Veröffentlichung von Versammlungsfotos auf Social Media durch Polizei


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizistin P fertigt Fotos von einer Versammlung an und veröffentlicht sie anschließend auf dem Twitter-Account der Polizei. Auf den Fotos ist auch T zu sehen. T zweifelt daran, dass die Maßnahme auf polizei- und ordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden kann.

Einordnung des Falls

Veröffentlichung von Versammlungsfotos auf Social Media durch Polizei

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das bloße Fotografieren einer Versammlung ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).

Genau, so ist das!

OVG: Das Anfertigen von Aufzeichnungen sei nach der heutigen Technik immer ein Grundrechtseingriff, weil Einzelpersonen in der Regel ohne technische Bearbeitungsschritte identifizierbar seien. Das Bewusstsein, dass die Versammlungsteilnahme festgehalten wird, habe Einschüchterungswirkung. Potenzielle Teilnehmer würden möglicherweise auf die Ausübung ihres Grundrechts verzichten, was wiederum die demokratische Meinungsbildung und den öffentlichen Diskurs beeinträchtige. Davon zu unterscheiden seien bloße Übersichtsmaßnahmen ohne Eingriffsqualität, die erkennbar nur der Lenkung von Polizeieinsätzen bei Großdemonstrationen dienen (RdNr. 60ff.).

2. Das Anfertigen der Fotos durch P, um sie anschließend auf dem Twitter-Account der Polizei zu publizieren, ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

OVG: Das Fotografieren entfaltete eine „Abschreckungs- und Einschüchterungswirkung, die geeignet war, Personen von der [...] Grundrechtswahrnehmung abzuhalten oder zumindest in ihrem Verhalten während der Versammlungsteilnahme zu beeinflussen“ (RdNr. 69). Die Tatsache, dass die Fotos für die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei gedacht waren, habe den Abschreckungseffekt bei lebensnaher Betrachtung sogar noch verstärkt, da die Teilnehmer dann mit einem erheblich gesteigerten Verbreitungsgrad der Fotos rechnen mussten (RdNr. 72). Eine bloße Übersichtsmaßnahme unterhalb der Eingriffsschwelle liege hier erkennbar nicht vor (RdNr. 74).

3. Die Versammlungsfreiheit kann für Versammlungen unter freiem Himmel nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden (Art. 8 Abs. 2 GG).

Ja!

Die Beschränkbarkeit des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) richtet sich danach, ob die Versammlung unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen stattfindet. Versammlungen unter freiem Himmel – wie die Versammlung der T – stehen dabei unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt (Art. 8 Abs. 2 GG). Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bedürfen somit einer speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.

4. Behördliche Maßnahmen gegen Versammlungen richten sich in erster Linie nach dem einschlägigen Versammlungsgesetz („Polizeifestigkeit“ von Versammlungen).

Genau, so ist das!

Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der behördlichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht vor (sog. Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit). Grund: Als Ausprägung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) enthält das Versammlungsrecht im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besondere Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen. Diese dürfen unter Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht nicht umgangen werden (RdNr. 80, 82).

5. Neben den Regelungen des § 12a VersG zur Anfertigung von Bildaufnahmen von Versammlungen kann die Ermächtigungsgrundlage sich hier aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht ergeben.

Nein, das trifft nicht zu!

OVG: Die Behörde könne sich hier allein auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem VersG stützen: Das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen durch die Polizei und deren zweckgebundene Weiterverwendung sind in § 12a VersG (der über § 19a VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel gilt) speziell und abschließend geregelt (RdNr. 84ff.). Hier greife die Polizeifestigkeit der Versammlung; ein Rückgriff auf andere Vorschriften scheide aus. Folglich müsse sich jegliche mit einer Versammlung im Zusammenhang stehende, grundrechtsrelevante Bildaufnahme durch die Polizei ausschließlich an § 12a VersG messen lassen (RdNr. 90).

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CAR

Carl

21.12.2020, 21:23:23

Vorliegend wurden die Fotos jedoch nicht zur Gefahrenabwehr gemacht. Die

Polizeifestigkeit

beschränkt sich MWn jedoch nur darauf.

FML

FML

19.6.2021, 07:40:06

Trotzdem bedarf es für eine Einschränkung des Grundrechts einer EGL. Wenn die Polizei handelt ist also erstmal die Frage, ob sie repressiv oder präventiv handelt. Da es hier nicht um Strafverfolgung geht bleibt nur eine präventive Handlung zur gefahrenabwehr. Wie du selber festgestellt hast, liegt keine Situation der gefahrenabwehr durch das versammlungsgesetz vor. Damit scheidet aber auch mangels anderweitiger Gefahr die Anwendung des PolG aus. Es bleibt also nur der Schluss, dass die Polizei ohne Ermächtigung gehandelt hat. Das ist rechtswidrig.

DC20

dC20

16.2.2021, 16:24:49

Bei der Aussage "Die Versammlungsfreiheit kann für Versammlungen unter freiem Himmel nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden" sollte das "nur" entfernt werden, denn trotzdem gelten immer verfassungsimmanente Schranken.

FML

FML

19.6.2021, 07:33:02

Ja das ist schon klar, aber gerade hier geht es um eine Maßnahme, die gerade nicht vom Versammlungsgesetz geregelt wird. Die Schranke in Art. 8 II GG verlangt ja gerade einen Gesetzesvorbehalt. Das „nur“ steht hier also zur Verdeutlichung, dass man zur Grundrechtseinschränkung immer eine EGL braucht.


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