+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A kauft von B dessen altes Wohnmobil, um damit auf eine Europareise zu gehen. Am 01.08. übergibt und übereignet er das Wohnmobil an A. Die Zulassungsbescheinigung II kann er A nicht aushändigen, weil er diese dem W als Sicherheit für einen Kredit verpfändet hat.

Einordnung des Falls

Abwandlung: Zulassungsbescheinigung II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die Zulassungsbescheinigung ein Schuldschein (§ 952 BGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Schuldschein ist eine privatrechtliche Urkunde, die der Schuldner über eine Forderung des Gläubigers ausstellt. Die Ausstellung des Schuldscheins erfolgt in der Regel zur Beweiserleichterung für den Gläubiger. Grundsätzlich ist es aber auch möglich, dass die Forderung erst mit Ausstellung des Schuldscheins entsteht. Eine Urkunde ist die schriftliche (§ 126 BGB) Verkörperung eines Gedankeninhalts.Die Zulassungsbescheinigung II ist keine Verkörperung einer Forderung, sondern nach § 12 Abs. 1 FZV Ausdruck über die Verfügungsberechtigung über das Fahrzeug. Es handelt sich bei der Zulassungsbescheinigung II außerdem um eine öffentliche und keine privatrechtliche Urkunde.

2. § 952 BGB ist nach h.M. analog auf die Zulassungsbescheinigung II anzuwenden.

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Ja, in der Tat!

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke bei einer vergleichbaren Rechts- und Interessenlage voraus.Die Zulassungsbescheinigung II ist kein Schuldschein i.S.v. § 952 BGB. Es existiert auch keine andere Norm, die die Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der Zulassungsbescheinigung II regelt. Da die Zulassungsbescheinigung II aber gerade Ausdruck der Verfügungsberechtigung über das darin beschriebene Fahrzeug ist, ist es ebenso wie bei einem Schuldschein im Interesse des Rechtsverkehrs, dass das Eigentum an der „Legitimationsurkunde“ und dem darin verbrieften Recht in einer Hand bleiben. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen Sachverhalt bewusst nicht regeln wollte.

3. Am 01.08. ist A Eigentümer der Zulassungsbescheinigung II geworden.

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Ja!

Die h.M. wendet bei der Zulassungsbescheinigung II § 952 BGB analog an. Demnach erwirbt der Eigentümer des PKW kraft Gesetzes auch das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung II, ohne dass es einer rechtsgeschäftlichen Übereignung bedarf.A erwirbt am 01.08. das Eigentum an dem Wohnmobil. Analog § 952 BGB erwirbt er damit auch das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung II. Auf eine etwaige Übergabe oder eine Verfügungsbefugnis des B kommt es hinsichtlich der Zulassungsbescheinigung II nicht an.Da B hinsichtlich des Wohnmobils verfügungsberechtigt ist, ist es unschädlich, dass er die Zulassungsbescheinigung II nicht vorlegen konnte. Der Vorlage bedarf es nur für den gutgläubigen Erwerb (§§ 929 S. 1, 932 BGB).

4. War die Verpfändung (§§ 1204ff. BGB) der Zulassungsbescheinigung wirksam?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich kann einem Gläubiger zur Sicherung seiner Forderung ein Pfandrecht an einer beweglichen Sache bestellt werden (§ 1204 BGB). Dies setzt aber voraus, dass die Sache selbst überhaupt Gegenstand selbstständiger Rechte sein kann.Auf die Zulassungsbescheinigung II findet § 952 BGB analoge Anwendung. Daraus folgt, dass das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung II zwingend mit dem Eigentum an dem darin beschriebenen KfZ verknüpft ist. Eigenständige Verfügungen über die Zulassungsbescheinigung II sind daher nicht möglich (LG Frankfurt, NJW-RR 1986, 986).Merke: Über Sachen, auf die § 952 BGB anwendbar ist, kann nicht selbstständig verfügt werden.

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Johannes Nebe

Johannes Nebe

12.9.2022, 07:42:33

Die Aufgabe wäre leichter zu lesen, wenn Ihr die Grammatik noch glattziehen würdet. Am 01.08. übergibt und übereignet B das Wohnmobil an A. ... weil er diese dem W als Sicherheit für einen Kredit verpfändet hat. Danke!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.9.2022, 12:31:50

Hallo Johannes Nebe, danke für das Feedback. Das wird korrigiert :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

YA

yangbo

25.4.2023, 21:16:35

Das heißt, das Wohnmobil selbst hätte verpfändet werden müssen, um irgendeinen Wert für den Gläubiger zu haben, wäre dann allerdings im Zuge der Eigentumsübertragung der Verpfänders an A gem. § 936 ebenfalls gutgläubig wegerworben worden, oder?

Carl Wagner

Carl Wagner

27.4.2023, 16:34:11

Vielen Dank für deine Frage, yangbo! (1) Du hast richtig erkannt, dass das Wohnmobil für eine wirksame Pfändung an W hätte übergeben werden müssen, gem. § 1205 I BGB. Übertragung von mittelbarem Besitz ist nur ausreichend, wenn der Eigentümer selbst nur mittelbaren Besitz hat, § 1205 II BGB (vgl. auch § 1206 Alt. 2 BGB) - das ist hier nicht gegeben. W hätte unmittelbaren Besitz am Wohnmobil eingeräumt werden müssen. Dann hätte W ein Pfandrecht erworben. (2) Eine Übergabe an A hätte dann aber nicht mehr ohne Mitwirkung des W stattfinden können. In Betracht kommt daher nur eine Übertragung nach § 931 BGB (Abtretung des Herausgabeanspruchs). B hat einen schuldrechtlichen Anspruch auf Freigabe und Rückgabe der Pfandsache aus einem konkludenten Sicherungsvertrag, der neben den dinglichen Herausgabeanspruch gem. § 1223 I BGB tritt (BGH NJW 2016, 3231 Rn. 12). Dieser wird zwar erst fällig, wenn das Sicherungsbedürfnis entfallen ist (Forderung des W beglichen wurde), aber auch zukünftige Ansprüche sind für § 931 BGB ausreichend. Eine Eigentumsübertragung kann nach § 931 BGB stattfinden. Ein lastenfreier Eigentumserwerb findet aber nicht statt. Nach § 936 III BGB erlischt das Recht auch bei gutgläubigem Erwerb (des A) nicht, wenn das Recht dem dritten Besitzer zusteht. Der gutgläubige lastenfreie Erwerb ist hier also ausgeschlossen, § 936 III BGB. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team


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