Beiläufiger Wunsch und § 16 Abs. 2 StGB

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist höchst unzufrieden mit seiner derzeitigen Lebenssituation, was sein Arbeitskollege B weiß. Als A den B auf dem Flur im Büro trifft, sagt er zu B beiläufig: "Ich wünsche mir, ich wäre tot, dann hätte ich einen freien Kopf." B nimmt dieses Verlangen ernst und tötet den A am nächsten Tag.

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Einordnung des Falls

Beiläufiger Wunsch und § 16 Abs. 2 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.

Genau, so ist das!

Der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB setzt voraus: (1) Objektiv muss (a) ein anderer Menschen getötet worden sein, (b) der Getötete muss ausdrücklich und ernstlich die Tötung verlangt haben und zudem muss (c) der Getötete den Täter zur Tötung bestimmt haben. (2) Subjektiv ist Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich. Der Vorsatz muss somit auch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen umfassen.
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2. A hat seine Tötung gegenüber B "ausdrücklich und ernstlich verlangt" (§ 216 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen setzt mehr als ein bloßes Einverständnis voraus, denn der Getötete muss auf den Willen des Täters nachdrücklich eingewirkt haben. Ausdrücklich meint hierbei eine eindeutige und unmissverständliche Ausdrucksweise des Verlangens. A erwähnte seinen Wunsch nach der Tötung nur beiläufig auf der Arbeit. Eine Willensäußerung, die den B dazu konkret veranlassen soll, den A zu töten kann hier nicht angenommen werden.

3. B hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Nein!

Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen des § 212 StGB vor. Jedoch nimmt der B das Verlangen ernst, geht also irrig vom Vorliegen eines Verlangens aus. Der Täter ist nach § 16 Abs. 2 StGB so zu behandeln, als ob tatsächlich das privilegierende Merkmal eines Tötungsverlangens vorliegen würde. Trotz dessen, dass objektiv also kein ernstliches Tötungsverlangen vorliegt, kann der B nur aus § 216 StGB bestraft werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

15.5.2020, 09:16:52

B hat doch den

Vorsatz

einen anderen zu töten.

FUCH

Fuchs567

15.5.2020, 18:04:28

Ja den hat er, allerdings nimmt er irrtümlich an die Voraussetzungen des 216 lägen vor, weshalb 212 durch 16 II gesperrt ist.

Isabell

Isabell

10.8.2020, 18:40:54

Was aber erst einmal nichts daran ändert, dass der

Vorsatz

einen anderen zu töten vorliegt. Im Gutachten müsste ich das auch erst einmal bejahen, um dann im nächsten Schritt zu fragen, ob dem was entgegensteht.

FUCH

Fuchs567

10.8.2020, 21:17:08

Naja da 216 lex specialis ist würde ich glaube ich mit dem anfangen und dann gar nicht mehr zum 212 und zum

Vorsatz

kommen. Aber im Grunde hast du recht, weil man ja auch für 216

Vorsatz

braucht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.7.2021, 09:57:39

Hallo zusammen, wie Vulpes im parallelen Thread ausgeführt hat, ist § 216 StGB als speziellere Norm vorrangig zu prüfen. Im Rahmen dieser Prüfung kann man dann schon im objektiven Tatbestand darauf eingehen, dass zwar die Voraussetzungen eigentlich nicht vorliegen, aber über § 16 II StGB dazu kommen, dass dies letztlich unschädlich ist. Der

Vorsatz

bzgl. der Tötung eines Menschen ist eigentlich unproblematisch, denn den hat der Täter sowohl im Falle des § 212 StGB, als auch im Falle des § 216 StGB. Nur die dahinterstehende Motivlage ist eine andere. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KAH

Karolin H

24.6.2020, 10:37:24

Mir fehlt hier für die Annahme des Paragraphen 16 II aber das Merkmal "wurde zum Täter bestimmt". Im Sachverhalt steht, dass der Todeswunsch zwischen Tür und Angel allgemein dahingesagt wurde, aber nicht, dass der Täter vom Opfer auch irgendwie aufgefordert wurde.

EDA

Eda

6.8.2020, 10:38:24

Soweit ich verstanden hab müssen diese Tatbestandsmerkmale nicht tatsächlich erfüllt sein, wenn der Täter sich hinsichtlich derer geirrt hat. Hier hat sich T darin geirrt, dass das Verlangen ernstlich war und sein Tatentschluss wurde durch die Äußerung hervorgerufen.

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

30.11.2020, 17:36:43

Der Irrtum war doch aber vorliegend vermeidbar. Scheidet eine Strafbarkeit nur nach §216 deshalb nicht gerade aus?

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

30.11.2020, 22:59:55

Weshalb sollte das der Fall sein? § 16 II stellt nicht auf eine Vermeidbarkeit ab. Neben 216 würde nur noch 222 in Betracht kommen, der hier verdrängt wird. Vielleicht verwechselst du da was mit dem Verbotsirrtum aus § 17?

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

1.12.2020, 06:05:48

Ist mir nach dem Schreiben dann auch aufgefallen 🙈 danke!

Tigerwitsch

Tigerwitsch

26.2.2021, 18:16:23

Wie wäre denn die Prüfungsreihenfolge in der Klausur für den konkreten Fall?

Vulpes

Vulpes

1.3.2021, 18:19:50

Zunächst ist zu beachten, dass § 216 eine Sperrwirkung bzgl. §§ 211, 212 entfaltet und zuerst geprüft werden muss. Im objektiven Tatbestand werden zuerst die Merkmale des § 212 geprüft und dann 5. ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen (hier wird meines Erachtens subsumiert, dass des Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist, aber der Täter wegen § 16 II so zu behandeln ist, als ob das Verlangen tatsächlich vorläge.) 6. zur Tötung bestimmt. Der Rest ist wie immer. Ich hoffe, dass ich dir weiterhelfen konnte 👍

Vulpes

Vulpes

1.3.2021, 18:23:34

Beziehungsweise wäre es wohl sinnvoll 5 und 6 zusammen zu prüfen, weil die Irrtum des Täters sich insgesamt auf - das Bestimmen zur Tötung durch ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen - bezieht.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

1.3.2021, 20:54:48

Perfekt, danke! Genau das wollte ich wissen 👍🏻


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