Vertretungsmacht I
17. Juni 2025
13 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
G wird als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Columbus-GmbH bestellt. Die Bestellung wird jedoch versehentlich nicht in das Handelsregister eingetragen. Auch eine spätere Abberufung wird nicht eingetragen. G schließt dennoch ein Geschäft im Namen der Columbus GmbH mit K ab.
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Einordnung des Falls
Vertretungsmacht I
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Bestellung des G ist unwirksam, da sie nicht eingetragen wurde (§ 39 GmbHG).
Nein, das trifft nicht zu!
2. Sind mehrere Personen als Geschäftsführer einer GmbH bestellt, sind sie grundsätzlich nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt.
Ja!
3. Da die Bestellung des G nicht eingetragen wurde, muss auch die später vorgenommene Abberufung nicht eingetragen werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Ist das Geschäft mit K wirksam im Namen der Columbus-GmbH geschlossen worden?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Kai
31.12.2023, 17:04:43
Ich verstehe, dass die Eintragung der Abberufung dem Schutz Dritter dient, die auf andere Weise als der nicht erfolgten Eintragung Kenntnis von der Geschäftsführungsbefugnis erlangt haben. In diesem Fall sind drauf aber keine Hinweise ersichtlich. Wieso konnte der inzwischen abberufene GeschFührer mit Außenwirkung Geschäfte im Namen der GmbH tätigen, wenn er abberufen wurde und der Geschätspartner mangels vorheriger Kenntnis der Geschäftsführungsbefugnis auch nicht schutzwürdig war? Da er im SV keinen Grund hatte, von einer Geschäftsführungsbefugnis auszugehen, ist er doch "selbst
schuld", wenn er sich auf das Geschäft einlässt, oder?

Nils
25.1.2024, 08:28:57
Du würfelst hier einiges durcheinander. Geschäftsführungsbefugnis = Innenverhältnis, Vertretungsmacht = Außenverhältnis. Das Problem/der Streit nennt sich „
Sekundäre Unrichtigkeit“ und betrifft die
negative Publizitätdes Handelsregisters (Vertretungsmacht kraft
Rechtsschein). Jede Änderung in der Person des Geschäftsführers ist in das Handelsregister anzumelden. Es handelt sich jeweils um eintragungspflichtige
Tatsachen. Fraglich ist in einem solchen Fall der fehlenden zweiten Eintragung, die ja jetzt eigentlich tatsächlich die wahre (materielle) Rechtslage wiedergibt, ob der negativen Publizität trotzdem Rechnung getragen werden muss bzw. es eine solche überhaupt geben kann. Das ist umstritten. e.A.: (-), h.M.: (+). Argumente besser anderweitig nochmal nachvollziehen. Ggf. wäre er (immer noch) Vertreter mit Vertretungsmacht und könnte die GmbH wirksam verpflichten. Die GmbH könnte sich wiederum nicht auf das Handelsregister berufen. Außerdem haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft ggf. mit seinem gesamten Privatvermögen. Vielleicht wird das Problem damit etwas greifbarer.
Kai
25.1.2024, 11:39:44
Hey Nils, danke für deine Antwort. Ich glaube, wir reden da aber ein wenig aneinander vorbei (ggf. auch wegen falscher Bezeichnungen meinerseits). In der letzten Antwort heißt es, dass G gem. § 35 I GmbHG nach Abberufung nicht mehr Geschäftsführer ist. Gem. § 15 I HGB kann eine eintragungspflichtige Tatsache dem Dritten nicht entgegengehalten werden, wenn Sie weder eingetragen noch dem Dritten bekannt war. Das soll zwar auch bei fehlender Voreintragung gelten, weil der Geschäftspartner auch auf anderen Weg als durch die Voreintragung von GeschFBefugnis hätte Kenntnis erlangen können. Im Fall schließt G ein Geschäft mit einem Dritten, obwohl er nie eingetragen worden war und der Dritte weder Kenntnis von Gs ursprünglichen Vertretungsmacht noch von der Abberufung hat. De facto gibt es also keinen
Rechtsschein, der dem Geschäftspartner Anlass geben könnte, Gs Vertretungsmacht anzunehmen. G war nie eingetragen und der Geschäftspartner hat auch nie anderweitig Kenntnis vor Gs vormaliger Vertretungsmacht als Geschäftsführer erhalten. G hat also aus der Sicht des Geschäftspartners nicht mehr Vertretungsmacht für und gegen die Gesellschaft als jeder beliebige andere. Da erscheint es mir widersinnig, das Geschäft trotzdem für und gegen die Gesellschaft gelten zu lassen - ohne, dass im SV angegeben wird, dass der Geschäftspartner Kenntnis über die frühere Vertretungsmacht, nicht aber die Abberufung und den damit einhergehenden Verlust der Vertretungsmacht hat.

BigLebowski
29.7.2024, 14:53:48
Dagegen führt die hM u. a. folgende Argumente an: Zum einen den klaren Wortlaut. Es sei gerade kein bereits existierender
Rechtsscheinoder ein konkretes Vertrauen tatbestandliche Voraussetzung. Zum anderen schütze der § 15 ABSTRAKT das Vertrauen in die Richtigkeit des HR und diene der Rechtssicherheit. Der Rechtsverkehr solle darauf vertrauen können, dass alles Relevante richtig im HR eingetragen werde. Einziges Ausschlusskriterium sei die positive Kenntnis des Dritten nach § 15 I aE, die hier nicht vorlag. Es obliege den Kaufleuten, das HR zu pflegen und aktuell zu halten, der § 15 biete hier einen starken Anreiz, indem er Säumigkeit "strafe". Zugegebenermaßen würden dadurch auch Fälle erfasst, in denen es bei einer Einzelfallbetrachtung unbillig sei, das liege aber in der Natur der Sache, etwas abstrakt schützen zu wollen, also einen möglichst weiten Tatbestand zu ziehen. Eine teleologische Reduktion widerspräche diesem Sinn und Zweck der Norm. Zum Nachvollziehen der hM und der obigen Argumente kann ich Krebs im MüKo-HGB, 5. Auflage 2021, § 15, Rn. 40 und Müther im BeckOK HGB, Stand: 01.07.2024, § 15 Rn. 9 empfehlen.

Nils
2.10.2024, 21:00:39
@Kai Genau. Du hast exakt das Problem, um das es bei dem Streit der sog. sekundären Unrichtigkeit des Handelsregisters geht, beschrieben. Deine Argumente decken sich mit einem Teil der Literaturmeinung, die die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 HGB mit dem Argument ablehnt, mangels Voreintragung in das Handelsregister habe es gar keinen Scheintatbestand geben können, auf den sich ein
Vertrauensschutzdes anderen Teils stützen ließe. Rspr. und übrige Lit. bejahen hingegen die Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB, denn dieser bezwecke einen abstrakten (!)
Vertrauensschutz.

Dua
4.9.2024, 15:27:06
Schöner kleiner Fall! Gerade das ineinandergreifen von handelsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Themen ist hilfreich für die Klausurvorbereitung. Gerne mehr Aufgaben in der Art! 🙂

Christian Leupold-Wendling
6.9.2024, 21:39:33
Hallo Dua, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Christian Leupold-Wendling, für das Jurafuchs-Team
benjaminmeister
8.5.2025, 18:08:48
Ich verstehe worauf ihr mit der letzten Frage-Antwort hinaus wollt. Regelmäßig wird es auch richtig sein, dass die fehlende Vertretungsmacht gegenüber dem Vertragspartner wegen § 15 I HGB nicht von der GmbH entgegen gehalten werden kann. Es geht hier aber unter, dass § 15 I HGB dem Dritten ein Wahlrecht gibt, ob er sich auf die tatsächliche Rechtslage (keine Vertretungsmacht) oder auf die vermeintliche Rechtslage, die sich aus dem Handelsregister ergibt (Vertretungsmacht), berufen möchte (zB. könnte K sich auf die tatsächliche Rechtslage berufen wollen, wenn der Vertrag für ihn doch nachteilig ist). Da aus dem Sachverhalt genau genommen nicht hervorgeht, ob der K sich auf die vermeintliche Rechtslage beruft, kann man mMn. nicht pauschal (wie es die Frage-Antwort will) sagen, dass der Vertrag wirksam zustande gekommen ist. Vielleicht könnte man dahingegehend den Sachverhalt noch erweitern.