Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Totschlag, § 212 StGB

Tötung nach Geburtsbeginn bei Zwillingen – Tatbestandsmerkmal „Mensch“ nach § 212 Abs. 1 StGB

Tötung nach Geburtsbeginn bei Zwillingen – Tatbestandsmerkmal „Mensch“ nach § 212 Abs. 1 StGB

16. April 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S erwartet Zwillinge. Z2 ist lebensfähig, bei ihm wird jedoch in der 19. Schwangerschaftswoche eine schwere Hirnschädigung festgestellt. Nach ordnungsgemäßer Entbindung des Z1 per Kaiserschnitt injiziert Ärztin A dem noch im Uterus der S befindlichen Z2 tödlich wirkendes Kaliumchlorid.

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Einordnung des Falls

Tötung nach Geburtsbeginn bei Zwillingen – Tatbestandsmerkmal „Mensch“ nach § 212 Abs. 1 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfüllt, wenn sie vorsätzlich einen Menschen getötet hat.

Ja!

Der Tatbestand des Totschlags bezeichnet den "Normalfall" vorsätzlicher Tötung. Das Verhältnis von Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) ist umstritten. Der BGH geht davon aus, dass § 211 StGB und § 212 StGB zwei eigenständige Tatbestände darstellen. Die herrschende Lehre sieht im Mord eine unselbstständige Qualifizierung des Totschlags. Der Zusatz "ohne Mörder zu sein" ist heute ohne sachliche Bedeutung und zudem irreführend, da es auch einer Abgrenzung gegenüber § 216 StGB bedürfte.
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2. Z2 im Uterus der S ist ein "Mensch" (§ 212 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Tatopfer der Tötungsdelikte (§§ 211-216 StGB) ist der Mensch als geborenes Leben. Da der Gesetzgeber hinsichtlich des Beginns des menschlichen Lebens auf die Geburt (Beginn der Eröffnungswehen) abstellt, erfasst § 212 Abs. 1 StGB pränatale Einwirkungen auf die Leibesfrucht nicht. Bei operativer Entbindung beginnt die Geburt mit der Vornahme des die Eröffnungswehen ersetzenden ärztlichen Eingriffs. Das ist regelmäßig die den Geburtsvorgang künstlich einleitende Durchtrennung der Gebärmutterwand, das heißt die Öffnung des Uterus. Der Uterus wurde bereits für die Entbindung des Z1 geöffnet, die Geburt hatte damit auch in Bezug auf Z2 begonnen. Dass Z2 sich bei Injektion noch im Mutterleib befunden hat, ändert nichts daran, dass er mit Geburtsbeginn als Mensch im Sinne des Strafrechts gilt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

26.7.2021, 18:02:45

Ich nehme an, dass dieser Fall unter Totschlag und nicht Mord kommt, weil das Merkmal der "feindlichen Willensrichtung" fehlt? Es wäre toll, wenn ihr irgendwo in der Aufgabe die Ansicht erwähnen könntet, die dieses Merkmal gerade in Bezug auf Menschen mit Behinderung als euthanatisch verwirft. Denn die Debatten um die sog. "Mitleids" - morde drehen sich ja häufig um Euthanasie (auch schon problematischer Begriff).

KI

kim.

27.12.2024, 19:18:35

Für den Mord müsste ein Mordmerkmal vorliegen. Die

feindliche Willensrichtung

kann zwar bei der Heimtücke geprüft werden, für die Heimtücke müssten jedoch noch weitere Merkmale vorliegen, insbesondere die

Arglosigkeit

, welche allerdings die Fähigkeit zum

Argwohn

erfordert, der bei Kleinstkindern - und erst recht bei einem Neu- bzw. Ungeborenen - nach ganz hM verneint wird. Auch anderweitige Mordmerkmale sind hier nicht ersichtlich, sodass ein Mord nicht in Frage kommt und eine Prüfung der feindlichen Willensrichtung gar nicht nötig wird. Auch ein

niedriger Beweggrund

im Hinblick auf die angesprochene Behinderungsthematik ist aufgrund der SV-Angaben wohl schwer hier reinzulesen.

Vincent

Vincent

6.2.2025, 16:23:50

Das ist letzten Endes die entscheidende Frage, wobei ich ebenfalls eher annehmen würde, dass ein niederer Beweggrund letztlich abgelehnt werden würde. Allerdings bin ich der Meinung, dass man diesen zumindest diskutieren müsste - denn die Frage ob ein solcher Vorlag ist nicht ganz klar. Zwar lässt sich aus dem gegebenen Sachverhalt kein solcher herauslesen, aber eine Klausur wäre umfangreicher. Dementsprechend stellt sich natürlich die Frage, ob das Motiv hinter der Tötung war, dem Kind das Leben zu "ersparen" oder ob die Mutter schlicht keine "Lust" hatte ein schwerbehindertes Kind aufzuziehen.


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