§ 305 Abs. 2 BGB Nr. 2 BGB Möglichkeit der Kenntnisnahme – Rücksichtnahme auf körperliche Behinderungen


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Jurafuchs

Der Blinde B geht mit seinem Blindenstock in eine Elektronikfachhandlung und kauft sich eine neue Musikanlage. Verkäufer V weist ihn beim Abschluss des Kaufvertrags ausdrücklich auf die vor ihm liegenden ausgedruckten AGB hin.

Einordnung des Falls

§ 305 Abs. 2 BGB Nr. 2 BGB Möglichkeit der Kenntnisnahme – Rücksichtnahme auf körperliche Behinderungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat den B ausdrücklich auf die Geltung der AGB hingewiesen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Verwender muss den Vertragspartner ausdrücklich auf die AGB bei Vertragsschluss hinweisen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Solange der Hinweis ausdrücklich ist, ist es gleichgültig ob dieser schriftlich, mündlich, telefonisch oder elektronisch erfolgt. V hat den B ausdrücklich auf die Geltung der AGB hingewiesen.

2. Für die Einbeziehung von AGB muss der Verwender außerdem der anderen Vertragspartei die zumutbare Kenntnisnahme ermöglichen, wobei er erkennbare körperliche Behinderungen der Vertragspartei angemessen berücksichtigen muss.

Ja, in der Tat!

Für die Einbeziehung von AGB muss der Verwender der anderen Partei die Kenntnisnahmemöglichkeit verschaffen. Dabei ist eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen zu berücksichtigen.

3. Die Sehbehinderung des B war für V erkennbar und daher zu berücksichtigen.

Ja!

Eine körperliche Behinderung ist erkennbar, wenn sich einem durchschnittlichen AGB Verwender in der konkreten Situation die Möglichkeit einer Behinderung des Kunden aufdrängen musste. B betrat den Laden des V mit einem Blindenstock. Einem durchschnittlichen AGB Verwender hätte sich die Sehbehinderung des B daher aufdrängen müssen, sodass V diese berücksichtigen musste.

4. V hat dem B die zumutbare Kenntnismöglichkeit der AGB unter Berücksichtigung seiner Behinderung verschafft.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Verwender muss erkennbare körperliche Behinderungen angemessen berücksichtigen. So muss sich ein Aushang mit AGB beispielsweise auf Sichthöhe von Rollstullfahrern befinden, um wirksam einbezogen zu werden. Der Blinde B kann die vor ihm ausgelegten, ausgedruckten AGB nicht zur Kenntnis nehmen. V hätte sie ihm daher vorlesen oder Braille Schrift verwenden müssen. V hat dem B folglich nicht die Möglichkeit zur zumutbaren Kenntnisnahme der AGB verschafft.

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frausummer

frausummer

20.5.2021, 09:58:28

Wie würde der Fall aussehen, wenn die Beeinträchtigung nicht offensichtlich ist? Hat der Verbraucher darauf hinzuweisen und ansonsten sind die AGB wirksam miteinbezogen?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

20.5.2021, 10:47:48

Dann wären die AGB, sofern der Verwender es entsprechend darlegen und beweisen kann, grundsätzlich wirksam einbezogen (es kommt natürlich stets auf den konkreten Einzelfall an). Die erhöhten Anforderungen gelten nur bei einem erkennbar körperlich behinderten Verbraucher/Kunden. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB („erkennbare körperliche Behinderung“). Einem solchen Kunden muss die Kenntnisnahme der AGB trotz seiner körperlichen Behinderung zumutbar sein. So sind etwa einem erkennbar Sehbehinderten die AGB in geeigneter Weise, zB in elektronischer oder akustischer Form oder auch in Braille-Schrift, zur Kenntnis zu bringen (vgl. nur BT-Drs. 14/6040, Seite 150). Diese erhöhten Anforderungen - im Vergleich zum durchschnittlichen Kunden - hat der Verwender jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn die körperliche Behinderung des anderen Vertragspartners erkennbar ist oder der Kunde ausdrücklich darauf hinweist. Im Umkehrschluss ist der Verwender also nicht gehalten, von sich aus nach der Sehkraft o.ä. seiner Kunden zu erkundigen (BT-Drs. 14/6040, Seite 150). Insofern hat der Verwender auch nicht (präventiv) seine AGB - je nach Kunde und Sehkraft - in unterschiedlichen Schriftgrößen etc. bereitzuhalten (BT-Drs. 16/6040, Seite 150). So kann es etwa ausreichend sein, wenn der Verwender dem Kunden ohne zeitliche Zwänge die Möglichkeit verschafft, sich den Text des Vertrags vor Vertragsschluss von einer Person seines Vertrauens vorlesen zu lassen (vgl. Fritz, in: NZM 2002, 713; Heinrichs, in: NZM 2003, 6, [8]). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass im Zweifelsfall der Verwender die Beweislast für die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB, dh auch für die Erkennbarkeit, trägt (Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 305 Rn. 43). Kleiner Side-Fact: Ausweislich ursprünglichen Regierungsentwurfs sollte allgemein die körperlichen Behinderung des Kunden ausreichen. Nach Intervention des BRats wurde die Fassung dahingehend geändert, dass die Behinderung dem Verwender erkennbar sein müsse.

RAP

Raphaeljura

3.7.2023, 02:14:26

Wie läuft das dann mit AGB Aushängen? Der AGB Steller hat dann keinen Einfluss auf die Situation, wenn die Person mit Einschränkungen die AGB nicht wahrnehmen kann?


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