Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Tötung auf Verlangen, § 216 StGB
Depressiver Minderjähriger
Depressiver Minderjähriger
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der 17-jährige O teilt seinem besten Freund T in einer für T erkennbar depressiven Stimmungslage an Heiligabend mit, dass er nicht mehr leben möchte und T ihn töten solle, weil ihn seine Freundin verlassen hat. Am ersten Weihnachtsfeiertag hat er die Trauer um seine Freundin bereits vergessen. T bringt den O aufgrund der Äußerung an Weihnachten am zweiten Weihnachtsfeiertag um.
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Einordnung des Falls
Depressiver Minderjähriger
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Straftatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. O ist minderjährig. Daher fehlt ihm die Fähigkeit, seine Tötung "ausdrücklich und ernsthaft verlangen" (§ 216 Abs. 1 StGB) zu können.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. O hat seine Tötung "ausdrücklich und ernstlich verlangt" (§ 216 Abs. 1 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
friedel231
22.4.2024, 22:11:03
Bedeutet das auch im Umkehrschluss, dass depressiv erkrankte kein ernstliches Tötungsverlangen haben können? Gerade bei einiger Dauer einer Depression könnte ein Tötungsverlangen doch durchaus ernstlich sein.
Timurso
23.4.2024, 10:18:51
Nein, das bedeutet es nicht. Vielmehr ist zu unterscheiden: Wird das Tötungsverlangen durch einen momentanen depressiven (krankhaften) Schub ausgelöst, ist es nicht ernstlich. Dagegen kann es ernstlich sein, wenn es unabhängig von depressiven Phasen besteht.
Skra8
21.6.2024, 19:07:33
Hallo zusammen, in der Fragestellung: "O ist minderjährig. Daher fehlt ihm die Fähigkeit, seine Tötung zu begreifen [...]", wird in der Subsumtion meiner Meinung nach sehr pauschal dargestellt, dass ein durchschnittlich entwickelter 17-Jähriger grundsätzlich die Bedeutung und Tragweite einer solchen Entscheidung überblicken kann. Ich habe hierbei erhebliche Bedenken, besonders da einige Argumente gegen eine solche pauschale Einschätzung sprechen. Unter anderem ist der betreffende 17-Jährige gemäß § 106 BGB nur beschränkt geschäftsfähig, oder gemäß der verfassungsgebenden Prärogative nach Art. 38 Abs. 2 GG iVm. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BWahlG nicht einmal berechtigt, seinen politischen Willen im Rahmen einer Wahl auszudrücken. Und falls das als Argument noch nicht ausreicht: Der Gesetzgeber sieht im Rahmen des Jugendstrafrechts auch eine besondere Betrachtung der Stellung von Jugendlichen im Strafrecht vor. Entsprechend meine Frage: Gibt es neben BGHSt 19, 135 so viel gefestigte Rechtsprechung zu diesem Thema, dass man trotz der oben genannten Überlegungen die Einsichtsfähigkeit so pauschal abnicken kann? Bitte versteht mich nicht falsch; ich würde hier zum selben Ergebnis kommen, aber ich meine, dass die Subsumtion aufgrund ihrer Pauschalität nicht weit genug geht.
judith
3.7.2024, 18:07:02
Es muss im konkreten Einzelfall ermittelt werden, ob der Getötete die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung erkennen und sachgerecht beurteilen kann. Es bedarf einer sorgfältigen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls. Hierbei kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit an. Es handelt sich schließlich nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine Einwilligung die sich auf einen Eingriff höchstpersönlicher
Rechtsgüterbezieht. Die Strafmündigkeit nach § 14 StGB betrifft nur die Unrechtseinsicht in Bezug auf fremde
Rechtsgüter. Es bleibt die individuelle geistige Reife des Betroffenen zu ermitteln - unabhängig seines Alters. Da im SV keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, die eine Beeinträchtigung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen begründen - würde ich das Problem nicht größer machen als es sich und diese Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen pauschal bejahen. Zumindest habe ich das so auch in vielen anderen Falllösungen gesehen. Außer dem sehr populären Gisela-Fall, ist mir jedoch keine weitere Entscheidung des BGH dazu bekannt.
as.mzkw
17.9.2024, 21:35:50
Schwierig die Reaktion auf eine Trennung in gewisser Weise mit einer mentalen Erkrankung auf eine Stufe zu stellen. Ein etwas sensiblerer Umgang mit dem Thema wäre wünschenswert.
Timurso
17.9.2024, 22:20:00
Das finde ich nicht. Es wird ja nicht gesagt, dass jeder Liebeskummer einer Depression gleichkommt. Aber bei einer vorbelasteten, depressiven Person, kann die Trennung durchaus eine depressive Reaktion hervorrufen. Es wird hier nicht gesagt, dass der Betroffene von der Trennung abgesehen mental kerngesund ist.
as.mzkw
17.9.2024, 22:36:13
So kann man es auch sehen. Vielleicht habe ich den Satz auch falsch gelesen und habe zu schnell von dem „weil seine Freundin sich getrennt hat“ ausgehend darauf geschlossen, dass das der Auslöser für seine akut eintretende Suizidalität gewesen sein soll.