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Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch der Presse gegen den Bundesnachrichtendienst über dessen Zusammenarbeit mit der Presse

Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch der Presse gegen den Bundesnachrichtendienst über dessen Zusammenarbeit mit der Presse

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

J ist Journalist, der die Beziehungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu bestimmten Medien aufdecken möchte. J verlangt vom BND Auskunft über (1) sogenannte Kennenlerntreffen und (2) vertrauliche Einzelgespräche mit Medienvertretern. Der BND beantwortet Js Anträge nur teilweise.

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Einordnung des Falls

Verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch der Presse gegen den Bundesnachrichtendienst über dessen Zusammenarbeit mit der Presse

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. J klagt auf Beantwortung seiner Anträge und Auskunftserteilung. Ist für Js Klage der Verwaltungsrechtsweg eröffnet?

Ja, in der Tat!

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet, soweit es keine aufdrängenden Sonderzuweisungen gibt, die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher, nichtverfassungsrechtlicher Art ist, und keine abdrängenden Sonderzuweisungen anwendbar sind. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm aus dem öffentlichen Recht stammt. Sie ist nichtverfassungsrechtlich, wenn keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt. Es dürfen also keine unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte über Verfassungsrecht streiten. Sonderzuweisungen gibt es nicht. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, da J Auskunftsansprüche gegen B geltend macht, die streitentscheidenden Normen also B als Bundesbehörde verpflichten und daher selbst öffentlich-rechtlich sind (modifizierte Subjektstheorie). Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlich, da oberste Staatsorgane, die zum Verwaltungsunterbau der Ministerien gehören – wie B – keine Verfassungsorgane sind. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.
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2. J beruft sich in seiner Klage auf Auskunftserteilung vor dem Verwaltungsgericht auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse. Ist hierfür die Verpflichtungsklage statthaft?

Nein!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). Die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist statthaft, wenn der Kläger vom Beklagten den Erlass eines Verwaltungsakts (§ 35 S. 1 BVwVfG) begehrt. Demgegenüber ist die allgemeine Leistungsklage statthaft, wenn der Kläger eine Leistung begehrt, die weder der Erlass noch die Aufhebung eines Verwaltungsakts ist. Die Erteilung einer Auskunft, wie sie J von B verlangt, stellt in der Regel keinen Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 BVwVfG) dar, da die Auskunftserteilung keinen Reglungsgehalt hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Auskunftserteilung ein Verwaltungsakt vorausgeht, z.B. wenn die Behörde vor der Auskunftserteilung Ermessen ausüben muss. Der presserechtliche Auskunftsanspruch ergibt sich aber aus dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und ist nicht ermessensabhängig. Die Auskunftserteilung bedarf also keines rechtsgewährenden Verwaltungsakts. Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft. Hier erhältst Du im Klausursachverhalt alle notwendigen Informationen und musst diese sauber verwerten. Nimm Dir bei der Statthaftigkeit die notwendige Zeit - hier Fehler zu machen, hinterließe zu Beginn Deiner Klausur einen schlechten Eindruck, den Du vermeiden kannst.

3. Für die allgemeine Leistungsklage muss der Kläger analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein, was bei J der Fall ist.

Genau, so ist das!

Um Popularklagen zu verhindern wird das Erfordernis der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) nach herrschender Meinung auch auf die Feststellungsklage und die allgemeine Leistungsklage analog übertragen. Klagebefugt ist der Kläger, wenn er geltend machen kann, dass er möglicherweise in eigenen subjektiven Rechten verletzt ist. J kann als Journalist geltend machen, durch die teilweise Ablehnung der Auskunft zu seinen Anträgen in seinem verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verletzt zu sein (RdNr. 15). Der presserechtliche Auskunftsanspruch dient auch dem Individualinteresse und nicht nur dem öffentlichen Interesse, er ist also subjektives Recht. Eine Verletzung erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. J ist klagebefugt.

4. Die Klage des J ist unzulässig, da er kein Rechtsschutzbedürfnis hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger gerichtlichen Rechtsschutzes bedarf. Das ist dann der Fall, wenn der Streit nicht einfacher oder günstiger außgergerichtlich beizulegen ist, und wenn die Rechtsstellung des Klägers im Falle des Erfolges seiner Klage verbessert wird. J hatte sein Auskunftsbegehren bereits bei der auskunftspflichtigen Stelle B erfolglos geltend gemacht, sodass keine günstigere und einfachere Möglichkeit der Streitbeilegung besteht. Im Falle seines Erfolges würde J von B die begehrten Auskünfte erhalten, sodass die Klage nicht nutzlos ist. J hat ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage ist insgesamt zulässig. Die einzelnen Auskunftsansprüche stehen miteinander in zulässiger Klagehäufung, § 44 VwGO. Im Originalfall hat J, nachdem B ihm einige Fragen außergerichtlich beantwortet hatte, Folgefragen formuliert und mit dem laufenden Klageverfahren verbunden (§ 91 Abs. 1 VwGO). Die Klageänderung war sachdienlich, da durch die weiteren Anträge der Rechtsstreit endgültig beigelegt werden konnte, darüber hinaus sei das prozessuale Verhalten der B auch als Einwilligung zu deuten gewesen (RdNr. 16).

5. Die Klage ist begründet, soweit J den Anspruch auf Auskunftserteilung hat. Kann sich der Anspruch unmittelbar aus der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) ergeben?

Ja!

Während sich ein pressrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber Landesbehörden aus den Landespressegesetzen ergibt, gibt es auf Bundesebene kein Pressegesetz. Bezüglich Bundesbehörden steht den Landesparlamenten auch keine Gesetzgebungskompetenz zu, weswegen diese nicht auf Bundesbehörden anwendbar sind. Mangels anderweitiger Regelung verleiht deshalb das Grundrecht der Pressefreiheit in seiner objektiv-institutionellen Dimension der Presse einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden (RdNr. 18). Es handelt sich um ein Individualrecht der Presseangehörigen zum Zweck der Wahrnehmung ihrer demokratiekonstituierenden Informations- und Kontrollfunktion (RdNr. 18f). Der Auskunftsanspruch gemäß § 1 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes ist hier nicht einschlägig. Zwar ist der BND eine Bundesbehörde i.S.d. § 1 Abs. 1 IFG. Allerdings wird der – an sich voraussetzungslose – IFG-Anspruch in § 3 IFG zum Schutz von besonderen öffentlichen Belangen gesetzlich eingeschränkt (Bereichsausnahme). Gemäß § 3 Nr. 8 IFG besteht der IFG-Anspruch u.a. „gegenüber den Nachrichtendiensten“ ausdrücklich nicht. Auskuntsansprüche nach Presserecht, IFG oder GG sind gern Gegenstand von Klausuren.

6. Die auskunftspflichtige Behörde muss vor Auskunftserteilung die Betroffenen, deren Grundrechte oder Interessen durch eine Auskunft berührt werden, anhören oder ihre Einwilligung einholen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Anhörung der Betroffenen im Sinne des § 28 BVwVfG, verbunden mit einer möglichen Einwilligungseinholung, würde für die Behörde eine zusätzliche Erkenntnisquelle darstellen, den Betroffenen die Möglichkeit des vorbeugenden gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnen und den Interessen des Anspruchstellers Rechnung tragen, so viele Informationen wie möglich zu erlangen (RdNr. 24). Andererseits würde ein Anhörungserfordernis den besonders gewichtigen verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch aushöhlen, der prinzipiell ungehinderten Informationszugang gewährleisten soll. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbietet eine prozessuale Ausgestaltung, die seinen Zweck vereiteln oder die Informationsbeschaffung verzögern würde (RdNr. 25). Diese Argumentation kannst Du Dir selbst daher ableiten, dass die Effektivität der Pressearbeit von der Aktualität der Berichterstattung abhängt. Eine Anhörung würde dies verzögern und ist daher nicht mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar (RdNr. 25). Dies unterscheidet den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse auch vom Auskunftsanspruch nach § 1 IFG. Bei letzterem besteht die hier beschriebene Gefahrenlage so nicht, weshalb § 8 IFG ausdrücklich vorsieht, dass betroffenen Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss des Informationszugangs haben können.

7. Js Klage ist unbegründet, soweit er gerichtlich weiterhin Auskunft über Umstände verlangt, über die B bereits außergerichtlich während des Verfahrenslaufs Auskunft gegeben hat.

Ja, in der Tat!

Die Klage ist nur dann begründet, wenn J gegen B einen Anspruch auf Auskunftserteilung hat. Der Auskunftsanspruch ergibt sich unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Er dürfte aber auch nicht erloschen sind. Ist der Auskunftsanspruch erloschen, ist die Klage insoweit unbegründet. In dem Umfang, in dem der BND während des Verfahrenslaufs J die begehrten Informationen gegeben hat, ist der Auskunftsanspruch erfüllt und analog § 362 Abs. 1 BGB erloschen (RdNr. 28). Die Klage ist insoweit unbegründet.

8. Js Klage auf Auskunft über die Kennenlerntreffen (beteiligte Medienvertreter und Anlass der Treffen) ist unbegründet, da die Pressefreiheit der Medienvertreter als überwiegendes Interesse entgegensteht.

Nein!

Die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) der Medienvertreter auf den Kennenlerntreffen mit dem BND erfasst auch die Informationsbeschaffung und die Recherchetätigkeit. Dies ist für die spätere Nachrichtenverbreitung zwar nur ein Vorbereitungsakt, legt aber die Grundlage für eine effektive Wahrnehmung der Aufgaben freier Presse (RdNr. 30). Die Treffen fallen also unter die Pressefreiheit und stellen grundsätzlich Interessen Dritter dar, die Js Auskunftsanspruch ausschließen können. Die Herausgabe von Informationen über diese Treffen durch den BND stellt zwar einen Eingriff in die Pressefreiheit dar, doch ist Js Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG im konkreten Fall gewichtiger als der Schutz der Medienvertreter aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Rdnr. 32). J verlangte nämlich nur Auskunft über die Beteiligten der Kennenlerntreffen, also keine inhaltlichen Informationen, die die konkrete Recherche der Medienvertreter gefährden oder aufdecken könnten. Js Auskunftsanspruch ist vorrangig, seine Klage insoweit begründet.In der Klausur müsstest Du hier die konkurrierenden Rechtspositionen sauber herausarbeiten und gegeneinander abwägen.

9. Js Klage auf Auskunft über die Kennenlerntreffen (beteiligte Medienvertreter und Anlass der Treffen) ist unbegründet, da das Persönlichkeitsrecht der Medienvertreter als überwiegendes Interesse entgegensteht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) ist ein Schutzrecht für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die Schwere eines Eingriffs wird danach bemessen, ob die staatliche Maßnahme den Betroffenen in seiner Intim-, Privat- oder Sozialsphäre berührt. Die Gefahr einer Veröffentlichung von Informationen zu den Kennenlerntreffen berührt das Persönlichkeitsrecht der Medienvertreter, die der BND getroffen hat. Die auf den Treffen gewonnenen Informationen sind aber nicht vertraulich, haben einen starken Öffentlichkeitsbezug und lassen keine Rückschlüsse auf bestimmte Redaktionstätigkeiten zu. Es ist allein die Sozialsphäre betroffen, sodass das private Interesse der Medienvertreter ein geringeres Gewicht hat als Js Auskunftsinteresse (RdNr. 33).

10. Über die Kennenlerntermine (zu denen J Auskunft verlangen kann) hinaus, darf der BND mit Medienvertretern auch vertrauliche Einzelgespräche führen, deren Umstände der BND nicht im Einzelnen dokumentieren muss.

Ja, in der Tat!

Einzelgespräche auf Initiative der Medienvertreter zu deren Informationsbeschaffung und Recherche sind Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit des BND (RdNr. 35f). Die einzelnen Medienvertreter haben Anspruch auf diese Termine aus ihren jeweiligen verfassungsunmittelbaren Auskunftsansprüchen (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). B muss in diesen Gesprächen Neutralität und Sachlichkeit wahren und darf die Medien und ihre Informationsweitergabe nicht beeinflussen (RdNr. 36). Der BND muss die Umstände und Inhalte der Gespräche nur dann dokumentieren, wenn dies ist zur Sicherung von Verhältnismäßigkeit oder Grundrechtsschutz geboten ist (RdNr. 37). Solche Eingriffe in Verfassungsprinzipien sind aber bei den Einzelgesprächen in der Regel nicht zu erwarten, eine Dokumentation also nicht zwingend notwendig.

11. J kann von B keine Auskunft über die Einzelgespräche und deren Inhalt verlangen, da das Interesse der Medienvertreter am Schutz ihrer Recherchetätigkeit gegenüber Js Auskunftsinteresse überwiegt.

Ja!

Die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) der Medienvertreter, die den BND getroffen haben, erfasst auch die vertrauliche Informationsbeschaffung und Recherche (RdNr. 40). Js Verlangen auf inhaltliche Auskunft über diese Treffen greift in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ein (RdNr. 41). Ob J die Auskunft verlangen kann, ist eine Frage der Abwägung der widerstreitenden Interessen. Abwägungsmaßstab ist, ob durch die Beantwortung von Js Anträgen die Gefahr der Aufdeckung individueller Recherchen entsteht (RdNr. 41). J verlangt ausdrücklich solche Informationen, die die konkrete Redaktionsarbeit der Medienvertreter betreffen. Der BND hatte bereits Teilfragen während des Verfahrens beantwortet; nähere Informationen und die Daten der Einzelgespräche würden die Gegenstände einzelner Recherchetätigkeiten individualisieren (RdNr. 42). Da J bereits einige Informationen erhalten hat und noch erhalten wird, überwiegen hinsichtlich der Einzelgespräche die Interessen der Medienvertreter. Ergebnis: Die Klage des J auf Auskunftserteilung ist zulässig und - soweit sie die Kennenlerntreffen (beteiligte Medienvertreter und Anlass der Treffen) betrifft - begründet, hinsichtlich der Einzeltreffen aber unbegründet. Entscheidungen mit solchen „geteilten“ Ergebnissen sind bei Klausurerstellern sehr beliebt.

12. Der verfassungsrechtliche Auskunftsanspruch der Presse ist voraussetzungslos.

Nein!

Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs sind: (1) die Geltendmachung bei der zuständigen Stelle (2)mit einem hinreichend bestimmten Antrag (RdNr. 22). (3) Die Information muss bei der verpflichteten Behörde vorhanden sein und (4) es dürfen dem Anspruch keine schutzwürdigen Interessen Privater entgegenstehen (RdNr. 18). Bestehen gegenläufige private Interessen, muss die Behörde diese mit der Pressefreiheit abwägen und nur bei Überwiegen der Pressebelange die Auskunft erteilen.
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