Funktionen des Formzwangs

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der vermögenslose Kreuzfahrer K möchte ein Grundstück mit Blick auf den Rhein erwerben. Unüberlegt schließt K mündlich mit V einen Kaufvertrag über ein Grundstück zum Preis von €300.000. V verlangt nun von K €400.000. K erfährt, dass das Grundstück mit einer Sicherheit belastet ist.

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Einordnung des Falls

Funktionen des Formzwangs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K und V konnten den Vertrag über den Kauf des Grundstücks mündlich schließen.

Nein, das trifft nicht zu!

Rechtsgeschäfte können grundsätzlich formfrei abgeschlossen werden. Es gilt der Grundsatz der Formfreiheit. Ein Rechtsgeschäft bedarf dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz ein Formerfordernis vorsieht oder die Parteien eine bestimmte Form vereinbaren (§ 127 BGB). Gegenstand der Einigung zwischen V und K ist ein Grundstückskauf. Damit handelt es sich um einen Vertrag, der V zur Übertragung und K zum Erwerb des Grundstücks verpflichtet. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB sieht in diesem Fall die notarielle Beurkundung vor (§128 BGB). Die Rechtsfolge der fehlenden notariellen Beurkundung ist die Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 S. 1 BGB).
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2. Eine notarielle Beurkundung hätte den K vor der leichtsinnigen Erklärung über den Grundstückskauf geschützt.

Ja!

Ein Formzwang kann die Warnfunktion beinhalten. Die Warnfunktion schützt den Erklärenden vor einer übereilten Bindung. Durch das Formerfordernis soll der Erklärende sich der Bedeutung seiner Erklärung bewusst und zum Nachdenken veranlasst werden. Eine mündliche Erklärung hingegen kann schneller und unüberlegter ausgesprochen werden. Das gesetzliche Formerfordernis greift bei besonders bedeutsamen und riskanten Rechtsgeschäften. Die Warnfunktion bezwecken etwa die Formvorschriften im Rahmen der Schenkung (§ 518 Abs. 1 BGB) oder Grundstückskaufverträgen (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB). K ist vermögenslos und hat nicht ausreichend Geld zur Verfügung, um ein Grundstück zum Preis von €300.000 zu erwerben. Der Gang zum Notar und die schriftliche Niederlegung hätte ihm die Bedeutung des Rechtsgeschäfts vor Augen geführt.

3. Mangels schriftlicher Dokumentation besteht für K grundsätzlich die Gefahr, dass er den vereinbarten Preis von €300.000 nicht beweisen kann.

Genau, so ist das!

Durch das Formerfordernis wird der Abschluss und der Inhalt des Rechtsgeschäfts manifestiert. Durch diesen Beweis werden zukünftige Streitigkeiten und Unsicherheiten im Hinblick auf das infrage stehende Rechtsgeschäft vermieden. Diese Funktion wird als Beweisfunktion bezeichnet. Als Beispiel kann das Schriftformerfordernis im Mietrecht herangezogen werden (§ 550 BGB). Eine schriftliche Niederlegung hätte zu Rechtssicherheit und -klarheit hinsichtlich des Kaufpreises herbeigeführt. K würde nicht in Beweisnot gelangen.

4. Der Notar hätte K über die Risiken der Belastung des Grundstücks aufgeklärt.

Ja, in der Tat!

Ein Formerfordernis kann über eine Beratungsfunktion verfügen. Die Belehrungsfunktion stellt die sachkundige Beratung der beteiligten Parteien vor Abschluss des Rechtsgeschäfts sicher. Diese Funktion kommt insbesondere immer dann in Betracht, wenn das Formerfordernis in der notariellen Beurkundung besteht. Grund dafür ist § 17 Abs. 1 BeurkG. Danach ist der Notar insbesondere verpflichtet, auf Gefahren hinzuweisen und den Beteiligten die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu verdeutlichen. Der Notar ist verpflichtet, den K über die rechtliche Tragweite des Grundstückserwerbs mit einer Sicherheit zu informieren (§ 17 Abs. 1 BeurkG).

5. Die notarielle Beurkundung des Kaufvertrages zwischen K und V hätte eine Kontrollfunktion bezweckt.

Nein!

Als weitere Funktion kommt die Kontrollfunktion in Betracht. Ein Formerfordernis kann den Zweck verfolgen, eine behördliche Kontrolle des vorgenommenen Rechtsgeschäfts zu gewährleisten. Das Bedürfnis nach Kontrolle kann im Interesse der Allgemeinheit oder der Beteiligten liegen. Die Kontrollfunktion verfolgte beispielsweise früher das Schriftformerfordernis bei wettbewerbsbeschränkenden Abreden (§ 34 GWB a.F.). Den Kartellbehörden sollte dadurch eine kartellrechtliche Prüfung ermöglicht werden. Für das Bedürfnis nach einer behördlichen Kontrolle ergeben sich keine Anhaltspunkte.Das Schriftformerfordernis in § 34 GWB a.F. ist zum 1.1.1999 weggefallen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

30.3.2021, 08:27:22

Der Fall verdeutlicht die Funktionen der notariellen Beurkundung wirklich super! 😊

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

31.3.2021, 17:29:30

Vielen Dank!

Isabell

Isabell

13.5.2021, 15:34:13

Da es gar nicht erst zum Vertragsschluss kam, muss doch K gar nicht erst die tatsächliche Höhe des Kaufpreises beweisen, oder habe ich einen Denkfehler?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

13.5.2021, 17:54:00

Der Vertrag könnte durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch geheilt werden und damit gültig werden, § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB. Wenn das passiert, hätte K mE ein Problem: Der mündlich geschlossene Vertrag würde mit dem gesamten Inhalt (incl. Preis) wirksam werden. Zur Beweislast: Der Verkäufer hat grundsätzlich - wenn er einen Kaufpreisanspruch geltend macht - zu beweisen, in welche Höhe dieser vereinbart wurde. Demgegenüber hat der Käufer Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis zu seinen Gunsten beeinflussen. Vgl. BGH, U. v. 13.07.1983 - AZ.: VIII ZR 107/82. Insofern hätte K mE in einem Prozess darzulegen, dass als Preis tatsächlich nur EUR 300.000 vereinbart wurde.

Isabell

Isabell

13.5.2021, 21:50:00

Das sind ganz schön viele "wenns", die in diesem zu beurteilenden Sachverhalt nicht vorkommen 😅 Trotzdem danke für's weiterspinnen. Würde in der Praxis dann wohl eine non liquet Entscheidung werden, denn demjenigen, der plötzlich mehr fordert, fehlt es ja genauso an dem Beweis für den von ihm aufgerufenen Preis.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

13.5.2021, 23:20:25

Klar, vorliegend gab es nur die mündliche Vereinbarung und mehr nicht. Insofern ist der Vertrag nicht formgerecht und damit unwirksam. Ich wollte nur meine Gedanken loswerden, falls es doch zu einer Heilung (in Zukunft) kommen würde 😇

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.5.2021, 15:04:24

Hallo Isabell, Du hast natürlich recht, dass die "Beweisfunktion" der notariellen Beurkundung hier nicht ganz so relevant ist, da mangels Vorliegen eines wirksamen Vertrages V den Kaufpreis ohnehin nicht einfordern kann. Du unterliegst insofern keinem Denkfehler :D. Wenn wir aber Tigerwitsch's Ansatz weiterverfolgen und neben der erfolgten Auflassung auch noch zwei unabhängige Zeugen Y+Z hinzudichten, die glaubhaft vor Gericht lügen und einen Vertragsschluss über 400.000 € bezeugen, dann läge keine non-liquet Situation mehr vor (also ein Zustand, in dem keiner der beiden Tatsachenvorträge bewiesen werden kann) und K würde möglicherweise tatsächlich zur Zahlung des falschen Kaufpreises verurteilt. Ich gebe aber zu, dass die in der Frage angedeutete Gefahr ohne diese zusätzlichen Umstände nur bedingt vorhanden ist :-). Um die Funktionen der notariellen Beurkundung aber weiterhin vollständig abzubilden, würden wir die Frage dennoch im Wesentlichen beibehalten und nur um ein "grundsätzlich" ergänzen. Dadurch wird dann vielleicht noch etwas deutlicher, dass es bei der Beantwortung nicht darauf ankommt, ob es vorliegend überhaupt notwendig ist, dass K den Preis beweisen kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

20.5.2021, 15:12:32

Danke dir für die ausführliche Antwort. Das lässt sich dann mit Bild bestimmt klarer darstellen 😀

MI

Milo

3.6.2021, 13:54:30

Bankrott ist eine Insolvenzstraftat gemäß § 283 StGB und sollte nicht umgangssprachlich als Synonym einer Insolvenz verwendet werden.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.6.2021, 23:36:04

Danke Milo, wir haben das nun ersetzt :) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

N€olib€ral

N€olib€ral

5.8.2021, 10:09:25

Kommt hier keine Kontrollfunktion in Bezug auf die Steuer

behörde

n (Grunderwerbsteuer) in Betracht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.1.2022, 19:31:18

Hallo Neoliberal, die Formvorschriften des BGB dienen in erster Linie der Warnung, Beweissicherung und Kontrolle. Mittelbar besteht hierüber letztlich aber tatsächlich auch eine Kontrollfunktion. Denn nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sind Notare verpflichtet dem Finanzamt über beurkundete Grundstückskaufverträge schriftlich Anzeige zu geben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

11.5.2022, 08:30:31

Ich kann in 34 GWB kein Schriftformerfordernis finden. Liegt es an mir oder wurde hier die falsche Norm angegeben?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2022, 10:54:57

Hallo QuiGonTim, vielen Dank für den Hinweis! Das war leicht missverständlich. § 34 GWB a.F. wird gerne als Beispiel herangezogen. Das Schriftformerfordernis ist aber bereits zum 1.1.1999 außer Kraft getreten. Ein Beispiel aus heutiger Zeit wäre zB § 83 Abs. 2 WpHG, also die Pflicht die Rahmenvereinbarung zwischen Kreditinstitut und Kunde schriftlich zu dokumentieren, um den Aufsichts

behörde

n die Prüfung zu ermöglichen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

11.5.2022, 08:34:01

Hat das Formerfordernis für die Auflassung, 925 Abs. 1 S. 1 BGB, eine Kontrollfunktion? Schließlich hat die Allgemeinheit aus vielfältigen Gründen ein Interesse daran, zu wissen, wer Eigentümer eines Grundstücks ist.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2022, 11:04:03

Hallo QuiGonTIm, die Formvorschrift der Auflassung hat auch nur Warn-, Beratungs-, und Belehrungsfunktion (vgl. Ruhwinkel, in: MüKo-BGB, 8.A. 2020, § 925 RdNr. 1). Eine darüber hinausgehende Kontrollfunktion geht damit nicht einher. Die Allgemeinheit kann die EIgentümerstellung ja direkt aus dem Grundbuch ablesen. Ohne Eintragung ist ein Eigentümerwechsel nicht wirksam (vgl. § 873 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CLA

Constantin Lammert

11.9.2024, 09:31:21

Mich verwirrt die Verwendung des Begriffes "unzweideutig". Und zwar frage ich mich inwieweit sprachliche Spitzfindigkeiten, wie semantische Diskussionen eine Rolle bei der Auslegung des Gesetzes spielen? denn ironischerweise ist unzweideutig an zweideutiger Begriff, der einerseits eindeutig bedeuten kann - was wohl der gängigen Verwendung des Begriffes entspricht und andererseits jede "n-Deutigkeit" die nicht zweideutig ist bezeichnen kann was Mehrdeutigkeiten mit n > 2 einschliesst. Die vorliegende Norm regelt nun zwar die Pflichten eines Notars und somit ist dies nicht das beste Beispiel für meine Frage. Aber angenommen, ein Laie oder eine andere juristisch schlecht gebildete Person versucht das Gesetz auszulegen und handelt auf dieser Grundlage auf eine gewisse Art und Weise in einem Irrtum. Ich gehe davon aus, dass man natürlich auch den Zweck der berücksichtigen wird (telelogische Auslegung). Welche anderen Arten der Auslegung gibt es denn noch und gibt es Faustregeln oder Heuristiken über den Vorrang gewisser Methoden der Auslegung?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

28.10.2024, 11:40:51

Hallo @[Constantin Lammert](217017), das sind größtenteils sehr breitgefächerte Fragen, die wir leider weder für ein bestimmtes Rechtsgebiet noch für Auslegungsfragen im Allgemeinen vernünftig beantworten können, jedenfalls nicht in einem Forumspost. Ebenso wenig macht es mE Sinn, hier eine abstrakte Abhandlung zur Auslegung von Gesetzen zu posten. Dafür gibt es neben den Einführungsvorlesungen an den Unis ua Aufsätze (zB Bäcker, JuS 2019, 321) und Lehrbücher (zB Möller, Juristische Methodenl

ehre

, 5. Aufl 2023), auf die ich Dich bei vertieftem Interesse verweisen möchte. Falls Du konkretere Fragen hast, können wir darüber natürlich gerne diskutieren. Hier nur in aller Kürze: Natürlich können sprachliche Besonderheiten und auch "Spitzfindigkeiten" im Zuge der grammatikalischen Auslegung eine Rolle spielen. Der Wortlaut ist daher meist ein recht offensichtlicher und gerade für Prüfungsarbeiten mit unbekannten Normen gut geeigneter Argumentationsansatz. IRe vertieften wissenschaftlichen Argumentation und Diskussion ist er aber meist nicht das stärkste Argument, weil sich zB herausstellen kann, dass der Gesetzgeber nicht sorgfältig formuliert hat oder sich im Zusammenspiel mit den anderen Auslegungsmethoden ergibt, dass etwas anderes gemeint sein muss. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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