Was ist der ordre Public?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B sind Staatsangehörige von X, einem streng religiösen Land. Dort heiraten sie 2013. 2015 beendet A in X die Ehe durch eine Verstoßung. Damit ist B einverstanden. Seit 2016 lebt B in Deutschland, A in X. B will nun M heiraten.  
(Durch eine Verstoßung kann der Mann die Ehe in X rechtskräftig beenden. Frauen können die Ehe nicht beenden.)

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Einordnung des Falls

Was ist der ordre Public?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Heirat von B und M könnte das Verbot der Mehrfachehe entgegenstehen (§ 1306 BGB, § 172 StGB).

Ja, in der Tat!

In Deutschland ist es nicht möglich, eine neue Ehe einzugehen, wenn zwischen einer Person und einer dritten Person bereits eine Ehe oder Lebenspartnerschaft besteht. Mangels anderweitigen Angaben ist davon auszugehen, dass B und M in Deutschland nach deutschem Recht heiraten wollen. A hatte aber zuvor schon B geheiratet. Sie haben sich auf eine dem deutschen Recht unbekannte Weise getrennt, sodass die Frage besteht, ob diese Scheidung auch in Deutschland anerkannt ist. Ist sie das nicht, steht dem Eingehen der Ehe zwischen B und M das Verbot der Mehrfachehe entgegen.
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2. Nach Art. 8 lit. c Rom III-VO ist das Recht des Staates X anzuwenden, sodass die Trennung rechtswirksam wäre. Müssen deutsche Gerichte das Ergebnis der Anwendung einer fremden Rechtswahl immer akzeptieren?

Nein!

Die Anwendung von ausländischem Recht kann natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, als sie bei der Anwendung deutschen Rechts vorgelegen hätten. Verstößt das andere Ergebnis aber erheblich gegen die Wertvorstellungen des angerufenen Gerichts, kann dieses Ergebnis in Ausnahmefällen entsprechend des ordre public-Vorbehalt „korrigiert“ werden. In Deutschland erfolgt dies insbesondere bei erheblichen Widersprüchen mit den Wertungen unseres Grundgesetzes. Zudem muss ein starker Bezug zum Staat des angerufenen Gerichts bestehen.

3. Verstößt die Auflösung der Ehe durch Verstoßung hier gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Verstößt das Ergebnis des ermittelten Rechts erheblich gegen die Wertvorstellungen des angerufenen Gerichts, kann dieses unter dem ordre public-Vorbehalt korrigiert werden. Zudem muss ein starker Bezug zum Staat des angerufenen Gerichts bestehen. Die einseitige Scheidung durch Verstoßung verstößt im Grundsatz gegen die Wertungen des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 S. 1 GG, eventuell Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG). Allerdings ist der Vorbehalt eine Ergebniskorrektur und keine Korrektur des Wegs. B war mit der Scheidung einverstanden und will nun sogar neu heiraten. Sie hätte einen Nachteil, wenn man die Scheidung für rechtswidrig und die Ehe noch als wirksam erachten würde. Zudem liegt hier eine Scheidung in einem fremden Land durch fremde Staatsangehörige vor. Es fehlt also auch am starken Inlandsbezug. Es bleibt also bei dem Ergebnis der rechtswirksamen Scheidung. B kann M heiraten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAT

Matschegenga

23.5.2024, 11:44:45

Art. 10 Rom III-VO verbietet die Anwendung materiellen Rechts, das einen der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit bzgl. des Zugangs zur Ehescheidung benachteiligt. Wäre diese Norm hier nicht zu berücksichtigen?

Paulah

Paulah

19.6.2024, 22:47:57

Art. 10 Rom III-VO würde meiner Meinung nach nur greifen, wenn die Scheidung noch nicht erfolgt wäre. In dem Fall geht es ja um die Anerkennung der bereits erfolgten Scheidung.


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