Zivilrechtliche Nebengebiete

Internationales Privatrecht

Einführung IPR

Vorfrage bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts

Vorfrage bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 18-jährige A aus Deutschland verkauft dem 17-jährigen B, der in X lebt, eine Uhr. In X ist man bereits mit 16 voll geschäftsfähig. Ansonsten entspricht es vollständig dem deutschen Recht. A fragt ein deutsches Gericht, ob er von B den Kaufpreis verlangen kann.

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Einordnung des Falls

Vorfrage bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei vertraglichen Schuldverhältnisse ist die Rom I-VO einschlägig (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO).

Ja, in der Tat!

Der sachliche Anwendungsbereich der Rom I-VO umfasst Zivil- und Handelssachen. Ferner findet sie nur auf vertragliche Schuldverhältnisse Anwendung. Bereichsausnahmen finden sich in Art. 2 Abs. 2 Rom I-VO. Beim vorliegenden Sachverhalt geht es um einen Kaufvertrag, also ein vertragliches Schuldverhältnis. Der sachliche Anwendungsbereich ist eröffnet.
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2. Auch der räumlich-persönliche und der zeitliche Anwendungsbereich der Rom I-VO ist eröffnet.

Ja!

Die Rom I-VO gilt in allen Mitgliedsstaaten unabhängig davon, woher die Parteien stammen für grenzüberschreitende Sachverhalte (räumlich-persönlicher Anwendungsbereich). Die VO gilt ab dem 17.12.2009 (zeitlicher Anwendungsbereich, Art. 28 Rom I-VO). Es liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt innerhalb eines Mitgliedstaats (Deutschland) vor.  Mangels entgegenstehenden Angaben ist davon auszugehen, dass auch der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Der Anwendungsbereich der Rom I-VO ist somit eröffnet.

3. Das auf den Vertrag anwendbare Recht richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Art. 19 Rom I-VO) des Käufers (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Wenn die Parteien subjektiv keine Rechtswahl getroffen haben, richtet sich das anwendbare Recht nach dem sog. objektiven Vertragsstatut. In der Rom I-VO finden sich die Grundregeln hierfür in Art. 4 Rom I-VO. Hier finden sich Anknüpfungsregeln für die gängigsten Vertragstypen. Es liegt hier keine Rechtswahl vor, sodass eine passende Vorschrift in Art. 4 Abs. 1 zu suchen ist. Diese findet sich in lit. a. Hiernach ist an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers anzuknüpfen. As gewöhnlicher Aufenthalt ist in Deutschland. Wir werden also ins deutsche Recht verwiesen. Die Rom I-VO nimmt eine Sachnormverweisung vor (Art. 20 Rom I-VO), sodass direkt das deutsche Kaufrecht anzuwenden ist (§§ 433ff. BGB).

4. Nach deutschem Recht kann A von B den Kaufpreis verlangen, wenn ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt (§ 433 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Voraussetzung für den Kaufpreiszahlungsanspruch ist ein wirksamer (Kauf-)Vertrag. Ein solcher kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen von zwei geschäftsfähigen Parteien zustande. A und B haben zwei übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben. Allerdings ist B erst 17 und nach deutschem Recht nur beschränkt geschäftsfähig. Es stellt sich also die Frage der Geschäftsfähigkeit einer Partei. Dies ist im Rahmen einer sog. Vorfrage zu klären.

5. Da hinsichtlich des Kaufvertrages auf deutsches Recht verwiesen wurde, wird automatisch auch die Frage der Wirksamkeit des Vertragsschlusses nach deutschem Recht geprüft.

Nein!

Im Rahmen der Prüfung des Sachrechts, auf welches verwiesen wurde, gibt es häufig auch Fragen bezüglich der rechtlichen Voraussetzungen der Sachnorm. Solche Voraussetzungen dürfen nicht einfach nach derselben Rechtsordnung beurteilt werden. Die Anwendbarkeit der entsprechenden Rechtsordnung wurde nur für einen spezifischen Bereich bestimmt (hier: vertragliches Schuldverhältnis). Das anwendbare Recht muss für jede einzelne Voraussetzung gesondert geprüft werden. Hier ist also eine komplett neue IPR-Prüfung anzustellen. Nach h.M. geschieht dies nach dem IPR des angerufenen Staats (= lex fori).  Es handelt sich also um eine sog. selbstständige Anknüpfung.

6. Die Frage, nach welchem Recht die Geschäftsfähigkeit des B zu beurteilen ist, beantwortet Art. 7 Abs. 2 S. 1 EGBGB.

Genau, so ist das!

Internationales Recht regelt die Frage der Geschäftsfähigkeit nicht. Deshalb ist auf das EGBGB zurückzugreifen. Hier findet sich die einschlägige Norm in Art. 7 EGBGB. Hiernach unterliegt die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit einer Person dem Recht des Staates, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.. B hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat X. Demnach richtet sich die Geschäftsfähigkeit nach dem Recht des Staates X. Laut Sachverhalt ist man in X - anders als in Deutschland - bereits mit 16 Jahren voll geschäftsfähig. B konnte deshalb mit A einen wirksamen Vertrag schließen. Einer Genehmigung durch die Eltern oder ähnliches bedurfte es nicht.Zum 1.1.2023 wurde Art. 7 EGBGB geändert. Zuvor knüpfte die Geschäftsfähigkeit nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt, sondern an die Staatsangehörigkeit an (Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F.).

7. A kann also von B den Kaufpreis verlangen (§ 433 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Verkäufer kann von dem Käufer dem Kaufpreis nach § 433 Abs. 2 BGB verlangen, wenn ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt und deutsches Recht auf diesen anwendbar ist. Wir haben bereits festgestellt, dass auf den Kaufvertrag deutsches Recht anwendbar ist. Auch ein wirksamer Vertrag liegt vor, da B nach dem Recht von X geschäftsfähig ist. A kann somit von B den Kaufpreis verlangen. Einer Korrektur dieses Ergebnisses durch den ordre public-Vorbehalt (Art. 26 Rom I-VO) bedarf es nicht.
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