Treuwidrige Verhinderung des Erfolgseintritts, § 815 Alt. 2 BGB


mittel

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V und K schließen beim Notar einen Grundstückskaufvertrag zu einem Kaufpreis von € 100.000, um Steuern zu sparen. Tatsächlich haben sie sich aber über einen Kaufpreis von €200.000 geeinigt, die K auch bezahlt. Noch vor Eintragung ins Grundbuch, baut K umfangreich um, wodurch Schäden entstehen. K veranlasst daraufhin den Notar, den Antrag auf Umschreibung beim Grundbuchamt zu unterlassen und verlangt von V die €200.000 zurück.

Einordnung des Falls

Treuwidrige Verhinderung des Erfolgseintritts, § 815 Alt. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten.V hat Eigentum und Besitz an dem Geld erlangt, das K ihm übergeben und übereignet hat.

2. Es bestand ein wirksamer Kaufvertrag (§ 433 BGB) zwischen K und V.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Kaufvertrag über ein Grundstück unterliegt den Formanforderungen des § 311b Abs. 1 BGB.Diese wurden an sich durch den beim Notar geschlossenen Kaufvertrag eingehalten. Dieser ist jedoch nach § 117 Abs. 1 BGB als Scheinvertrag nichtig. Der Kaufvertrag über den tatsächlich gewollten Kaufpreis ist formnichtig nach § 117 Abs. 2 i.V.m. § 311b Abs. 1 BGB.

3. K hat mit der Leistung seinen Leistungszweck verfehlt (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB)

Ja!

Voraussetzung der condictio ob rem (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) ist eine gemeinsame Zweckvereinbarung (nicht bloß eine einseitige Erwartung des Bereicherungsgläubigers und auch keine vertraglich bindende Vereinbarung). Eine konkludente Einigung über den Zweck liegt vor, wenn der Bereicherungsgläubiger mit seiner Leistung einen bestimmten Zweck verfolgt und der Bereicherungsschuldner die Leistung annimmt, ohne zu widersprechen.K erwartete die Grundstücksübertragung als "Gegenleistung" für die Kaufpreiszahlung (und die damit einhergehende Heilung der Formnichtigkeit des Grundstückskaufvertrags, § 311b Abs. 1 S. 2 BGB). V kannte die Erwartung von K und billigte diese. Er hat K das Grundstück mangels Eintragung ins Grundbuch (noch) nicht übertragen. K hat mit seiner Leistung den Zweck verfehlt.

4. Der Anspruch auf Rückforderung ist ausgeschlossen, weil K wusste, dass er zur Zahlung nicht verpflichtet war (§ 814 Alt. 1 BGB)

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 814 Alt. 1 BGB kann das Geleistete bei "Kenntnis der Nichtschuld" nicht zurückgefordert werden. Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses nach § 814 BGB sind: (1) Leistung zum Zweck der Erfüllung einer Verbindlichkeit, (2) positive Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld (nach Parallelwertung in der Laiensphäre). § 814 Alt. 1 BGB stellt eine Ausprägung von Treu und Glauben dar. Dahinter steht die Ratio, dass der Leistende bei widersprüchlichem Verhalten (venire contra factum proprium) nicht schutzbedürftig ist.§ 814 BGB findet auf die Zweckverfehlungskondiktion (condictio ob rem) keine Anwendung(!). Der Leistende weiß bei der condictio ob rem stets, dass er nicht zur Leistung verpflichtet ist.

5. Der Anspruch auf Rückforderung ist ausgeschlossen, weil K den Eintritt des Erfolgs wider Treu und Glauben verhindert hat (§ 815 Alt. 2 BGB)

Ja, in der Tat!

Nach § 815 Alt. 2 BGB kann das Geleistete bei einer treuwidrigen Verhinderung des Erfolgseintritts nicht zurückgefordert werden. Voraussetzung ist, dass der Leistende eine Handlung ohne zwingenden Grund vornimmt, in dem Bewusstsein, dass diese geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern.K hat hier die ihm zuzurechnende Entwertung des Grundstücks zum Anlass genommen, den Vollzug des Kaufvertrags zu verhindern. Dieses Verhalten ist gegenüber V treuwidrig, solange dieser erfüllungsbereit war. Nach der Rspr. liegen die Voraussetzungen somit vor.In der Lit. wurde hieran kritisiert, dass entweder bereits das Berufen auf die Formnichtigkeit gegen § 242 verstoße und der Kaufpreis somit geschuldet war, oder die Verhinderung auch hier nicht als treuwidrig gelten könne.

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CLA

chuck lawris

13.2.2022, 09:13:53

Ich schnalls nicht. V hat ein Haus und einigt sich mit K auf Übertragung. Und vor der Übertragung, also vor der Auflassung nimmt "K" Baumaßnahmen vor? Wie funktioniert das? Meint Ihr wirklich K? Also: K baut an Vs Haus herum, bevor es übertragen wird und verhindert so den Eintritt der Übertragung eines mamge Es ist auch schwierig den Fall ohne weitere Angaben zu handlen. Dass es hier darum geht, dass die beiden "bewusst" einen Vertrag über 100.000 schließen, um Notarkosten uä zu sparen, habe ich erst am Ende verstanden.

CLA

chuck lawris

13.2.2022, 09:14:53

*Übertragung eines mangelfreien Hause

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.2.2022, 18:18:22

Hi Chuck lawris, in der Praxis ist es nicht unüblich, dass der Besitzwechsel schon stattfindet, bevor es zur Eigentumsübertragung kommt. In dem hier zugrundeliegenden Fall war der Vertrag am 9.November 1970 geschlossen worden und der Kaufpreis am 1. März 1971 gezahlt worden. Mit Zahlung des Kaufpreises erfolgte die Übergabe des Grundstückes - zu diesem Zeitpunkt war K aber noch nicht Eigentümerin des Grundstückes. Nichtsdestotrotz konnte sie hier bereits Baumaßnahmen vornehmen. Das Steuersparmodell haben wir im Sachverhalt ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CLA

chuck lawris

15.2.2022, 18:34:21

Alles klar, jetzt läuft's 👍 danke

LO

Lorbeerbekränzte🦩

15.12.2022, 17:26:45

Ich war ehrlich gesagt trotz der Ergänzung verwirrt 😅

STE

Stella2244

7.7.2024, 18:00:38

Ich auch

🔥1312

🔥1312🔥

9.3.2023, 08:35:49

Ist § 817 S. 2 nur auf § 812 I 1 Alt. 1 anwendbar oder spielt der hier keine Rolle, weil es kein entsprechendes gesetzliches Verbot gibt?

MaxCarl

MaxCarl

19.5.2023, 21:29:09

Ich mag mich irren, aber ist der Kaufvertrag nicht nach dem Grundsatz

falsa demonstratio

non nocet wirksam? Das wäre sehr fallentscheidend und ich bin über diesen Gedanken gestolpert

SE.

se.si.sc

20.5.2023, 09:58:39

Der Grundgedanke ist schon richtig, nur die Folgerung (jedenfalls nach der ganz hM) nicht. Du hast insoweit Recht, als auch hier eine Falschbezeichnung der Parteien vorliegt, sodass letztlich der wirkliche Wille zählt (nichts anderes sagt uns ja auch § 117 BGB). Auffälliger Unterschied zu den üblichen Fällen ist allerdings, dass es sich hier um eine BEWUSSTE

falsa demonstratio

handelt, nicht um eine unbewusste (wie im klassischen Walfisch-/Haifischfleischfall). Jedenfalls bei formbedürftigen Rechtsgeschäften (wie hier dem Verpflichtungsgeschäft über ein Grundstück, 311b I 1 BGB) lässt die (wirklich ganz) hM eine Gleichbehandlung deshalb nicht zu, weil sonst die Formvorgabe leicht umgangen werden könnte. Der beurkundete Vetrag ist damit als Scheingeschäft nach § 117 I BGB nichtig, der gewollte mangels Einhaltung der Form nach §§ 311b I 1, 125 S 1 BGB ebenfalls (statt vieler Grüneberg, § 311b Rn 36). Bei einer unbewussten Falschbezeichnung wäre es anders (zB bei einer versehentlichen Falschbezeichnung der zu verkaufenden Parzelle oder des Flurstücks), dann würde die ganz hM die Formvorgabe als erüllt ansehen -

falsa demonstratio

non nocet.

INDUB

InDubioProsecco

10.6.2023, 17:16:33

Ich verstehe nicht, warum hier kann Fall von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB vorliegt. V hat hier doch ohne Rechtsgrund geleistet, oder nicht? Oder handelt es sich um einen Fall der "Zweckstaffelung", bei dem § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB vorrangig anzuwenden ist?

CR7

CR7

4.1.2024, 19:15:14

Das habe ich mich zunächst auch gefragt @[InDubioProsecco](90290). § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB greift ein, wenn zum Zwecke der

Erfüllung einer Verbindlichkeit

geleistet wird. Hier lag objektiv aber wegen der Unwirksamkeit des ScheinV als auch des tatsächlichen Vertrags (§ 117 I BGB für den ScheinV, §§ 117 II, 125 S. 1, 311b I BGB für den tatsächlichen Vertrag) keine Verbindlichkeit vor. Demnach war K nicht dazu verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen, aber er wollte den Kaufpreis zahlen, damit er über die ex-nunc Heilung nach § 311b I S. 2 BGB Eigentum am Grundstück erlangt. Das hat V gewusst und somit liegt eine konkludente Zweckabrede vor. Das heißt, dass der Zweck der 200.000 EUR darin lag, eine nicht geschuldete Leistung zu erbringen, um eine nicht geschuldete Gegenleistung (Erfolg) zu erlangen. Das ist vorliegend nicht geschehen, daher § 812 I S. 2 Alt. 2 BGB. Ich bitte um Korrektur, falls ich falsch liege.

CR7

CR7

4.1.2024, 19:16:15

Das habe ich mich zunächst auch gefragt @[InDubioProsecco](90290). § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB greift ein, wenn zum Zwecke der

Erfüllung einer Verbindlichkeit

geleistet wird. Hier lag objektiv aber wegen der Unwirksamkeit des ScheinV als auch des tatsächlichen Vertrags (§ 117 I BGB für den ScheinV, §§ 117 II, 125 S. 1, 311b I BGB für den tatsächlichen Vertrag) keine Verbindlichkeit vor. Demnach war K nicht dazu verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen, aber er wollte den Kaufpreis zahlen, damit er über die ex-nunc Heilung nach § 311b I S. 2 BGB Eigentum am Grundstück erlangt, wenn V ihn dann ins GB eintragen lässt. Das hat V gewusst und somit liegt eine konkludente Zweckabrede vor. Das heißt, dass der Zweck der 200.000 EUR darin lag, eine nicht geschuldete Leistung zu erbringen, um eine nicht geschuldete Gegenleistung (Erfolg) zu erlangen. Das ist vorliegend nicht geschehen, daher § 812 I S. 2 Alt. 2 BGB. Ich bitte um Korrektur, falls ich falsch liege.

STE

Stella2244

7.7.2024, 18:02:12

Danke! @[CR7](145419) das hat sehr geholfen!

PH

Phil

16.6.2024, 10:52:38

Könnte mir nochmal jemand erläutern, wieso 814 hier bzw. generell bei einer

condictio ob rem

gesperrt sein soll? danke

LELEE

Leo Lee

17.6.2024, 15:09:41

Hallo Phil, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat kann es etwas tricky sein, den Grund hinter der Nichterfassung von

condictio ob rem

i.R.d. 814 nachzuvollziehen. Dafür müssen wir uns zunächst den Wortlaut des 814 angucken. Dieser besagt, dass das „zum ZWECKE DER ERFÜLLUNG DER VERBINDLICHKEIT GELEISTETE“ nicht zurückgefordert werden kann…D.h. also, dass 814 schon im Tatbestand voraussetzt, dass ZWECKS ERFÜLLUNG geleistet wurde. Zwecks Erfüllung bedeutet also, dass eine VERPFLICHTUNG des Bereicherungsgläubigers bestand, was den klassisches Fall des 812 I 1 Fall 2 darstellt (deshalb wird auch dieser Tabtestand „condcio indebiti“ genannt und das zweite TBM auch als „durch Leistung“ bezeichnet). Und weil

condictio ob rem

(was „Zweckverfehlungskondiktion“ bedeutet) voraussetzt, dass nicht zwecks Erfüllung, sondern in bloßer Hoffnung auf Eintreten eines Erfolgs geleistet wird, wird

ob rem

nicht von 814 erfasst, sondern eben nur

condictio indebiti

. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 814 Rn. 4 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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