Gebäudebegriff bei der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB)


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A setzt in einem Wohnblock in zwei Kellerräumen auf dem Boden liegende Textilien in Brand. Er weiß, dass sich Mieter im Haus aufhalten, die durch Rauchentwicklung gefährdet werden können. Dies nimmt er billigend in Kauf. Tatsächlich kommt es zur Verbrennung und Verrußung von mehreren Kellerboxen und ihres Inhalts. Drei Personen in den Wohnräumen erleiden Rauchvergiftungen.

Einordnung des Falls

Gebäudebegriff bei der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem A in den Kellerräumen ein Feuer gelegt hat, hat er sich wegen einfacher Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Ja, in der Tat!

Gebäude sind alle durch Wände und Dach begrenzten, mit dem Erdboden fest verbundenen Bauwerke, die den Eintritt von Menschen gestatten. Brandlegung ist jede Handlung, die sich auf das Verursachen eines Brandes richtet. Ein Brand ist gelegt, wenn die zerstörende Wirkung des Brandmittels eintritt, ohne dass es auf den Brand des Objekts an sich ankommt. Darunter fallen auch Verrußungsschäden. In dem Wohnblock wurden mehrere Kellerräume durch Verrußung für nicht unerhebliche Zeit in dem bestimmungsgemäßen Zweck als Versorgungs- und Aufbewahrungsräume unbrauchbar.

2. A hat durch das Auslegen des Feuers in den Kellerräumen "eine Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient" "durch Brandlegung zerstört" (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Nein!

Eine Räumlichkeit dient der Wohnung von Menschen, wenn sie von Personen zumindest vorübergehend tatsächlich als Ort privater Lebensführung benutzt wird. BGH: Voraussetzung für die Vollendung von § 306a Abs. 1 StGB sei für den Fall des Zerstörens eines Wohngebäudes, dass auch Wohnräume von der Zerstörungswirkung der Brandlegung betroffen sind. Hier sind nur an den Kellerräumen Rußschäden entstanden. Die Kellerräume selbst dienen nicht zu Wohnzwecken. Eine Strafbarkeit nach § 306a Abs. 1 Nr. StGB scheidet mangels tauglichen Tatobjekts aus.

3. A hat sich wegen schwerer Brandstiftung (§ 306a Abs. 2 StGB) strafbar gemacht, wenn er ein "Gebäude" "durch Brandlegung zerstört" hat und "dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht hat".

Genau, so ist das!

Bei § 306a Abs. 2 StGB handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt, d.h. der Täter muss durch die Brandlegung einen anderen Menschen in die konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht haben.

4. Das Tatbestandsmerkmal "Gebäude" ist im Falle eines Wohnhauses nur dann erfüllt, wenn Wohnräume "durch Brandlegung teilweise zerstört" wurden (§ 306a Abs. 2 StGB i.V.m. § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Bei § 306a Abs. 2 StGB sind geringere Anforderungen an die "Zerstörung durch Brandlegung" als bei § 306a Abs. 1 StGB zu stellen. Ist das betroffene "Gebäude" im Sinne von § 306a Abs. 2 StGB  zugleich ein "Wohngebäude", wie es § 306a Abs. 1 StGB als Brandstiftungsobjekt voraussetzt, dann müssen zur Vollendung nicht notwendigerweise auch Wohnräume von der Zerstörung durch Brandlegung betroffen sein. Es genügt, wenn ein anderer funktionaler Gebäudeteil, wie der Kellerraum, für nicht unerhebliche Zeit nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden kann.

5. Das Gebäude ist "durch Brandlegung teilweise zerstört" (§ 306a Abs. 2 StGB).

Ja!

Die Brandlegung wird wie bei § 306 Abs. 1 StGB definiert. Brandlegung ist jede Handlung, die sich auf das Verursachen eines Brandes richtet. Ein Brand ist gelegt, wenn die zerstörende Wirkung des Brandmittels eintritt, ohne dass es auf den Brand des Objekts an sich ankommt. Darunter fallen auch Verrußungsschäden. In dem Wohnblock wurden mehrere Kellerräume durch Verrußung für nicht unerhebliche Zeit in dem bestimmungsgemäßen Zweck als Versorgungs- und Aufbewahrungsräume unbrauchbar. Wenn Du § 306 StGB schon geprüft hast, kannst Du hier nach oben verweisen.

6. Durch die Brandlegung des A ist auch eine "konkrete Gefahr einer Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen eingetreten" (§ 306a Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn der Nichteintritt der Gesundheitsschädigung lediglich vom rettenden Zufall abhängt. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch vorübergehenden pathologischen Zustands (vgl. § 223 Abs. 1 StGB). Die Rauchvergiftung stellt eine Gesundheitsschädigung dar, da sie zu einer Verschlechterung der Lungenfunktion führt. Zudem ist die Gesundheitsschädigung auch tatsächlich eingetreten.

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Jonny27

Jonny27

19.4.2021, 09:10:13

Die Frage, ob „Wohnräume“ auch zum Gebäudebegriff nach § 306a II gehören, sollte klarer gestellt werden. So wie sie gerade formuliert ist wird nicht deutlich, dass es darum geht, dass es eben keine Wohnräume sein müssen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2021, 11:14:10

Vielen Dank, Jonny! Wir haben die entsprechende Frage nun etwas präzisiert, sodass das deutlicher zum Ausdruck kommen sollte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAV

david1234

19.4.2024, 11:59:13

In einem vorherigen Fall wurde lediglich in einem Gewerberaum Feuer gelegt, die darüber befindliche Wohnung wurde nicht beschädigt, trotzdem wurde Nr.1 angenommen, da es keine Brandschutzeinrichtungen gibt - diese liegen auch hier nicht vor. Hat sich die Rechtsprechung geändert oder warum wird ein solches Erfordernis hier nicht benötigt?

BAY

bayilm

8.7.2024, 14:12:28

Sollte man in einem solchen Fall zu erst den 306 dann 306a I und dann 306a IIprüfen, oder könnte man den 306 direkt mit 306a II verknüpfen? Lassen das die einzelnen Delikte überhaupt zu, weil 306 ja ein Erfolgsdelikt ist unf 306a II ein konkretes Gefährdungsdelikt?

AN

Anne

19.7.2024, 10:39:46

Ja, ich würde so vorgehen, dass ich zuerst § 306, dann §306 a I und dann § 306 a II prüfe. Du schneidest dir ansonsten ja das Problem ab, dass § 306 a I Nr. 1 StGB hier nicht erfüllt ist, da kein wesentlicher Teil der Wohnung durch Brandlegung teilweise zerstört wurde. § 306 a II StGB ist jedoch erfüllt, da dieser an die Tatobjekte des § 306 StGB anknüpft und für die Bejahung des teilweisen Zerstörens durch Brandlegung es gerade nicht auf einen Teil der Wohnung ankommt, sondern die Kellerräume ausreichen. Die Delikte lassen diesen Aufbau zu, da die Systematik der Brandstiftungsdelikte an sich zwar ein ziemlicher Fail ist, § 306, § 306a I und § 306a II dennoch unterschiedliche Tatbestände und keine Qualifikationen voneinander sind und man diesen wirren Aufbau einfach beachten muss, auch wenn es sehr verwirrend ist, dass § 306a II auf die Tatobjekte des § 306 StGB verweist.

BAY

bayilm

19.7.2024, 10:50:24

Wo würde man dann am besten § 306b einbauen, aofern ein Fall vorliegt, wo der in Betracht kommt? Jeweils bei 306 und 306a II seperat oder in einer gesonderten Prüfung?

AN

Anne

19.7.2024, 11:12:10

Kannst du so oder so machen. Wie es für dich schlüssiger ist. Gibt Schemata, bei denen dann nach der Schuld und der tätigen Reue danach die Erfolgsqualifikation z.B des § 306b geprüft wird. Ich find es besser, wenn man die gesondert prüft, aber erst nachdem man die Grundtatbestände §§ 306, 306 a I, 306 a II StGB geprüft hat. In einer weiteren Prüfung kannst du dann §§ 306, 306b I StGB prüfen und dann auf die Prüfung des § 306 verweisen. So macht es auf jeden Fall Rengier.

Sassun

Sassun

9.7.2024, 17:01:26

in einem der vorherigen Fälle wurde § 306 I Nr. 1 Alt. 1 StGB sowohl bezüglich "Inbrandsetzung" als auch bezüglich "durch Brandlegung teilweise zerstört" mit dem Argument vernein, dass ein stark beschädigtes Kinderzimmer nicht ausreiche, um einen für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des gesamten Mehrfamilienhauses einen wesentlichen Bestandteil darzustellen. Die Unbrauchbarkeit eines Zimmers habe nicht ausgereicht. Nun wird § 306 I Nr. 1 Alt. 1 StGB bei der Verbrennung und Verrußung mehrerer Kellerboxen eines Wohnblocks bejaht. Den Kellerräumen dürften doch genauso wenig einen wesentlichen Bestandteil des Wohnblocks darstellen, wie ein Kinderzimmer für ein Mehrfamilienhaus.

AN

Anne

19.7.2024, 10:30:35

Das Kinderzimmer bezieht sich nur auf die eine Untereinheit Wohnung, während die Kellerboxen, die u.a zur Aufbewahrung von Lebensmitteln dienen können, sich auf den gesamten Wohnkomplex auswirken können. Mehrere Kellerboxen sind durch Brandlegung teilweise zerstört, d.h. mehrere Mieter*innen sind betroffen, während bei dem Kinderzimmer in Relation nur die Familie betroffen ist, die die Wohnung bewohnt.


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