+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die siebenjährigen Geschwister A und B spielen Verstecken. Dabei finden sie im unverschlossenen Kleiderschrank ihrer Mutter M deren geladenes Jagdgewehr nebst Munition. Als A das Gewehr neugierig betrachtet, löst sich versehentlich ein Schuss, der B tödlich trifft.
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Einordnung des Falls
Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 1
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Setzt eine Strafbarkeit der M wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus?
Genau, so ist das!
Nach der Rspr. und hL setzt die Verwirklichung eines Fahrlässigkeitsdelikts zentral voraus, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt. Wann eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten Strafnorm selbst, sondern muss aus externen Quellen bestimmt werden. Der einfachste und eindeutigste Fall ist die Bestimmung von Sorgfaltspflichten unmittelbar oder mittelbar aus dem Gesetz (sog. Sondernormen). Wichtigste Beispiele dafür sind wohl die in der StVO befindlichen Verhaltensregeln oder die durch ein Verkehrsschild angeordneten Höchstgeschwindigkeiten. Für die Aufbewahrung von Waffen gilt § 36 WaffG.
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2. Hat sich M objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten?
Ja, in der Tat!
Für die Aufbewahrung von Waffen ergibt sich ein Sorgfaltsmaßstab aus § 36 WaffG. Hiernach sind Waffen und Munition derart aufzubewahren, dass Dritte sie nicht unbefugt an sich nehmen können (§ 36 Abs. 1 WaffG). Schusswaffen sind darüber hinaus in der Regel getrennt von der Munition, jedenfalls aber ungeladen in einem qualifizierten Behältnis aufzubewahren (§ 36 Abs. 5 WaffG i.V.m. § 13 AWaffV). M hat ihr Jagdgewehr geladen und zusammen mit der Munition in einem unverschlossenen Kleiderschrank aufbewahrt. Darüber hinaus hat sie keinerlei weitere Maßnahmen getroffen, um den Zugriff durch unbefugte Dritte, insbesondere der Kinder A und B, zu verhindern.
3. War der Tod des B für Dritte auch objektiv vorhersehbar?
Ja!
Nach hM. setzt eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit voraus, dass die Tatbestandsverwirklichung objektiv vorhersehbar gewesen sein muss. Danach müssen der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen sein. Dabei ist eine konkrete Wahrscheinlichkeitsbeurteilung vorzunehmen. Die generelle Möglichkeit theoretischer Entwicklungen reicht nicht aus. Für einen durchschnittlichen Waffenbesitzer ist es nicht unvorhersehbar, dass im selben Haushalt befindliche Kinder derart unsachgemäß gelagerte Schusswaffen finden, versehentlich auslösen und mitunter tödliche Verletzungen herbeiführen.
4. Ist der Tod des B der M auch objektiv zurechenbar?
Genau, so ist das!
Ebenso wie bei Vorsatzdelikten muss auch bei Fahrlässigkeitsdelikten der Taterfolg dem Täter objektiv zurechenbar sein. Dabei muss im Rahmen der objektiven Zurechnung etwa auch ein Schutzzweckzusammenhang bestehen. Dieser ist nur gegeben, wenn der Erfolgseintritt innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltspflicht liegt. Das ist nicht der Fall, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht nicht aufgestellt ist, um die konkrete Erfolgsverursachung zu verhindern.§ 36 WaffG will zumindest auch Unglücksfälle insbesondere durch den unsachgemäßen Gebrauch von Waffen verhindern. Der Tod des B beruht damit gerade auf der sorgfaltswidrigen Lagerung des Gewehrs.
5. War M auch nach ihren persönlichen Fähigkeiten und ihrem Können in der Lage, die objektiv gebotene Sorgfalt einzuhalten und den Erfolg vorauszusehen?
Ja, in der Tat!
Neben den allgemeinen Entschuldigungsgründen prüft die Rspr. und hL im Rahmen der Schuld auch die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts. Danach sind individuell geringere Fähigkeiten oder Kenntnisse bzw. die individuell verringerte Möglichkeit der Erfolgsvoraussicht zu berücksichtigen. Dabei können beispielsweise intellektuelle oder körperliche Mängel, mangelndes Erfahrungswissen oder Reaktionsvermögen, Affekt- oder Erregungszustände in Betracht kommen. Individuell geringere Fähigkeiten sind bei M nicht erkennbar. Somit ist ihr die Sorgfaltspflichtverletzung auch subjektiv vorwerfbar. Dein digitaler Tutor für Jura
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