Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungsklage

Statthaftigkeit Leistungsklage: Vorbeugende Unterlassungsklage gegen drohenden VA (grds. unzulässig, ausnahmsweise zulässig)

Statthaftigkeit Leistungsklage: Vorbeugende Unterlassungsklage gegen drohenden VA (grds. unzulässig, ausnahmsweise zulässig)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Weil R Streit mit der zuständigen Sachbearbeiterin S hat, rechnet er damit, dass S eine behördliche Gewerbeuntersagung (§ 35 Abs. 1 GewO) für Rs Betrieb erlassen wird. R will das verhindern, weil auch eine nur kurzfristige Schließung R finanziell ruinieren würde.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit Leistungsklage: Vorbeugende Unterlassungsklage gegen drohenden VA (grds. unzulässig, ausnahmsweise zulässig)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R möchte den bevorstehenden Erlass der Gewerbeuntersagung und damit den Erlass eines Verwaltungsakts verhindern. Statthaft ist die vorbeugende Anfechtungsklage.

Nein, das trifft nicht zu!

Es gibt keine vorbeugende Anfechtungsklage. Die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist nur statthaft, wenn sich der Kläger gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt wenden will. Die behördliche Gewerbeuntersagung (§ 35 Abs. 1 GewO) ist ein klassischer Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 (L)VwVfG), der dem Gewerbebetreibenden unter bestimmten Voraussetzungen untersagt, das Gewerbe weiter auszuüben. R möchte verhindern, dass dieser Verwaltungsakt erlassen wird. Weil die Untersagungsverfügung noch nicht erlassen wurde, kann R keine Anfechtungsklage erheben.
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2. Der vorbeugende Rechtsschutz in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage ist gegen den Erlass eines Verwaltungsakts stets zulässig.

Nein!

Die VwGO enthält Rechtsschutzarten für die nachträgliche Kontrolle hoheitlichen Handelns (repressiver Rechtsschutz). Rechtsschutzsuchende sind grundsätzlich darauf verwiesen, erst dann gegen die hoheitliche Handlung vorzugehen, wenn diese in der Welt ist. In der überwiegenden Anzahl von Fällen bietet der repressive Rechtsschutz - v.a. in Kombination mit vorläufigem Rechtsschutz (§§ 80 Abs. 5, 80a, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO) - hinreichend effektiven Schutz. Vorbeugender Rechtsschutz ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Rechtsschutzsuchende nicht in zumutbarer Weise auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis). Vorbeugender Rechtsschutz gegen noch nicht erlassene Verwaltungsakte ist ein Problem der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG): Die Judikative soll grundsätzlich nicht befugt sein, Maßnahmen der Exekutive zu verbieten, bevor die Exekutive diese in die Welt gesetzt hat.

3. Der vorbeugende Rechtsschutz gegen den Erlass eines Verwaltungsakts ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis besteht.

Genau, so ist das!

Nach der Systematik der VwGO ist der vorbeugende Rechtsschutz gegen den Erlass eines Verwaltungsakts grundsätzlich unzulässig. Er kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht, wenn der Erlass des Verwaltungsakts nicht abgewartet werden kann, also ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis besteht. Ein solches besonderes Rechtsschutzbedürfnis wird überwiegend angenommen, wenn der Eintritt vollendeter oder nur schwer rückgängig zu machender Tatsachen droht und verhindert werden soll. Bitte begrifflich sauber unterscheiden und separat prüfen: Statthaft ist die vorbeugende Unterlassungsklage als Form der allgemeinen Leistungsklage. Ihre Zulässigkeit hängt im Übrigen v.a. davon ab, ob ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

21.11.2022, 16:49:32

R würde dann LK erheben und Antrag nach 123 auf Sicherungsanordnung stellen - richtig?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 12:56:55

Hallo Rick-dich, tatsächlich besteht im vorliegenden Fall kein hinreichender Grund für den vorbeugenden Rechtsschutz. Im Falle der Gewerbeuntersagung könnte R gegen den Bescheid Widerspruch einlegen bzw. ihn direkt anfechten (sofern das Widerspruchsverfahren abgeschafft wurde). Beides hat aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO). Sollte die sofortige Vollziehung angeordnet werden, könnte er einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellen (§ 80 Abs. 5 VwGO). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

22.11.2022, 13:03:14

Das sehe ich auch so, betrifft aber doch nicht den Fall, dass bereits gegen den Erlass eines VA vorgegangen werden soll. Ohne erlassene Untersagung gingen Widerspruch/80V ins Leere, daher meine Ausgangsthese

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 13:31:12

Hallo Rick-Dich, in der Tat dürfte es R hier in aller Regel zumutbar sein, erst einmal auf den Erlass des VA zu warten. Sollte aber ausnahmsweise das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis bestehen, so würde man zusätzlich zur Unterlassensklage in der Tat am besten noch einen Eilantrag nach § 123 VwGO stellen, um eine zügige Bearbeitung zu gewährleisten. Beste Grüße, Lukas

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

22.11.2022, 13:44:20

Merci Merci 🥳

UN

Unterfertigter

17.1.2024, 01:43:34

Mir erschließt sich nicht so ganz, in welchen Fällen man ein solches

qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis

überhaupt annehmen kann. Widerspruch bzw. Anfechtungsklage haben doch aufschiebende Wirkung, sodass der Betroffene den Folgen des VA nicht sofort ausgesetzt ist

BL

Blotgrim

4.2.2024, 11:45:31

Das Beispiel aus dem Fall ist eigentlich sehr passend. Hier würde selbst eine kurze Schließung den finanziellen Ruin bedeuten. Zwar könnte man Widerspruch/Klage einreichen, aber das braucht ja Zeit, vielleicht nicht Wochen aber sofort geht es vielleicht auch nicht. Um zu verhindern dass man nicht Mal für ein paar Tage schließen muss kann man halt vorbeugend

Unterlassungs

klage erheben. Man deckt also den Zeitraum zwischen Erlass des VA und Erhebung der Klage ab. (Liebes Jurafuchs-Team korrigiert mich wenn ich falsch liege 😅)

BL

Blotgrim

4.2.2024, 11:49:47

OK das Beispiel war doch nicht ganz passend 😅. Aber im Ergebnis geht es halt um VA bei denen der Erlass nicht zugemutet werden kann. Wie an meinem ersten Erklärungsversuch zu sehen wird das eher selten so sein, weswegen mit auch kein gutes Beispiel einfällt. Der Klassiker sind wirklich irgendwelche

Realakt

e

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

2.9.2024, 16:21:32

Hallo in die Runde, das Beispiel von @[Blotgrim](167544) (und aus unserem Fall) passt schon ganz gut. Gerade bei Gewerbeschließungen wird der Verwaltungsakt auch oft mit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) erlassen. Das heißt, dass der Verwaltungsakt nicht nur erstmal in der Welt wäre und befolgt werden müsste, sondern auch, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gerade keine aufschiebende Wirkung entfalten. In diesen Fällen bliebe dem Adressaten dann nur noch Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO. Allerdings dauert es auch hier i.d.R. ein paar Tage bis zur Entscheidung. Der vorbeugende Rechtsschutz in Form einer vorbeugenden Anfechtungsklage ist eine sehr eng begrenzte Ausnahmemöglichkeit für die Fälle, in denen dem Adressaten wirklich nicht mal eine ganz kurze Wirksamkeit des Verwaltungsakts zugemutet werden kann. Er soll eine (sehr kleine) Lücke schließen, die zwischen nachträglichen und Eilrechtsschutz bestehen kann. Wie ihr schon richtig sagt, sind solche Fälle aber schwer denkbar bzw. mit einem erheblichen Begründungsaufwand für das Rechtsschutzinteresse verbunden. Die vorbeugende Anfechtungsklage ist daher i.d.R. wohl nicht zulässig und auch eher nicht Klausurthema (ansonsten wäre das wohl sehr deutlich angelegt im Sachverhalt). Etwas anderes gilt aber bei vorbeugenden

Leistungsklage

n gerichtet auf die Unterlassung eines befürchteten Realhandelns. In diesen Fällen kommt die aufschiebende Wirkung aus § 80 Abs. 1 VwGO von vornherein nicht in Betracht. Zudem werden durch ein Realhandeln i.d.R. schneller „vollendete Tatsachen“ geschaffen, gegen die ein nachträglicher Rechtsschutz nichts bringen würde. Daher tauchen diese Fallkonstellationen eher i.R.d. allgemeinen

Leistungsklage

auf. Schaut Euch dazu auch gerne das entsprechende Kapitel in diesem Kurs an: https://applink.jurafuchs.de/wrN2Klq7yMb Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

2.9.2024, 16:28:02

Hallo in die Runde, das Beispiel von @[Blotgrim](167544) (und aus unserem Fall) passt schon ganz gut. Gerade bei Gewerbeschließungen wird der Verwaltungsakt auch oft mit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) erlassen. Das heißt, dass der Verwaltungsakt nicht nur erstmal in der Welt wäre und befolgt werden müsste, sondern auch, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gerade keine aufschiebende Wirkung entfalten. In diesen Fällen bliebe dem Adressaten dann nur noch Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO. Allerdings dauert es auch hier i.d.R. ein paar Tage bis zur Entscheidung. Der vorbeugende Rechtsschutz in Form einer vorbeugenden Anfechtungsklage ist eine sehr eng (!) begrenzte Ausnahmemöglichkeit für die Fälle, in denen dem Adressaten wirklich nicht mal eine ganz kurze Wirksamkeit des Verwaltungsakts zugemutet werden kann. Er soll eine (sehr kleine) Lücke schließen, die zwischen nachträglichen und Eilrechtsschutz bestehen kann. Wie ihr schon richtig sagt, sind solche Fälle aber schwer denkbar bzw. mit einem erheblichen Begründungsaufwand für das Rechtsschutzinteresse verbunden. Die vorbeugende

Leistungsklage

auf Unterlassen ist daher i.d.R. wohl nicht zulässig und auch eher nicht Klausurthema (ansonsten wäre das wohl sehr deutlich angelegt im Sachverhalt). Etwas anderes gilt aber bei vorbeugenden

Leistungsklage

n gerichtet auf die Unterlassung eines befürchteten Realhandelns. In diesen Fällen kommt die aufschiebende Wirkung aus § 80 Abs. 1 VwGO von vornherein nicht in Betracht. Zudem werden durch ein Realhandeln i.d.R. schneller „vollendete Tatsachen“ geschaffen, gegen die ein nachträglicher Rechtsschutz nichts bringen würde. Daher tauchen diese Fallkonstellationen eher i.R.d. allgemeinen

Leistungsklage

auf. Schaut Euch dazu auch gerne die anderen Aufgaben in diesem Kapitel an. Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

Swagni

Swagni

21.2.2024, 13:13:33

Hallo, gibt es irgendeine Begründung dazu, weshalb die allg. LK in Form der vorbeugenden UK jetzt auch im Hinblick auf Verwaltungsakte anzuwenden ist. Muss man da irgendeinen Streit aufmachen, weil die

Leistungsklage

ja eigentlich nicht auf VA anwendbar ist?

KE🦦

kerberos 🦦

6.4.2024, 11:51:08

Hey, die

Unterlassungs

klage gegen zukünftige VAe ist grds. unzulässig (eben weil das Rechtsschutzsystem der VwGO repressiv ist). Nur ausnahmsweise ist sie zulässig, wenn die Verweisung auf den repressiven Rechtsschutz unzumutbar ist. Begründen lässt sich das v.a. mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 IV GG). Dies ist v.a. der Fall, wenn unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden oder ein Schaden droht, der nicht im repressiven Rechtsschutz wiedergutzumachen ist. Also problematisieren würde ich es auf jeden Fall in der Klausur, allerdings nicht als klassischen Meinungsstreit, sondern iR einer Darstellung des Grundsatz-Ausnahme-Verhältnisses.


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