Grob unverständiger Versuch 6
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte ihren pflegebedürftigen Stiefvater O mit einer Baldrianpille vergiften. Sie will ihm die Pille vor dem Schlafengehen einwerfen. T vergreift sich jedoch und nimmt eine Glaslinse, die daneben liegt. O zerbeißt und verschluckt die Linse. Dabei stirbt er an inneren Blutungen.
Einordnung des Falls
Grob unverständiger Versuch 6
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat sich wegen Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
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Nein, das ist nicht der Fall!
2. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.
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Ja, in der Tat!
3. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.
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Ja!
4. T hat „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“, indem sie O die Glaslinse verabreicht hat.
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Genau, so ist das!
5. T handelte rechtswidrig und schuldhaft.
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Ja, in der Tat!
6. Es liegt ein grob unverständiger Versuch vor (§ 23 Abs. 3 StGB).
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Ja!
7. T ist wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) zu bestrafen.
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Genau, so ist das!
Fundstellen
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Toralf
21.2.2022, 07:36:14
Für mich stellt sich hier die Frage, wann die Grenze des groben Unverstands erreicht ist. Anhand der Grafik scheint es mir so, als hätte die grundsätzlich verständige T sich einfach vergriffen. Dass sie vorliegend grundsätzliche Kausalzusammenhänge nicht zu begreifen vermag geht mE zumindest nicht so eindeutig aus der Fallgestaltung hervor.

Lukas_Mengestu
21.2.2022, 18:01:34
Hi Toralf, der grobe Unverstand bezieht sich hier nicht generell auf das Mindset der T, sondern allein darauf, dass sie geglaubt hat, dass sie mit Baldriantabletten jemanden töten könnte. Dies geht unserer Ansicht nach aus dem ersten Satz des Sachverhaltes hervor. Der Versuch mit einem gänzlich ungefährlichen Hausmittel jemanden tödlich zu vergiften, zählt dabei zu den Standard-Lehrbuchfällen für den grob unverständigen Versuch. Die Relevanz in der Praxis ist dagegen tatsächlich begrenzt. Nur selten wird es vorkommen, dass jemand versucht auf weit entfernte Flugzeuge zu schießen oder andere mit normalen Hausmitteln zu vergiften. Zudem müsste dies dann zusätzlich noch zur Anzeige gebracht werden. Zur Abgrenzung und aufgrund der gesetzlichen Normierung muss man sich diese Fälle nichtsdestotrotz vergegenwärtigen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
bibu knows best
2.7.2022, 08:57:27
Ich verstehe nicht so ganz warum die T nicht wegen vollendetem Totschlag zu bestrafen ist..

Nora Mommsen
20.7.2022, 13:54:49
Hllo bibu knows best, vollendeter Totschlag scheidet vorliegend aus da der objektive Zurechnungszusammenhang abzulehnen ist. Dieser scheitert daran, dass sich nicht das ursprüngliche Risiko im Erfolg realisiert hat - statt einer Vergiftung starb O an inneren Blutungen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Sambajamba10
3.6.2023, 19:53:18
@[Nora Mommsen](178057) Das kann hier nicht der Fall sein. Die T hat durch das Verabreichen einer Glaslinse objektiv eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und genau diese Gefahr hat sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert. Damit ist ihr der Tod objektiv zurechenbar, was sie eigentlich wollte bzw. gedacht hat, spielt hier ja gerade keine Rolle. Das man die fahrlässige Tötung annimmt, bestätigt dieses Ergebnis, da auch für die Fahrlässigkeit eine objektive Zurechenbarkeit gegeben sein muss. Wie in dem Fall dargestellt wurde, muss der vollendete Totschlag hier daran scheitern, dass O durch die Verwechslung des Tatmittels nicht vorsätzlich eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, sodass es an dem subjektiven Zurechnungszusammenhang fehlt. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Erfolg eingetreten ist, der objektive Tatbestand im Übrigen auch vorliegt und nur kein Vorsatz vorliegt, weshalb ich mich frage, ob man in einem Gutachten überhaupt den Versuch ansprechen müsste - eigentlich müsste doch die Fahrlässigkeitsprüfung direkt greifen, oder?