Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2020
Schadensersatzklage im sogenannten „Dieselfall“
Schadensersatzklage im sogenannten „Dieselfall“
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K erwirbt 2014 einen VW Sharan von einem Gebrauchtwagenhändler. Der Sharan ist mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet, durch die das Kraftfahrt-Bundesamt über den Schadstoffausstoß getäuscht werden sollte, um Kosten zu sparen. Nach Aufdeckung des Dieselskandals lässt K das Softwareupdate durchführen und fordert VW zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Autos auf.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Der sog. „Dieselskandal“ setzte im ganzen Bundesgebiet eine wahre Klageflut gegen den Autohersteller VW in Gang. Hintergrund der Klagen war der Umstand, dass VW in zahlreichen Dieselfahrzeugen illegale Abschalteinrichtungen verbaut hatte, die über den tatsächlichen Umfang des Schadstofausstoßes hinwegtäuschen sollten. In der vorliegenden Entscheidung äußerte sich der BGH erstmalig zu den Ansprüchen der Käufer. Dabei stellte er klar, dass es sich bei der Verwendung der Manipulationssoftware um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Käufer handele. Hierdurch war endlich höchstrichterlich geklärt, dass den Käufern nicht nur Mängelgewährleistungsansprüche gegen die Verkäufer zustehen, sondern auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch (§ 826 BGB) direkt gegen den Hersteller VW.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat K gegen VW einen Schadensersatzanspruch, wenn VW ihn sittenwidrig geschädigt hat (§ 826 BGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Reicht es für die Feststellung der Sittenwidrigkeit aus, dass VW das Kraftfahrt-Bundesamt bewusst getäuscht hat?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Ist das Verhalten von VW im Verhältnis zu K als "sittenwidrig" (§ 826 BGB) zu beurteilen?
Ja, in der Tat!
4. Hat K nur dann einen Schaden erlitten, wenn der Sharan wegen der illegalen Abschalteinrichtung objektiv weniger wert ist als der Kaufpreis?
Nein!
5. Stellt der Abschluss des Kaufvertrags für K einen Schaden dar?
Genau, so ist das!
6. Lässt as nachträglich durchgeführte Softwareupdate den Schaden des K entfallen?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Muss sich K den erhaltenen Vorteil - die Nutzung des Autos - auf den Schadensersatz anrechnen lassen?
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Elisabeth
25.6.2020, 17:17:06
Super Sache, dass ihr wichtige, aktuelle Fälle so schnell veröffentlich; Danke dafür!
Christian Leupold-Wendling
25.6.2020, 19:32:29
Vielen Dank, für das Lob! 😍 Das gebe ich gern weiter an Wendelin, unseren Chefredakteur. Lieben Gruß
Melih Melo Oz
26.7.2020, 11:57:36
Hallo liebes Team erstmal vielen Dank für den brandaktuellen Fall tolle Arbeit! 🙏 Ich würde gerne wissen ob es denn auch möglich wäre, fallartige Lösungen mit einzubauen zB hier jetzt bei der Anrechnung der Nutzungsvorteile nach welchen Normen würde das hier geprüft werden und wie wäre der Aufbau? Vielen Dank
Elisabeth
4.9.2020, 18:30:53
Hi, habe mich dasselbe gefragt ;) Laut der Pressemitteilung finden sie Grundsätze zum Vorteilsausgleich Anwendung. D.h da es an einem Lex specialis fehlt, welcher die Nutzungen ersetzen würde, aber der umAutokäufer die Vorteile der jahrelangen Nutzung hatte, muss man da eine wertende Betrachtung vornehmen. Da dieser Vorteilsausgleich aber so extrem schwammig und ich schätze Fallgruppenabhängig, fällt mir kein wertendes Kriterium ein, an dem man es festmachen könnte? Der BGH hat es aber wohl so gesehen....
Carl
13.12.2020, 00:34:23
Die Nutzung wird über die gefahrenen km im Verhältnis zur Gesamtlaufzeit berechnet.
Lukas_Mengestu
20.7.2021, 15:27:22
Hallo zusammen, vielen Dank zunächst einmal für eure Frage! Die "Grundsätze zum Vorteilsausgleich" beruhen auf den zwei schadensrechtlichen Grundrinzipien. Nämlich dem Grundsatz, dass der Geschädigte zwar einerseits vollumfänglich für seinen Schaden kompensiert wird (Grundsatz der Totalreparation), andererseits aber keine Überkompensation erfolgen soll (sog. Bereicherungsverbot). Andocken kann man die Prüfung des Vorteilsausgleichs u.a. bei § 249 Abs. 1 BGB, wenn man vergleicht, wie der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte (dann hätte er nämlich weder Nachteile noch Vorteile erlangt) und wie er danach steht oder auch bei § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Dabei ist nun allerdings zu beachten, dass der Vorteilsausgleich nur dann durchzuführen ist, wenn ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Vorteil sowie Kongruenz (=Übereinstimmung) besteht. Die Anrechnung des Vorteils muss außerdem dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen, d.h. den Geschädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig begünstigen. Im Hinblick auf die Frage, in welchen Fällen nun ein Vermögensvorteil anzurechnen ist, haben sich in der Tat verschiedene Fallgruppen herausgebildet. Ihr findet hierzu in unseren Lektionen zum Schadensrecht/Begrenzungen/Schadensmilderungen verschiede Beispielsfälle. Im konkreten Fall hatte der Kläger geltend gemacht, dass eine Anrechnung zu unterbleiben habe, u.a. da dadurch die Präventionswirkung des Deliktsrechts unterlaufen würde und die Beklagte unangemessen entlastet würde. Dieser Argumentation hatte der BGH aber bereits in einem anderen Verfahren (NJW 2020, 1962) eine Absage erteilt. Er führte insoweit aus, dass das Deliktsrecht zwar durchaus präventive Wirkung habe. Anders als in den USA gibt es in Deutschland keine sog. "punitive damages" (Strafschaden). Ohne die Vorteilsanrechnung würde nach Auffassung des BGH der deliktische Schadensersatz in den Diesel-Fällen aber zu nahe an einen solchen Strafschaden heranreichen. Auch im übrigen sah er keine Gründe hier die Vorteilsanrechnung zu verweigern (BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 64 ff.). Im Hinblick auf die konkrete Bereechnung hat der BGH versucht, diese möglichst simpel zu halten. Maßgeblich ist hier wie Carl schon richtig eingewendet hat, maßgeblich das Verhältnis zwischen gefahrender Strecke und erwarteter gesamtlaufzeit: Nutzungsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb)) / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt Als Beispiel: Der Wagen wird für 15.000€ brutto erworben. Die Gesamtlaufleistung beträgt 300.000 km. Der Kläger ist bereits 100.000km gefahren. Nutzungsvorteil = (100.000km x 15.000 €) / 300.000 km = 5.000 € Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team