Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungsklage

Statthaftigkeit Leistungsklage: "Normale" Unterlassungsklage gegen andauerndes hoheitliches Handeln

Statthaftigkeit Leistungsklage: "Normale" Unterlassungsklage gegen andauerndes hoheitliches Handeln

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um zu verhindern, dass Jurastudierende Bücher klauen, führt die staatliche Universität U erstmalig eine dauerhafte Videoüberwachung der Unibibliothek ein. Lawra (L) möchte, dass U das unterlässt.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit Leistungsklage: "Normale" Unterlassungsklage gegen andauerndes hoheitliches Handeln

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L möchte gegen einen Verwaltungsakt vorgehen. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Anfechtungsklage ist nur statthaft, wenn sich der Kläger gegen einen erlassenen Verwaltungsakt wehren möchte. Will er jedoch gegen sonstiges Verwaltungshandeln (Realhandeln) vorgehen, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft. Es kommt also auf die Qualität des störenden Verwaltungshandelns an. L will gegen die Videoüberwachung durch die staatliche Universität U vorgehen. Dabei handelt es sich mangels Regelungswirkung nicht um einen Verwaltungsakt.
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2. Die "normale" Unterlassungsklage ist statthaft, wenn das hoheitliche Handeln zum wiederholten Male aufgetreten ist.

Ja!

Besonders in der Literatur wird die "normale" Unterlassungsklage von der vorbeugenden Unterlassungsklage unterschieden. Erstere umfasst die Fälle, in denen das hoheitliche Handeln bereits zum wiederholten Male aufgetreten ist und der Kläger ein Unterlassen für die Zukunft begehrt. Mit der vorbeugenden Unterlassungsklage kann der Kläger dagegen ein Unterlassen eines erstmaligen zu erwartenden hoheitlichen Handelns erreichen. Die Rspr. unterscheidet begrifflich nicht, sondern spricht immer von der vorbeugenden Unterlassungsklage Ob ein Handeln bereits wiederholt aufgetreten ist oder nicht, kann Auswirkungen u.a. im Rahmen der Klagebefugnis haben.

3. Ein andauerndes hoheitliches Handeln ist mit einem abgeschlossenen, sich wiederholenden Handeln gleichzusetzen.

Genau, so ist das!

Für die Statthaftigkeit der Unterlassungsklage macht es keinen Unterschied, ob das hoheitliche Handeln in der Vergangenheit abgeschlossen wurde und eine Wiederholung droht oder ob es noch andauert. Konkret: Es macht keinen Unterschied, ob eine getätigte Aussage in Zukunft nicht wiederholt werden oder ob sich eine andauernde Videoüberwachung in Zukunft nicht fortsetzen soll. Der Kläger begehrt in beiden Fällen, dass die Verwaltung weitere Rechtsverletzungen unterlässt. In beiden Fällen ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage statthaft. Eine andauerndes schlichtes Verwaltungshandeln (= Dauerrealakt) wird daher im Rahmen der Unterlassungsklage gleichgesetzt mit einem "abgeschlossenen" Realakt. Die Unterscheidung dient Deinem Verständnis. Für die Statthaftigkeit macht sie jedoch keinen Unterschied. in der Klausur musst Du dies nicht ausführen.

4. L begehrt das Unterlassen der andauernden Videoüberwachung. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.

Ja, in der Tat!

Es bestehen keine Bedenken gegen die Statthaftigkeit der Unterlassungsklage gegen bereits stattfindendes schlicht hoheitliches Handeln, denn die Behörde hat durch ihr (angeblich) rechtswidriges Verhalten Veranlassung für ein gerichtliches Einschreiten gegeben. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO spricht ebenfalls dafür, die allgemeine Leistungsklage einer Feststellungsklage vorzuziehen. Anders als bei Dauerrealakten muss bei einem abgeschlossenen Handeln der Verwaltung für die Zulässigkeit der Klage eine Wiederholungsgefahr vorliegen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BBE

bibu knows best

4.7.2022, 06:52:30

Ist denn nicht die Entscheidung darüber die Kamera aufzuhängen ein VA?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2022, 12:28:16

Hallo bibu knows best, da die Beobachtung öffentlicher Räume und Speicherung von Bilddaten mittels Videokamer lediglich der Informationsgewinnung dient, ist weder die Entscheidung diese aufzuhängen noch die Durchführung der Maßnahme auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet. Es geht vielmehr um einen tatsächlichen Erfolg (vgl. hierzu auch VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498). Insoweit ist hier tatsächlich nur die

Unterlassungsklage

statthaft. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

20.8.2023, 11:45:35

Liebes Juracfuchs-Team, hier im Fall geht es zwar um die Statthaftigkeit der Klage, aber ich hätte folgende Frage zum

Rechtsschutzbedürfnis

: In den anderen Fällen zur

Unterlassungsklage

wird beschrieben, dass -sowohl bei der normalen als auch bei der vorbeugenden-

Unterlassungsklage

ein

qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis

vorliegen muss. Davon muss man hier mE doch eine Ausnahme machen. In diesem Fall hier reicht -weil die potentielle Rechtsverletzung nicht zu erwarten ist und es sich folglich nicht um präventiven Rechtsschutz durch die UK handelt- ein

allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

aus. Oder habe ich hier einen Denkfehler?

BL

Blotgrim

30.10.2023, 14:10:59

Also ich kenne das mit dem qualifizierten

Rechtsschutzbedürfnis

nur für die vorbeugende Unterlassungklage. Macht ja auch Sinn, denn es wird ja gefordert, dass das abwarten der Beeinträchtigung nicht abgewartet werden kann. Wenn die Beeinträchtigung schon eingetreten ist bzw. noch andauert macht diese Qualifizierung ja keinen Sinn, da die Beeinträchtigung gar nicht mehr abgewartet werden kann

LO

Lorbeerbekränzte🦩

10.8.2024, 17:49:59

Wie grenzt man denn dann zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch nach

1004 BGB analog

ab?

TI

Timurso

11.8.2024, 08:23:22

Vorsicht, vorliegend wurde nur die

statthafte Klageart

diskutiert. §

1004 BGB analog

ist keine Klageart, sondern eine Anspruchsgrundlage. Diese kann wiederum innerhalb der allgemeinen

Leistungsklage

geprüft werden (Anspruch auf Unterlassung).

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

12.8.2024, 15:28:30

Hallo @[Lorbeerbekränzte🦩](136056), danke für Deine Frage. Es ist so, wie @[Timurso](197555) schreibt. Hier ging es um die Frage der statthaften Klageart, wenn der Bürger einen Unterlassungsanspruch gegenüber einem Hoheitsträger geltend macht und die Besonderheit, dass es die

Unterlassungsklage

einer Wiederholungsgefahr bedarf (bzw. die dauerhafte Rechtsverletzung einer solchen gleichsteht). Auf welche Anspruchsgrundlage dieser Unterlassungsanspruch gestützt wird, wird erst im Rahmen der Begründetheit der Klage relevant. In der Tat kann ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch die gängige Anspruchsgrundlage im Rahmen einer

Unterlassungsklage

. Der Anspruch kann sich aber auch aus anderen Anspruchsgrundlagen oder einem Verwaltungsakt / einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ergeben. Welche Anspruchsgrundlage(n) Du in der Klausur prüfen musst, wird sich in der Regel aus dem Sachverhalt ergeben. Zur Begründetheit der allgemeinen

Leistungsklage

kannst Du Dir folgendes Kapitel anschauen: https://applink.jurafuchs.de/QF3v94Kc0Lb Und hier findest Du mehr zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch: https://applink.jurafuchs.de/pakD5qRc0Lb Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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