Klimaprotest: Festkleben auf Straße als strafbare Nötigung?


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klimaprotest

Aktivistin A klebt sich spontan mit zwei Mitstreitern mit Sekundenkleber auf die beiden Fahrbahnen der Abfahrt der Bundesautobahn 100 in Berlin. Pkws können die Straße nun nicht mehr passieren, ohne sie zu überfahren. Notgedrungen halten die Autofahrer an. Nach 1,5 Stunden beenden Polizisten die Blockade.

Einordnung des Falls

Klimaprotest: Festkleben auf Straße als strafbare Nötigung?

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer NRW 2024
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2024
Examenstreffer Mecklenburg-Vorpommern 2024

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 19 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem sich A festgeklebt hat, könnte sie sich der Nötigung zulasten der Autofahrer der ersten Reihe nach § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

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Ja, in der Tat!

Der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) setzt voraus: (1) den Einsatz eines Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel), (2) einen Nötigungserfolg (Handlung, Duldung oder Unterlassung) und (3) den nötigungsspezifischen Zusammenhang zwischen (1) und (2).Geschütztes Rechtsgut der Nötigung ist nach h.M. die persönliche Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung.

2. Hat A gegenüber den Autofahrern der ersten Reihe Gewalt eingesetzt (§ 240 Abs. 1 StGB)?

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Nein!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Nach dem BVerfG ist eine Zwangswirkung auf Seiten des Opfers, die rein psychischer Natur ist, nicht ausreichend (sog. „vergeistigter“ Gewaltbegriff). Eine solche Begriffsauslegung verstoße gegen das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG). Bei einer Sitzblockade kommt es aus der Sicht des Täters nicht zu einer nennenswerten Entfaltung körperlicher Kraft. Dem Fahrer ist es zwar möglich, den Demonstranten zu überfahren. Er hält jedoch an, um diesen nicht zu verletzen. Indem A sich auf die Straße setzt, übt sie somit keinen körperlichen Zwang beim Führer des ersten Fahrzeugs aus. Es handelt sich dabei vielmehr um psychisch vermittelten Zwang.

3. Hat A gegenüber den Autofahrern der ersten Reihe gedroht (§ 240 Abs. 1 StGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt.Als angedrohtes Übel kommen hier die Unterbrechung der Weiterfahrt einerseits in Betracht; andererseits die - rechtlich und psychisch - nachteiligen Folgen des Überfahrens der A (also der Tötung eines Menschen). Ob und welche dieser Folgen eintreten, liegt aber nicht in der Hand der A. Dies ist vielmehr abhängig vom Verhalten der Fahrer (Anhalten oder Überfahren). Damit fehlt es A an dem notwendigen Einfluss auf das Eintreten des Übels. Somit hat sich A gegenüber den Fahrern der ersten Reihe nicht der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

4. Aufgrund der Blockade haben die Fahrer der ersten Reihe gegenüber den nachfolgenden Fahrern Gewalt ausgeübt.

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Ja, in der Tat!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Indem die Fahrer der ersten Reihe vor A anhielten, bildeten sie ein kaum zu überwindendes Hindernis für die nachfolgenden Fahrzeuge dar. Somit übten sie gegenüber den Fahrern der zweiten Reihe körperlichen Zwang und damit Gewalt aus (sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“). Durch das Unterlassen der Weiterfahrt ist auch ein kausaler Nötigungserfolg eingetreten.Der BGH hatte diese Rechtsprechung in den 1990ern entwickelt, nachdem das BVerfG den „vergeistigten Gewaltbegriff“ für verfassungswidrig erklärt hatte (BVerfG, NJW 1995, 1141). Die neue Rechtsprechung wurde mittlerweile vom BVerfG explizit gebilligt (BVerfG, NJW 2011, 3020).

5. Indem A die Fahrer der ersten Reihe zum Anhalten und damit der Blockade der nachfolgenden Fahrer bewegte, könnte sie sich der Nötigung in mittelbarer Täterschaft zulasten der Fahrer der zweiten Reihe strafbar gemacht haben (§§ 240 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB ).

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Ja!

Die mittelbare Täterin verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig. Sie bedient sich als „Hinterfrau“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird, um einen Straftatbestand zu verwirklichen. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ der Hinterfrau zugerechnet werden kann. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag der Hinterfrau, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes (deliktisches Minus) und (3) eine überlegene Stellung der Hinterfrau.Durch das Festkleben hat A einen eigenen Verursachungsbeitrag gesetzt. Fraglich ist, aber ob bei den Fahrern auch ein deliktisches Minus vorliegt, welches A ausnutzt.

6. Das BVerfG geht davon aus, dass die Fahrer der ersten Reihe gerechtfertigt handeln (§ 34 StGB) und damit ein deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit aufweisen.

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Genau, so ist das!

Die unterlegene Stellung des Vordermannes ergibt sich grundsätzlich daraus, dass bei diesem auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt.Die Fahrer der ersten Reihe müssen sich zwischen (a) der Verletzung von Leib und Leben der Blockierenden (Weiterfahrt) oder (b) der (kurzfristigen) Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit der nachfolgenden Fahrer (Anhalten) entscheiden. Da Leib und Leben klar überwiegen, besteht nach dem BVerfG eine Notstandslage nach § 34 StGB und damit ein deliktisches Defizit auf Ebene der Rechtswidrigkeit.Anders als das BVerfG hat der BGH (und auch das LG) es bislang vermieden, die Zweite-Reihe-Fälle explizit als Fälle der mittelbaren Täterschaft einzuordnen.

7. A hatte nach der modifizierten subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).

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Ja, in der Tat!

Nach der subjektiven Lehre (animus-Theorie) kommt es für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme auf die innere Einstellung der Beteiligten zur Tat an. Täter ist danach, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat als eigene will. Mittlerweile vertritt der BGH nur noch die modifizierte subjektive Theorie. Der subjektive „Täterwillen“ wird dabei unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte ermittelt (Umfang Tatbeteiligung, Interesse am Erfolg, Tatherrschaft).Im Hinblick auf das erhebliche Eigeninteresse an der Tat sowie den gewichtigen eigenen Tatbeitrag hatte A Täterwillen. Das BVerfG selbst ist in seiner Entscheidung (NJW 2011, 3020) auf die überlegene Stellung der Hinterfrau nicht näher eingegangen.

8. Auch nach der Tatherrschaftslehre kann hier die Zurechnung des Verhaltens der Autofahrer mit einem deliktischen Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit begründet werden.

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Nein!

Nach der Tatherrschaftslehre hat die Hinterfrau Tatherrschaft, wenn sie den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem sie den Strafbarkeitsmangel für ihre Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält. Bei einem deliktischen Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit verlangt die h.L. dabei aber, dass das Defizit kraft (strafbarer) Nötigung (überlegener Wille) oder kraft Irrtums (überlegenes Wissen) erzeugt wurde (vgl. Jäger, Kühl). Eine Nötigung nach § 240 StGB gegenüber den Autofahrern der ersten Reihe ist tatbestandlich nicht erfüllt. Auch liegt kein Wissensgefälle zwischen A und diesen vor. Stellt man insoweit allein auf den rechtfertigenden Notstand ab, so würde nach der Tatherrschaftslehre eine Zurechnung mangels beherrschender Stellung scheitern.

9. Scheidet nach der Tatherrschaftslehre damit eine Zurechnung des Verhaltens der Autofahrer insgesamt aus?

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Nein, das ist nicht der Fall!

In den Fällen des entschuldigenden Nötigungsnotstandes nach § 35 StGB (deliktisches Minus auf Schuldebene) verlangt die hL nicht, dass die Schwelle einer strafbaren Nötigung durch den Hintermann erreicht wird. Zwar hat die Tatmittler hier faktisch die Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsoptionen, allerdings nur um den Preis der Aufgabe eines gewichtigen Rechtsgutes. Das Gesetz spricht ihn somit von seiner Verantwortung frei. Diese trifft somit letztlich nur die Person, die diese Lage verursacht hat.Sofern der in der ersten Reihe befindliche Autofahrer seine Fahrt fortsetzt, droht ihm wegen der Verwirklichung der §§ 212, 224, 226 StGB ein Freiheitsentzug (mindestens durch vorläufige Festnahme, § 127 StPO). Dieser (psychische) Druck wurde von A erzeugt und beherrscht, sodass ihr jedenfalls insoweit das Verhalten der Fahrer in der ersten Reihe zurechenbar ist.

10. Eine strafbare (mittelbare) Nötigung durch A ist allerdings ausgeschlossen, wenn ihre Tat nicht als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs. 2 StGB).

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Ja, in der Tat!

Bei der Nötigung ist ausnahmsweise nicht bereits durch Verwirklichung des Tatbestandes die Rechtswidrigkeit indiziert. Die Rechtwidrigkeit muss vielmehr nach einer bewertenden Feststellung der Gesamttat positiv vorliegen. Auch wenn ein Rechtfertigungsgrund fehlt, ist die Tat nur dann rechtswidrig, wenn sie als verwerflich einzustufen ist. Die Verwerflichkeit der Gewaltanwendung oder der Androhung des Übels kann sich ergeben aus: • der Verwerflichkeit des Mittels, • der Verwerflichkeit des Zwecks oder • der verwerflichen Beziehung zwischen Mittel und Zweck (Zweck-Mittel-Relation).

11. Nach der Rechtsprechung des BGH sind Fernziele (zB Klimaschutz) bei Straßenblockaden als Zweck in der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen.

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Nein!

Der BGH hat in einem Grundsatzurteil 1988 (NJW 1988, 1739) explizit festgestellt, dass Fernziele von Straßenblockerern nicht bereits bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. (a) Aus der Struktur des § 240 StGB ergebe sich, dass der „Zweck“ in Abs. 2 StGB ausschließlich das unmittelbar in Abs. 1 gennante (Nah-)Ziel (Handeln, Dulden, Unterlassen) sein könne (Systematik). (b) Der Begriff „verwerflich“ biete keine Anhaltspunkte hinsichtlich des Maßstabes (Wortlaut). (c) Der Ausschluss der Rechtswidrigkeit knüpft allgemein an objektive Kriterien an. Fernziele seien dagegen rein subjektiv. (Systematik) (d) Es fehlen brauchbare, objektivierbare Bewertungsmaßstäbe für Fernziele, da insbesondere die politische Überzeugung keiner richterlichen Kontrolle unterzogen werden dürfe. (e) Gefahr der Radikalisierung politischer Auseinandersetzungen Hier lohnt sich einmal die Lektüre des Urteils im Original! Bis zu diesem Urteil hatten die Instanzgerichte bei Sitzblockaden mit Demonstrationscharakter eine strafbare Nötigung unter Verweis auf die fehlende Verwerflichkeit regelmäßig abgelehnt.

12. Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann bei Blockaden, die unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehen, jedenfalls der „Kommunikationszweck“ im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung berücksichtigt werden.

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Genau, so ist das!

Bereits 1986 befasste sich das BVerfG mit der Frage, ob Fernziele von Sitzblockaden bei der Verwerflichkeitsprüfung berücksichtigt werden müssten. Aufgrund unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten innerhalb des ersten Senates konnte das Gericht sich damals aber auf keine gemeinsame, verbindliche Linie einigen (NJW 1987, 43). In seiner vierten Sitzblockadeentscheidung hat sich das BVerfG 2001 dann aber zumindest dafür ausgesprochen, den Kommunikationszweck zu berücksichtigen.BVerfG: Die Verwerflichkeitsklausel sei ein Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Entsprechend müsse bereits an dieser Stelle der Rechtsgüterkonflikt zwischen der Freiheitsverletzung auf der einen Seite und der Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes auf der anderen Seite gelöst werden.Diesen Ansatz hat das BVerfG 2011 (NJW 2011, 3020) noch einmal bestätigt.Achtung: Auf die ethische Wertigkeit und Bedeutung des Fernziels kommt es aber weiterhin nicht an!

13. Handelt es sich bei As Blockade trotz des mittelbar ausgeübten Zwangs noch um eine „friedliche“ Versammlung, sodass der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit eröffnet ist (Art. 8 Abs. 1 GG)?

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Ja, in der Tat!

Die Unfriedlichkeit wird in der Verfassung auf einer gleichen Stufe wie das Mitführen von Waffen behandelt (Systematik!). Unfriedlich ist eine Versammlung daher erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden. Es genügt hierfür noch nicht, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, selbst wenn diese gewollt sind und nicht nur in Kauf genommen werden.An der Blockade nehmen drei Personen teil, die das gemeinsame Ziel haben, für mehr Klimaschutz zu werben. Die Sitzblockade verläuft rein passiv. Ungeachtet der gezielten Behinderung der Autofahrer liegt damit eine friedliche Versammlung vor.

14. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Nötigung stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar.

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Ja!

Nach dem (weiten) „modernen Eingriffsbegriff“ liegt ein Grundrechtseingriff vor, wenn eine staatliche Maßnahme ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht, sofern die Beeinträchtigung zurechenbar und von einigem Gewicht ist.Eine strafrechtliche Sanktionierung der Demonstration durch die Verurteilung wegen Nötigung würde eine abschreckende Wirkung entfalten und stellt damit einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit der A dar.

15. Der Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Gilt die Versammlungsfreiheit schrankenlos?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Demonstrationen unter freiem Himmel kann die Versammlungsfreiheit durch einfaches Gesetz beschränkt werden (Art. 8 Abs. 2 GG). Eine Versammlung unter freiem Himmel liegt vor, wenn die Versammlung nicht durch seitliche Begrenzungen von der Außenwelt abgetrennt ist.Die Blockade auf der Straße findet auf der öffentlich zugänglichen Straße statt. Mit dem Straftatbestand der Nötigung liegt eine verfassungskonforme Schrankenregelung vor. Eine Verurteilung dient der Sicherung der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit Dritter (legitimer Zweck) und stellt hierfür auch ein geeignetes und erforderliche Mittel dar.

16. Eine Bestrafung der A wegen Nötigung müsste auch angemessen sein (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn), damit die Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB bejaht werden kann.

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Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG müssen bei der Prüfung der Verwerflichkeit die kollidierenden Grundrechtspositionen miteinander abgewogen und in Einklang gebracht werden (praktische Konkordanz). Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem: • die Dauer und Intensität der Aktion, • deren vorherige Bekanntgabe, • Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, • die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch • der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand • Für die Verwerflichkeit spricht es ferner, wenn die Einschränkung Dritter nicht nur Nebenfolge, sondern zentrales Ziel ist. Wichtig: Eine inhaltliche Bewertung des verfolgten Demonstrationsziels darf seitens der Strafgerichte nicht erfolgen.

17. Nach Auffassung des LG Berlin überwiegen hier die Rechte der betroffenen Autofahrer gegenüber der Versammlungsfreiheit der A, sodass die Nötigung als verwerflich anzusehen ist.

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Ja!

Das AG Tiergarten hatte die Verwerflichkeit zunächst noch abgelehnt.Aufgrund der (1) Dauer der Blockade (1,5h), (2) der fehlenden vorherigen Bekanntgabe und (3) dem Umstand, dass es für die betroffenen Fahrer an Ausweichmöglichkeiten fehlte, folge ein erheblicher Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit. Zugunsten der A sei zwar zu berücksichtigen, dass die Blockade einen gewissen Sachbezug aufweise. Dieser sei aber gering, zumal sich der Protest nicht gezielt gegen den Immissionsausstoß von Kraftfahrzeugen, sondern gegen fehlende Maßnahmen der Politik zur Bekämpfung des globalen Klimawandels richte. Gegen den Protest spräche schließlich auch, dass die Beeinträchtigung der Autofahrer hiernicht als bloße Nebenfolge in Kauf genommen werde, sondern gezielt und absichtsvoll erfolge (RdNr. 28 ff.). Wie einzelfallabhängig die Prüfung der Verwerflichkeit ist, zeigt ein neuerer Beschluss des LG Berlin, in dem die Verwerflichkeit im Ergebnis verneint wurde (LG Berlin, Beschl. v. 31.05.2023 - 502 Qs 138/22).

18. As mittelbare Nötigung ist aber unter Berufung auf den Klimanotstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt.

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Neben der Verwerflichkeit musst Du auch bei der Nötigung an die allgemeinen Rechtfertigungsgründe denken. In einer Klausur solltest Du diese auch vor der Verwerflichkeit kurz prüfen (und ablehnen), da ein gerechtfertigtes Verhalten nicht verwerflich sein kann.Auch Allgemeinrechtsgüter sind grundsätzlich notstandsfähig. In den bisherigen instanzgerichtlichen Entscheidungen wurden Protestmaßnahmen bislang bereits als nicht „geeignet“ zur Abwendung des Klimawandels gesehen (aA vertretbar). Im Hinblick auf bestehende staatliche Verfahren (Petitionsrecht, Wahlrecht, Recht auf Parteigründung, Parteiunterstützung, Verfassungsbeschwerde) dürfte es jedenfalls an der Angemessenheit fehlen (vgl. Zimmermann/Griesar).

19. As mittelbare Nötigung ist aber unter Berufung auf den zivilen Ungehorsam (Art. 20 Abs. 4 GG) gerechtfertigt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Berufung auf den zivilen Ungehorsam (Art. 20 Abs. 4 GG) ist auf Situationen beschränkt ist, in denen die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht ist. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Friedenspflicht zu allen anderen Zeiten besteht.Da die grundgesetzliche Ordnung durch den Klimawandel nicht bedroht ist, kann sich A nicht auf die Rechtfertigung über den zivilen Ungehorsam berufen. A handelte somit rechtswidrig und auch schuldhaft. Damit hat sie sich der Nötigung in mittelbarer Täterschaft nach §§ 240 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht. Eine vertiefte Besprechung der weiteren Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit den Klimaprotesten anhand eines Urteils des OLG Celle findest Du: hier!

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