfragen stellen, ohne T vorher zu belehren.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Spontanäußerung (keine Vernehmung) liegt nur dann vor, wenn ihr keine gezielte Befragung vorausgegangen ist und sich die vernehmende Polizeibeamtin auf eine passive Entgegennahme beschränkt hat. Stellt die Polizeibeamtin aber auf die Spontanäußerung hin gezielte Nachfragen, entsteht eine Vernehmungssituation, sodass dann eine Belehrung notwendig wird. Bevor P der T nach deren Spontanäußerung gezielte Nachfragen zum Geschehen stellte, hätte P die T umfassend als Beschuldigte gemäß §§ 163a Abs.4, 136a Abs.1 StPO belehren müssen. Dies ist nicht erfolgt. Es liegt daher ein Verstoß gegen das Belehrungsgebot vor.

4. Aufgrund des Verstoßes gegen das Belehrungsgebot unterliegen die weiteren Angaben der T zwingend einem Beweisverwertungsverbot.

Nein!

Zur Annahme eines (unselbstständigen) Beweisverwertungsverbotes wegen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht (§§ 163a, 136 StPO) ist immer die Abwägung zwischen dem Interesse der Beschuldigten am Schutz ihrer verfahrensrechtlichen Stellung und dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung der Straftaten und Funktionieren der Strafrechtspflege erforderlich. Der 3.Senat des BGH hat darauf hingewiesen, dass auch eine sofortige Nachfrage auf die Spontanäußerung, die ohne sofortige Belehrung erfolge, nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der daraufhin abgegebenen Äußerung führen müsse. Ein solcher Verfahrensverstoß sei nicht so gewichtig, dass er stets ein Verwertungsverbot begründen könne. Aufgrund des nur sehr geringen Gewichts des Verfahrensverstoßes unterliegt das Interesse der B am Schutz ihrer verfahrensrechtlichen Stellung gegenüber dem starken Verfolgungsinteresse (schwere Straftat).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REFNRW8

RefNRW8

3.11.2023, 14:49:20

Bei dem vorherigen Fall mit dem Diebstahl in der Drogerie und der Vernehmung auf offener Straße wurde doch gesagt, dass die Nichtbelehrung einen schwerwiegenden Verstoß darstellt und daher zu einem Verwertungsverbot führt. Wieso ist es in diesem Fall anders?

BEEPB

BeepBoop

15.11.2023, 15:27:12

Das Ergebnis hängt ja letztlich immer von einer Abwägung im Einzelfall ab. Hier bestehen zwei Unterschiede zum Parfüm-Fall des vorigen Kapitels, die die unterschiedliche Behandlung erklären könnten: 1. Es liegt hier eine

Spontanäußerung

der Beschuldigten vor, auf die eine Nachfrage ohne vorherige Belehrung folgt und nicht einfach eine reguläre Vernehmung ohne vorherige Belehrung. 2. Es liegt eine schwere Straftat vor, während es im vorigen Fall ein Bagatelldelikt war.


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