Funktionen des Formzwangs
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der vermögenslose Kreuzfahrer K möchte ein Grundstück mit Blick auf den Rhein erwerben. Unüberlegt schließt K mündlich mit V einen Kaufvertrag über ein Grundstück zum Preis von €300.000. V verlangt nun von K €400.000. K erfährt, dass das Grundstück mit einer Sicherheit belastet ist.
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Einordnung des Falls
Funktionen des Formzwangs
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V konnten den Vertrag über den Kauf des Grundstücks mündlich schließen.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Eine notarielle Beurkundung hätte den K vor der leichtsinnigen Erklärung über den Grundstückskauf geschützt.
Ja!
3. Mangels schriftlicher Dokumentation besteht für K grundsätzlich die Gefahr, dass er den vereinbarten Preis von €300.000 nicht beweisen kann.
Genau, so ist das!
4. Der Notar hätte K über die Risiken der Belastung des Grundstücks aufgeklärt.
Ja, in der Tat!
5. Die notarielle Beurkundung des Kaufvertrages zwischen K und V hätte eine Kontrollfunktion bezweckt.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
TeamRahad 🧞
30.3.2021, 08:27:22
Der Fall verdeutlicht die Funktionen der notariellen Beurkundung wirklich super! 😊
Christian Leupold-Wendling
31.3.2021, 17:29:30
Vielen Dank!
Isabell
13.5.2021, 15:34:13
Da es gar nicht erst zum Vertragsschluss kam, muss doch K gar nicht erst die tatsächliche Höhe des Kaufpreises beweisen, oder habe ich einen Denkfehler?
Tigerwitsch
13.5.2021, 17:54:00
Der Vertrag könnte durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch geheilt werden und damit gültig werden, § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB. Wenn das passiert, hätte K mE ein Problem: Der mündlich geschlossene Vertrag würde mit dem gesamten Inhalt (incl. Preis) wirksam werden. Zur Beweislast: Der Verkäufer hat grundsätzlich - wenn er einen Kaufpreisanspruch geltend macht - zu beweisen, in welche Höhe dieser vereinbart wurde. Demgegenüber hat der Käufer Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis zu seinen Gunsten beeinflussen. Vgl. BGH, U. v. 13.07.1983 - AZ.: VIII ZR 107/82. Insofern hätte K mE in einem Prozess darzulegen, dass als Preis tatsächlich nur EUR 300.000 vereinbart wurde.
Isabell
13.5.2021, 21:50:00
Das sind ganz schön viele "wenns", die in diesem zu beurteilenden Sachverhalt nicht vorkommen 😅 Trotzdem danke für's weiterspinnen. Würde in der Praxis dann wohl eine non liquet Entscheidung werden, denn demjenigen, der plötzlich mehr fordert, fehlt es ja genauso an dem Beweis für den von ihm aufgerufenen Preis.
Tigerwitsch
13.5.2021, 23:20:25
Klar, vorliegend gab es nur die mündliche Vereinbarung und mehr nicht. Insofern ist der Vertrag nicht formgerecht und damit unwirksam. Ich wollte nur meine Gedanken loswerden, falls es doch zu einer Heilung (in Zukunft) kommen würde 😇
Lukas_Mengestu
20.5.2021, 15:04:24
Hallo Isabell, Du hast natürlich recht, dass die "Beweisfunktion" der notariellen Beurkundung hier nicht ganz so relevant ist, da mangels Vorliegen eines wirksamen Vertrages V den Kaufpreis ohnehin nicht einfordern kann. Du unterliegst insofern keinem Denkfehler :D. Wenn wir aber Tigerwitsch's Ansatz weiterverfolgen und neben der erfolgten Auflassung auch noch zwei unabhängige Zeugen Y+Z hinzudichten, die glaubhaft vor Gericht lügen und einen Vertragsschluss über 400.000 € bezeugen, dann läge keine non-liquet Situation mehr vor (also ein Zustand, in dem keiner der beiden Tatsachenvorträge bewiesen werden kann) und K würde möglicherweise tatsächlich zur Zahlung des falschen Kaufpreises verurteilt. Ich gebe aber zu, dass die in der Frage angedeutete Gefahr ohne diese zusätzlichen Umstände nur bedingt vorhanden ist :-). Um die Funktionen der notariellen Beurkundung aber weiterhin vollständig abzubilden, würden wir die Frage dennoch im Wesentlichen beibehalten und nur um ein "grundsätzlich" ergänzen. Dadurch wird dann vielleicht noch etwas deutlicher, dass es bei der Beantwortung nicht darauf ankommt, ob es vorliegend überhaupt notwendig ist, dass K den Preis beweisen kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Isabell
20.5.2021, 15:12:32
Danke dir für die ausführliche Antwort. Das lässt sich dann mit Bild bestimmt klarer darstellen 😀
Milo
3.6.2021, 13:54:30
Bankrott ist eine Insolvenzstraftat gemäß § 283 StGB und sollte nicht umgangssprachlich als Synonym einer Insolvenz verwendet werden.
Lukas_Mengestu
8.6.2021, 23:36:04
Danke Milo, wir haben das nun ersetzt :) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
N€olib€ral
5.8.2021, 10:09:25
Lukas_Mengestu
7.1.2022, 19:31:18
Hallo Neoliberal, die Formvorschriften des BGB dienen in erster Linie der Warnung, Beweissicherung und Kontrolle. Mittelbar besteht hierüber letztlich aber tatsächlich auch eine Kontrollfunktion. Denn nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sind Notare verpflichtet dem Finanzamt über beurkundete Grundstückskaufverträge schriftlich Anzeige zu geben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
11.5.2022, 08:30:31
Ich kann in 34 GWB kein Schriftformerfordernis finden. Liegt es an mir oder wurde hier die falsche Norm angegeben?
Lukas_Mengestu
11.5.2022, 10:54:57
Hallo QuiGonTim, vielen Dank für den Hinweis! Das war leicht missverständlich. § 34 GWB a.F. wird gerne als Beispiel herangezogen. Das Schriftformerfordernis ist aber bereits zum 1.1.1999 außer Kraft getreten. Ein Beispiel aus heutiger Zeit wäre zB § 83 Abs. 2 WpHG, also die Pflicht die Rahmenvereinbarung zwischen Kreditinstitut und Kunde schriftlich zu dokumentieren, um den Aufsichts
behörden die Prüfung zu ermöglichen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
11.5.2022, 08:34:01
Hat das Formerfordernis für die Auflassung, 925 Abs. 1 S. 1 BGB, eine Kontrollfunktion? Schließlich hat die Allgemeinheit aus vielfältigen Gründen ein Interesse daran, zu wissen, wer Eigentümer eines Grundstücks ist.
Lukas_Mengestu
11.5.2022, 11:04:03
Hallo QuiGonTIm, die Formvorschrift der Auflassung hat auch nur Warn-, Beratungs-, und Belehrungsfunktion (vgl. Ruhwinkel, in: MüKo-BGB, 8.A. 2020, § 925 RdNr. 1). Eine darüber hinausgehende Kontrollfunktion geht damit nicht einher. Die Allgemeinheit kann die EIgentümerstellung ja direkt aus dem Grundbuch ablesen. Ohne Eintragung ist ein Eigentümerwechsel nicht wirksam (vgl. § 873 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Constantin Lammert
11.9.2024, 09:31:21
Mich verwirrt die Verwendung des Begriffes "unzweideutig". Und zwar frage ich mich inwieweit sprachliche Spitzfindigkeiten, wie semantische Diskussionen eine Rolle bei der Auslegung des Gesetzes spielen? denn ironischerweise ist unzweideutig an zweideutiger Begriff, der einerseits eindeutig bedeuten kann - was wohl der gängigen Verwendung des Begriffes entspricht und andererseits jede "n-Deutigkeit" die nicht zweideutig ist bezeichnen kann was Mehrdeutigkeiten mit n > 2 einschliesst. Die vorliegende Norm regelt nun zwar die Pflichten eines Notars und somit ist dies nicht das beste Beispiel für meine Frage. Aber angenommen, ein Laie oder eine andere juristisch schlecht gebildete Person versucht das Gesetz auszulegen und handelt auf dieser Grundlage auf eine gewisse Art und Weise in einem Irrtum. Ich gehe davon aus, dass man natürlich auch den Zweck der berücksichtigen wird (telelogische Auslegung). Welche anderen Arten der Auslegung gibt es denn noch und gibt es Faustregeln oder Heuristiken über den Vorrang gewisser Methoden der Auslegung?
Sebastian Schmitt
28.10.2024, 11:40:51
Hallo @[Constantin Lammert](217017), das sind größtenteils sehr breitgefächerte Fragen, die wir leider weder für ein bestimmtes Rechtsgebiet noch für Auslegungsfragen im Allgemeinen vernünftig beantworten können, jedenfalls nicht in einem Forumspost. Ebenso wenig macht es mE Sinn, hier eine abstrakte Abhandlung zur Auslegung von Gesetzen zu posten. Dafür gibt es neben den Einführungsvorlesungen an den Unis ua Aufsätze (zB Bäcker, JuS 2019, 321) und Lehrbücher (zB Möller, Juristische Methodenl
ehre, 5. Aufl 2023), auf die ich Dich bei vertieftem Interesse verweisen möchte. Falls Du konkretere Fragen hast, können wir darüber natürlich gerne diskutieren. Hier nur in aller Kürze: Natürlich können sprachliche Besonderheiten und auch "Spitzfindigkeiten" im Zuge der grammatikalischen Auslegung eine Rolle spielen. Der Wortlaut ist daher meist ein recht offensichtlicher und gerade für Prüfungsarbeiten mit unbekannten Normen gut geeigneter Argumentationsansatz. IRe vertieften wissenschaftlichen Argumentation und Diskussion ist er aber meist nicht das stärkste Argument, weil sich zB herausstellen kann, dass der Gesetzgeber nicht sorgfältig formuliert hat oder sich im Zusammenspiel mit den anderen Auslegungsmethoden ergibt, dass etwas anderes gemeint sein muss. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team