Freibleibendes Angebot – invitatio ad offerendum


mittel

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Ohne mit ihm vorher in Kontakt getreten zu sein, bietet V dem K „freibleibend“ 100 Smartphones zum Preis von €8.000 per Brief an.

Einordnung des Falls

Freibleibendes Angebot – invitatio ad offerendum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat K ein bindendes Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags gemacht.

Nein!

Grundsätzlich ist der Antrag für den Antragenden bindend (§ 145 BGB). Die Bindung beginnt mit dem Zugang der Willenserklärung (vor Zugang gestattet § 130 Abs. 1 S. 2 BGB dem Antragenden, den Antrag jederzeit zu widerrufen). Der Antragende kann die Bindungswirkung seines Antrags jedoch ausschließen (§ 145 Hs. 2 BGB). Bei Verwendung von Freiklauseln wie „freibleibend“, „unverbindlich“, „ohne Obligo“ liegt jedenfalls kein bindendes (unwiderrufliches) Angebot vor. Was stattdessen darunter zu verstehen ist, ist streitig und einzelfallabhängig. Ein „freibleibendes Angebot“ kann einerseits ein Angebot mit Widerrufsvorbehalt nach § 145 Hs. 2 BGB darstellen, das bis zum Zugang der Annahmeerklärung, (nach anderer Ansicht auch noch unverzüglich nach Zugang,) widerrufen werden kann (Lesenswerte Entscheidung: BGH NJW 1984, 1885f).

2. Nach h.M. hat V den K zur Abgabe eines Angebots aufgefordert (invitatio ad offerendum).

Genau, so ist das!

In der Regel ist ein „freibleibendes Angebot“ nach objektivem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass sich der Antragende unter allen Umständen noch die Entscheidung über den Vertragsschluss vorbehalten will (BGH NJW 1996, 919). In diesem Fall ist das „freibleibende Angebot“ als invitatio ad offerendum auszulegen, also lediglich als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (zu denselben Bedingungen). Da hier keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, ist hier nach hM in dem „freibleibenden Angebot“ des V eine invitatio ad offerendum zu sehen, mit der er K auffordert, ein Angebot (§ 145 BGB) zu ebendiesen Bedingungen an ihn abzugeben, das V noch nach § 147 BGB annehmen müsste.

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Skywalker

Skywalker

23.10.2020, 23:38:36

Ich finde die Auslegung einer invitatio ad offerendum hier etwas merkwürdig. Ich würde eher sagen, dass es sich hierbei um ein Angebot handelt, bei dem der Antragende es sich vorbehält seinem Angebot in der Zeit zwischen Zugang und Annahme zu widersprechen oder dies spätestens mit nach Zugang der Annahme tut. Ansonsten sind hier die Interessen des Empfängers meiner Meinung nach ziemlich allein gelassen, der im Unklaren bleibt, obwohl er es doch war der das Angebot bekommen hat.

GEL

gelöscht

29.10.2020, 22:55:57

Der Empfänger (K) hat hier durch die Nachricht des V zunächst einen Informationsvorteil. Eine aufschiebende Bedingung nach § 158 Abs. 1 BGB, die pauschal auf einen Vorbehalt des Angebotswiderrufs gerichtet ist, widerspricht zum einen der Bindungswirkung nach § 145 BGB und insbesondere der Regelung nach § 130 BGB zu Zugang und Widerruf der Willenserklärung. Eine derartige Angebotskonstruktion wäre gerade nicht im Interesse von K (bzw. objektiver Empfänger). Allerdings ist ein

freibleibendes Angebot

wirklich nicht mit einer invitatio ad offerendum gleichzusetzen: Der Erklärende hat, ähnlich wie bei einem Kaufmännischen Bestätigungsschreiben, eine Reaktionspflicht auf etwaige Angebote, so dass sein Schweigen als Annahme i.S.v. § 151 BGB zu werten ist. Dadurch wird K auch wiederum geschützt.

Skywalker

Skywalker

29.10.2020, 23:32:46

Danke für die Erklärung, sehr hilfreich. Also könnte man am ehesten sagen ein

freibleibendes Angebot

ist ein invitatio ad offerendum mit Reaktionspflicht. Definitiv aber kein bindendes Angebot, kein bedingtes Angebot und auch kein Angebot bei dem die Bindung im Vertrag ausgeschlossen wird, weil letztes ja nur zum Rücktritt berechtigt aber erstmal ein Vertrag durch Annahme zustande kommt. Was der Erklärende ja nicht will. Richtig?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

30.10.2020, 17:00:39

Hallo ihr beiden, danke für eure sehr lesenswerte Diskussion. Wir haben mal die Kommentare gewälzt und die einschlägige Rspr gesichtet. Nach BGH NJW 1996, 919 (Link jetzt im Fall!) ist in einem freibleibenden Angebot regelmäßig kein Vertragsangebot, sondern eine invitatio ad offerendum zu sehen. (Für diese hatte das Reichsgericht damals noch vertreten, dass derjenige, der diese invitatio abgibt, nach Eingang eines Vertragsangebots unverzüglich reagieren muss, in dieser Pauschalität wird das so heute nicht mehr gesehen). Eine andere Ansicht geht von einem verbindlichen Angebot mit Widerrufsvorbehalt aus (Streitstand findet sich jetzt auch im Fall, sehr lesenswert dazu: BGH NJW 1984, 1885ff). Letztlich kommt es auf die Auslegung im Einzelfall nach §§ 133, 157 BGB an.

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

6.5.2021, 18:27:38

Der Verweis im ersten Teil der Lösung auf BGH NJW 1994, 1885 f. ist fehlerhaft; dort es um Betäubungsmittel und Strafrecht 😬

Tigerwitsch

Tigerwitsch

7.5.2021, 00:21:03

Ich glaube, da war ein Zahlendreher drin: BGH, U. v. 08.03.1984 – AZ.: VII ZR 177/82 (NJW 1984, 1885 ff.) https://www.prinz.law/urteile/bgh/VII_ZR_177-82#

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.5.2021, 08:45:50

Super, danke euch beiden! In der Tat ist es hier die NJW 1984 und nicht NJW 1994 gewesen und das von Tigerwitsch verlinkte Urteil. Wir haben das auch in der Antwort korrigiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

sinaaaa

27.12.2022, 20:26:20

Hab ich dies richtig verstanden: ein nicht bindendes Angebot kann man bis zum Zugang widerrufen? Ich dachte der Verkäufer hat immer ein Widerufsrecht.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

2.1.2023, 12:37:30

Hallo sinaaaa, danke für deine Frage. Es muss genau differenziert werden: Nach § 130 BGB kann eine Willenerklärung grundsätzlich bis zu ihrem Zugang widerrufen werden. Ein Angebot kann also bis zum Zugang beim Empfänger widerrufen werden. Bei einer abweichenden Regelung, z.B. wenn eine "

freibleibendes Angebot

" gemacht wird kann bis zum Zugang der Annahmeerklärung beim Antragenden widerrufen werden. Das verschafft also mehr Zeit für den Widerruf. Im Einzelnen ist aber umstritten, was genau unter einem freibleibenden Angebot und ähnlichen Formulierungen zu verstehen ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

NIC

NickFischer

30.3.2023, 16:18:51

Wenn ein

freibleibendes Angebot

des V als invitatio ad offerendum ausgelegt wird und der K ein Angebot abgibt, kommt der Vertrag erst mit einer entsprechenden Annahme des V zustande? Oder ist dem V sein Schweigen, sollte er sich nicht mehr äußern, irgendwie zuzurechnen?

DAV

David.

16.9.2023, 14:07:27

Der Händler schafft sich durch die Klausel „freibleibend“ eine Reaktionspflicht, er muss also ausdrücklich widersprechen, wenn er das Angebot ablehnen möchte, ansonsten gilt sein Schweigen als Annahme

BL

Blotgrim

6.1.2024, 10:06:25

Für den Fall dass ich ein

freibleibendes Angebot

als Angebot mit Widerrufsvorbehalt sehe, wäre es dann nicht trotzdem ein bindendes Angebot nur mit dem Zusatz dass ich mich aufgrund des Vorbehalts von dieser Bindung lösen kann?

LELEE

Leo Lee

7.1.2024, 14:14:37

Hallo Blotgrim, vielen Dank für die Frage! Beachte allerdings, dass ein Widerrufsvorbehalt (also die Möglichkeit, das Angebot in der Zukunft zurückzunehmen) eben nicht wie ein unwiderruflich gesehen werden kann (das wäre ein begrifflicher Widerspruch). Deshalb ist „freibleibend“ entweder invitatio oder eben ein Angebot mit Widerrufsvorbehalt, allerdings nicht bindend. Allerdings muss dann der Antragende diese Unverbindlichkeit deutlich hervortreten lassen. Neben „freibleibend“ gibt es noch weitere geschäftstypische Begriffe, die du bei MüKo-BGB 9. Auflage, Busche § 145 Rn. 9 finden kannst :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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